Religiöse Geheimnisse

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18. Predigt, (Ende des Jahres 1834)

Fest der Himmelfahrt unseres Herrn

„Es ist Christus, der gestorben ist, ja der auch auferstanden ist, der zur Rechten Gottes sitzt, der auch fürbittet für uns“ (Röm 8, 34).

Die Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes ist ein Geschehnis, dessen immer mit Freude und Dank gedacht werden sollte, denn der heilige Paulus sagt uns im Vorspruch, daß Er aufstieg zur Rechten Gottes und dort für uns bittet. Daher ist es unser Trost zu wissen, daß, „wenn jemand sündigt, wir einen Fürsprecher beim Vater haben, Jesus Christus, den Gerechten, und Er die Versöhnung für unsere Sünden ist“ (1 Joh 2, 1. 2). Wie der jüdische Hohepriester nach dem feierlichen Opfer für das Volk am großen Versöhnungstag mit dem Opferblut in das Allerheiligste hineinging und es auf den Gnadenthron sprengte, so hat Christus den Himmel durchschritten, um sozusagen vor dem Thron jenes „heilige Zelt“ darzubieten, das das Werkzeug Seines Leidens war, – Seine durchbohrten Hände und Seine verwundete Seite, – zum Zeichen der Versöhnung, die Er für die Sünden der Welt erwirkt hat.

Bewunderung und Ehrfurcht müssen sich immer mit der Dankbarkeit paaren, welche die geoffenbarte Heilsvermittlung in unserem Innern weckt. Und diese Tatsache ist wirklich ein zusätzlicher Grund zur Dankbarkeit dafür, daß Gott uns genugsam von Seiner erhabenen Vorsehung geoffenbart hat, um solche heiligen und ehrfürchtigen Gefühle zu erwecken. Hätte Er uns bloß gesagt, daß Er uns verziehen hat, wir hätten überreichen Grund gehabt, Ihn zu verherrlichen und zu preisen. Aber da Er uns etwas von den Mitteln zeigte, das fast Unsagbare uns zu offenbaren Sich würdigte, und Sich herbeiließ, Himmlisches bis zur Schwäche und zum Stammeln irdischer Zungen zu erniedrigen, so hat Er unsere Pflicht zur Dankbarkeit vergrößert, aber auch durch Furcht sie gedämpft. Wir dürfen mit den Engeln einen flüchtigen Schimmer der himmlischen Geheimnisse erhaschen, „frohlocken mit Zittern“ (Ps 2, 11). Weit davon entfernt, die Wahrheiten des Evangeliums als eine Bürde zu betrachten, weil sie unsere Fassungskraft übersteigen, sollten wir sie vielmehr begrüßen und über sie frohlocken, ja von vornherein ein Aufwallen des Herzens für sie empfinden, gerade deshalb, weil sie über uns sind. Bewegt von diesen Gefühlen will ich versuchen, euch am heutigen Festtag einige Anregungen nahezulegen zur Bewunderung, zur Ehrfurcht und Demut, zum unbedingten Glauben und zur Anbetung, wie Christi Himmelfahrt sie bietet.

