Gott sieht dich persönlich, wer immer du bist. Er „ruft dich bei deinem Namen“ (Is 43,1).

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Gott sieht dich persönlich, wer immer du bist. Er „ruft dich bei deinem Namen“ (Is 43,1). Er sieht dich und versteht dich, weil Er dich geschaffen hat. Er kennt, was in dir ist, alle deine eigenen beson­deren Gefühle und Gedanken, deine Anlagen und Neigungen, deine Stärke und deine Schwäche. Er erblickt dich am Tag deiner Freude und am Tag deiner Trauer. Er nimmt Anteil an deinen Hoff­nungen und Versuchungen. Er kümmert Sich um alle deine Befürchtungen und schmerzvollen Er­innerungen, um all das Auf und Ab deines Ge­mütes. Er hat sogar die Haare deines Hauptes und die Ellen deiner Leibeslänge gezählt. Er umgibt dich und trägt dich auf Seinen Armen; Er hebt dich auf und setzt dich nieder. Er nimmt auch auf dei­nem Antlitz wahr, ob es lacht oder weint, ob es gesund oder kränklich ist. Er schaut mit Zartgefühl auf deine Hände und Füße; Er hört deine Stimme, das Pochen deines Herzens und selbst deinen Atem. Du liebst dich selbst nicht mehr, als Er dich liebt. Dein Zurückschrecken vor Schmerz kann nicht stär­ker sein als Seine Trauer darüber, daß du ihn er­tragen mußt; und wenn Er ihn dir auferlegt, dann ist es, als müßtest du, falls du weise bist, ihn dir selbst auferlegen, um eines größeren künftigen Gutes willen. Du bist nicht nur Sein Geschöpf (und doch trägt Er sogar für die Sperlinge Sorge und hat Sich des „vielen Viehes“ (Jona 4,11) in Ninive er­barmt), du bist ein Mensch, erlöst und geheiligt, an Sohnes Statt angenommen, begnadet mit einem Anteil jener Herrlichkeit und Glückseligkeit, die von Ihm ohne Unterlaß zu Seinem Eingeborenen hinströmt. Du bist erwählt, Sein Eigentum zu sein, selbst deinesgleichen vorgezogen, die im Osten und Süden wohnen. Du bist einer von denen gewesen, für die Christus Sein letztes Gebet darbrachte, das Er mit Seinem kostbaren Blut besiegelte. Welch ein Gedanke ist das, ein Gedanke, fast zu groß für unseren Glauben! Wenn wir ihn erwägen, so kön­nen wir kaum anders als es Sara gleichtun und „lachen“ vor Staunen und Überraschung. Was ist der Mensch, was sind wir, was bin ich, daß der Sohn Gottes meiner so eingedenk ist? Was bin ich, daß Er mich von einer fast teuflischen Natur