1. Zunächst ist Christi Aufstieg zur Rechten Gottes wunderbar, weil er ein sicheres Zeichen ist, daß der Himmel einen gewissen bestimmten Ort und keinen bloßen Zustand darstellt. Jene Anwesenheit des Erlösers im Leibe, mit der die Apostel in Berührung kamen, ist nicht hier; sie ist anderswo – sie ist im Himmel. Diese Tatsache widerspricht den Vorstellungen eines gebildeten und grübelnden Geistes und demütigt die Vernunft. Die Philosophie hält die Annahme für vernünftiger, daß Gott als Geistwesen an jedem Ort ist und an keinem Ort mehr als an einem anderen. Sie möchte, wenn sie so dürfte, lehren, daß der Himmel ein bloßer Zustand der Seligkeit ist; aber um folgerichtig zu sein, müßte sie mit den alten Irrlehrern, von denen der heilige Johannes berichtet, einen Schritt weitergehen und leugnen, daß „Jesus Christus im Fleisch gekommen ist“ (1 Joh 4, 2), und behaupten, daß Seine Gegenwart auf Erden ein bloßer Schein war; denn das ist gewiß, Jener, der auf Erden erschien, stieg auf von der Erde, und eine Wolke entzog Ihn den Blicken Seiner Apostel. Hier aber begegnen wir einer neuen Schwierigkeit, wenn wir die Frage genau ansehen. Wohin ging Er? Über die Sonne hinaus? Über die Fixsterne hinaus? Durchquerte Er den unermeßlichen Raum, der sich jenseits von ihnen allen ausdehnt? Ferner, was bedeutet „aufsteigen“? Die Philosophen werden sagen, was den Himmel angeht, so gibt es keinen Unterschied zwischen unten und oben; jedoch, zu welchen Schwierigkeiten das Wort auch Anlaß geben mag, wir können kaum zu entscheiden wagen, daß es nur ein volkstümlicher Ausdruck ist, verträglich mit der der heiligen Erzählung geschuldeten Ehrfurcht.

Das führt uns zur Beobachtung, wie groß in Art und Wirkung der Unterschied ist zwischen den Berichten der Schrift über den Aufbau der physischen Welt und denen, die die Philosophen geben. Ich entscheide nicht, ob beide miteinander vereinbar sind oder nicht; ich behaupte nur, daß sie in ihrer jeweiligen Wirkung verschieden sind. Und wenn wir alle unserer Vernunft zugänglichen Folgerungen aus dem Studium der sichtbaren Natur gezogen haben und dann den Bericht in Seinem inspirierten Wort lesen und die beiden augenscheinlich auseinander gehen, dann sollte das Gefühl, das uns nach meiner Meinung beseelen müßte, folgendes sein: – Keine Ungeduld, etwas tun zu wollen, was über unsere Kräfte geht, d. h. kein Untersuchen der Beweise, kein Zusammenfassen, Abwägen, Entscheiden und in Einklang bringen, kein Richten zwischen den beiden Stimmen Gottes – sondern ein Bewußtsein äußerster Nichtigkeit, wie sie uns Erdenwürmern geziemt; ein Bewußtsein unserer offenkundigen und absoluten Unfähigkeit, die Dinge anzuschauen, wie sie wirklich sind; eine Wahrnehmung unserer Hohlheit vor dem allsehenden Blick Gottes, unserer „Schönheit, die zerfiel, so daß keine Kraft mehr übrigbleibt“ (Dn 10, 8); es sollte eine Überzeugung sein, daß alles, was Natur und Gnade uns vorlegen, obwohl wahr in einem so vollen Sinn, daß wir es nicht unbefugterweise verstümmeln dürfen, trotzdem nur eine Andeutung ist, brauchbar für besondere Zwecke, brauchbar zum Handeln, brauchbar an seinem Ort, „bis der Tag anbricht und die Schatten sich neigen“ (Hl 4, 6), nützlich in der Weise, daß sowohl die eine wie die andere Darstellung gleichzeitig anwendbar ist, wie zwei Sprachen, wie zwei verschiedene Annäherungen an die Schreckenerregende, Unbekannte Wahrheit, jedoch so, daß sie uns auf ihrem jeweiligen Gebiet nicht irreleiten. Und so, während wir ohne Eifersucht für wissenschaftliche Zwecke die Sprache der Wissenschaft gebrauchen, können wir sie auf die letzteren einschränken und ihre Verteidiger zurückweisen und widerlegen, sollten sie versuchen, diese zu übersteigern und „über ihr Maß auszudehnen“. Sie ist in ihrem eigenen, eingeschränkten Gebiet nützlich, ja, sie kann dazu verhelfen, einen höheren Dienst zu erfüllen, und wie ein Proselyt im Schatten des Tempels stehen; aber sie darf nicht wagen, seine inneren Höfe zu entweihen, in denen die Engelsleiter für immer aufgerichtet ist und sogar bis zum Throne Gottes hinaufreicht, wo „Jesus zur Rechten Gottes steht“ (Apg 7, 55).

Ich will euch nur an dieser Stelle daran erinnern, daß unser Herr „in gleicher Weise“ (Apg 1, 11) vom Himmel kommen soll, wie Er hinauffuhr; daß Er „auf den Wolken“ (Mt 24, 30) kommt, daß „alle Augen Ihn sehen werden“ und „Seinetwegen alle Geschlechter der Erde wehklagen werden“ (Offb1, 7). Versuchet, nach den heutigen Theorien der Wissenschaft diese Weissagungen zu enträtseln, und ihr werdet die Seichtheit der ersteren erkennen. Sie sind der Tiefe des Problems nicht gewachsen.

2. Ich habe diesen Hinweis vorausgeschickt, um euch den geheimnisvollen Symbolismus einzuprägen, von dem wir rings umgeben sind. Er berührt nicht nur die eine oder andere religiöse Wahrheit, sondern erstreckt sich auf beinahe alle heiligen Geschehnisse und auf das gesamte Tun unseres Lebens. Vom gleichen Gesichtspunkt aus wollen wir die Lehre betrachten, die das Geschehnis der Himmelfahrt begleitet. Christus, so wird uns gesagt, ist zur Höhe aufgestiegen, „um vor dem Angesichte Gottes für uns zu erscheinen“ (Hebr 9, 24). Er ist „mit Seinem eigenen Blut ein für allemal ins Heiligtum eingegangen und hat ewige Erlösung bewirkt“ (Hebr 9, 12). „Er lebt allezeit, um für jene zu bitten, die durch Ihn zu Gott kommen; Er hat ein Priestertum, das nicht von Ihm weichen wird“ (Hebr 7, 24. 25). „Wir haben einen solchen Hohenpriester, der zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel sitzt; einen Diener des Heiligtums und des wahrhaftigen Zeltes, das der Herr errichtet hat und nicht ein Mensch“ (Hebr 8,1. 2).

Diese und ähnliche Stellen weisen uns auf die Riten des jüdischen Gesetzes hin. Sie geben uns Kenntnis vom Vorbild, aber was ist seine Erfüllung? Wir können keine genaue Auskunft darüber geben. Denn bedenkt, warum stieg Christus zur Höhe auf? Zu welchem Zweck? Was ist Seine Aufgabe? Was ist der Sinn Seiner Fürbitte für uns im Himmel? Wir wissen, daß all Sein Tun die huldvolle Verwirklichung des mosaischen Vorbildes ist. Das Betreten des Allerheiligsten mit dem Sühneblut durch den Hohenpriester war eine Darstellung der Gnadentat Christi, die Er für uns vollbrachte. Aber was bedeutet jenes Tun? Wir wissen, was der Schatten ist; aber was bedeutet die Wirklichkeit? Der Tod Christi entspricht dem jüdischen Versöhnungsopfer; wie würdigt Er Sich, das Werk der Fürbitte zu erfüllen? Statt uns dies zu erklären fährt die Schrift nur fort, uns in der Sprache des Vorbildes zu antworten, sogar bis zuletzt verschleiert sie Seine Tat unter dem alten Vorbild (Anm. 1: Offb 8,3.4). Sollen wir daher ihre Sprache als rein bildlich wegerklären, was (wie das Wort nun gewöhnlich verstanden wird) nichts anderes heißt, als daß es überhaupt keine Bedeutung hat? Durchaus nicht. Wolken und Dunkelheit umgeben Ihn. Uns ist es nicht gegeben, in das innere Heiligtum zu spähen, in dem Gott wohnt. Vor Ihm stehen die Seraphim und verhüllen ihr Angesicht. Christus steht innerhalb des Vorhanges. Wir dürfen nicht neugierig forschen, was Seine gegenwärtige Aufgabe ist, was damit gemeint ist, daß Er Sich auf Sein Opfer beruft und ewig für uns eintritt. Da wir es nicht wissen, wollen wir uns sorgfältig an das uns in der Schrift gegebene Vorbild halten: Wir wollen nicht versuchen, es zu deuten oder seinen Wortlaut zu ändern, im Gedanken, wir seien weiser als Schriftworte. Wir wollen nicht darüber hinweggehen, einfach darum, weil wir es nicht verstehen. Wir wollen es als ein Mysterium festhalten oder (wie es einst hieß) als eine sakramentale Wahrheit, d. h. als eine hohe, unsichtbare Gnade, eingehüllt in eine äußere Form, als einen kostbaren Besitz, den wir um der darin enthaltenen himmlischen Wirklichkeit willen fromm und dankbar behüten sollen. Zum mindesten sehen wir darin das Pfand einer Lehre, die die Vernunft nicht verstehen kann, nämlich den Einfluß des gläubigen Gebetes auf die göttlichen Ratschlüsse. Der Fürbitter leitet oder hält zurück die Hand des unveränderlichen und allbeherrschenden Weltenlenkers; denn Er ist zu gleicher Zeit die Verdienstursache und das Unterpfand für die fürbittende Macht Seiner Brüder. „Christus ist um unserer Rechtfertigung willen auferstanden“ (Röm 4, 25), „das ernste, glutvolle Gebet des Gerechten vermag viel“ (Jak 5, 16), beides ist sowohl unendliche Gnade wie auch tiefes Geheimnis.

3. Bedenket ferner die Worte unseres Heilandes: – „Es ist gut für euch, daß Ich hingehe; denn wenn Ich nicht hingehe, wird der Tröster nicht zu euch kommen“ (Joh 16, 7). Er gibt uns nicht den Grund an, weshalb Seine Abwesenheit die Bedingung für die Gegenwart des Heiligen Geistes war. „Wenn Ich hingehe“, sagt Er, „werde Ich Ihn zu euch senden“ (Joh 16, 7). „Ich will den Vater bitten, und Er wird euch einen anderen Tröster geben, damit Er in Ewigkeit bei euch bleibe“ (Joh 14, 16). Dem gleichen Zweck dienen die folgenden Texte: „Wer an Mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die Ich tue; und er wird noch größere als diese tun; denn Ich gehe zum Vater“ (Joh 14,12). „Wenn ihr Mich liebtet, so würdet ihr euch ja freuen, daß Ich sagte, Ich gehe zum Vater; denn Mein Vater ist größer als Ich“ (Joh 14, 28). „Rühre Mich nicht an; denn Ich bin noch nicht hinaufgefahren zu Meinem Vater; gehe aber hin zu Meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu Meinem Vater und zu eurem Vater, zu Meinem Gott und zu eurem Gott“ (Joh 20, 17). Die stolze und neugierige Vernunft möchte gern wissen, weshalb Er nicht „den Vater bitten“ konnte, ohne zu Ihm zu gehen, und warum Er weggehen mußte, um den Geist zu senden. Der Glaube aber, ohne einen Lichtstrahl mehr zu verlangen als gegeben ist, sinnt über den wundervollen Plan der Vorsehung nach, wie er sich in dieser Welt offenbart und immer Geschehnisse miteinander verknüpft, zwischen denen der Mensch kein notwendiges Band sieht. Das ganze System, das Ursache und Wirkung heißt, ist ein Geheimnis; und dieses Beispiel, wenn man es so nennen darf, bietet einer frommen Seele übergenug Stoff zu Preis und Anbetung. Es bringt uns ebenso wie die bereits besprochenen Fragen zum Bewußtsein, wie sehr unser Wissen um Gottes Wege nur an der Oberfläche liegt. Worin bestehen jene tiefen, verborgenen Gründe, daß Christus ging und der Geist kam? Wunderbar und herrlich, jenseits unserer Fassungskraft! In Schweigen wollen wir anbeten; halten wir mittlerweile voll Eifer diesen und jeden anderen Teil unseres Credo fest, damit wir nicht die darin verborgenen Wahrheiten uns entschlüpfen lassen, indem wir ein Jota oder ein Tüpfelchen streichen.

Außerdem lenkt der Weggang Christi und das Kommen des Heiligen Geistes unsere Seele zu unserem großen Trost auf den Gedanken an viele geringere Gnadenvermittlungen der Vorsehung an uns. Er, der nach Seinem unerforschlichen Willen zuerst Seinen wesensgleichen Sohn und dann Seinen ewigen Geist sandte, handelt aus Seinem tiefen Ratschluß. Auf diesen können wir uns getrost verlassen, wenn Er jene irdischen Werkzeuge, die Seine Pläne ausführen, von Ort zu Ort sendet. Das ist ein Gedanke, der uns beruhigt, besonders beim Verlust von Freunden oder von außerordentlich begabten Männern, die in ihren Tagen die irdische Stütze der Kirche zu sein schienen. Wahrscheinlich ist ihre Abberufung von hier für die Förderung gerade der Dinge, die uns am Herzen liegen, so notwendig wie der Weggang unseres Heilandes.

Ohne Zweifel „ist es gut“, daß sie abberufen werden; sonst wird irgendeine große Gnade uns nicht zuteil. Sie werden vielleicht weggenommen für andere Aufgaben im Dienste Gottes, die ebenso nützlich sind für das Heil der Auserwählten wie der irdische Dienst. Christus ging hin, um beim Vater Fürsprecher zu sein: Wir wissen es nicht und wir sollten nicht dreist spekulieren – und doch ist es möglich, daß die heimgegangenen Heiligen, ohne daß wir es wissen, für den Sieg der Wahrheit auf Erden beten; und ihre Gebete dort oben können tatsächlich genauso unentbehrliche Bedingungen dieses Sieges sein wie die Anstrengungen derer, die unter uns bleiben. Sicher werden sie zu einem bestimmten Zweck abberufen: Ihre Gaben sind für uns nicht verloren; ihr hochfliegender Geist, das Feuer ihrer Betrachtungen, die Heiligkeit ihres Verlangens, die Kraft ihres Glaubens, die Süße und Milde ihrer Liebe wurden ihnen nicht ohne Zweck verliehen. Ja, sie setzen zweifellos das ewige Lied im Heiligtum dort oben fort; sie bitten und preisen Gott bei Tag und Nacht in Seinem heiligen Tempel, wie Moses auf dem Berg, währenddessen Josue und seine Schar gegen Amalek kämpften. Kann ihnen eine größere Glückseligkeit zuteil werden, als eine Stellung innezuhaben nach dem Vorbilde jenes Heilandes, der von hier gegangen ist? Hat Er keinen Einfluß auf die Vorgänge in der Welt, weil Er fort ist? Obgleich Er der Lebendige ist, der erhöhte Herr des Alls, und die Herrschaft auf Seiner Schulter ruht, sie dagegen nur Seine Diener, ohne Kraft aus sich selbst, zudem dem Kampf zwischen Gut und Böse entrückt und in das Paradies Gottes versetzt, so erhellt doch so viel aus den von Gott eingegebenen Seiten der Geheimen Offenbarung, daß sie am Geschick der Kirche Anteil nehmen. Wir lesen dort von den Märtyrern, die mit lauter Stimme rufen: „Wie lange, Herr, Heiliger und Wahrhaftiger, richtest Du nicht und rächest nicht unser Blut an denen, die auf Erden wohnen“ (Offb 6, 10). Ein andermal heißt es von den Ältesten, daß sie Gott anbeten und sprechen: „Wir danken Dir, Herr, allmächtiger Gott, der Du bist, der Du warst und der Du kommen wirst, daß Du Deine große Kraft an Dich genommen und geherrscht hast. Zwar haben die Völker gezürnt, aber es ist gekommen Dein Zorn“ (Offb 11, 17. 18). Ferner rufen die Heiligen aus: „Groß und wunderbar sind Deine Werke, Herr, allmächtiger Gott; gerecht und wahrhaftig sind Deine Wege, König der Heiligen. Wer sollte Dich nicht fürchten, Herr, und Deinen Namen nicht preisen? Du allein bist ja heilig; alle Völker werden kommen und vor Dir anbeten, denn Deine Gerichte sind offenbar geworden“ (Offb 15, 3. 4). Vergessen wir nicht: Wie versiegelt die Weissagungen dieses heiligen Buches uns auch sein mögen, seine Lehren und Vorschriften sind es nicht; wir verlieren viel an Trost und Unterweisung, wenn wir sie nicht für den Glauben und den Gehorsam benützen.

Was ich jetzt von der Himmelfahrt unseres Herrn gesagt habe, läuft darauf hinaus: Wir leben in einer Welt der Geheimnisse, mit einem einzigen strahlenden Licht vor Augen, das hinreicht, um uns alle Schwierigkeiten durchschreiten zu lassen. Entfernet dieses Licht, und wir sind äußerst elend daran, – wir wissen nicht, wo wir sind, wie wir erhalten werden, was aus uns und allen denen wird, die uns teuer sind, was wir glauben sollen, und warum wir überhaupt da sind. Aber mit Ihm haben wir alles überreich. Um gar nicht zu erwähnen die Pflicht und Weisheit unbedingten Glaubens in der Liebe zu Dem, der uns geschaffen und erlöst hat, was gibt es anderes, das edler, was, das erhebender und entzückender wäre als die Großmut des Herzens, die alles auf Gottes Wort hin wagt, die Mächte des Bösen herausfordert, ihr Schlimmstes zu tun, und den Trug der Sinne und die Täuschungen des Verstandes zurückweist im Vertrauen auf die Wahrhaftigkeit Dessen, der zur Rechten der Majestät in die Höhe aufgestiegen ist. Wie unbegrenzt ist Sein Erbarmen, daß Er uns Sündern das Vorrecht einräumt, eher die Rolle von Helden als von Büßern zu spielen? Wer sind wir, „daß wir fähig sein“ und die Gelegenheit haben sollten, „so gern in dieser Weise freiwillig Gaben darzubringen“? (1 Chron 29, 14). – „Selig“, ja dreimal selig, „sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20, 29). Wir wollen nicht nach Schau verlangen; wir wollen uns erfreuen an unserem Vorrecht; wir wollen triumphieren, daß wir voranschreiten dürfen, „ohne zu wissen, wohin wir gehen“ (Joh 12, 35); aber wissend, daß „dies der Sieg ist, der die Welt überwindet, nämlich unser Glaube“ (1 Joh 5, 4). Hinreichend ist, daß unser Erlöser lebt; daß Er auf der Erde war und wiederkommen wird. Um Seinetwillen wagen wir unser Alles; wir können dankbar uns selbst in Seine Hände legen, unsere gegenwärtigen und ewigen Anliegen und die Anliegen all derer, die wir lieben. Christus ist gestorben, „ja noch mehr, Er ist auferstanden, Er sitzt zur Rechten Gottes, Er bittet auch für uns. Wer wird uns scheiden von Seiner Liebe? Trübsal oder Unglück, oder Verfolgung oder Hunger, oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Ja, in all dem obsiegen wir durch Den, der uns geliebt hat“ (Röm 8, 84-37).

aus: Deutsche Predigten (DP), Bd. II, Schwabenverlag 1950, pp. 230-241.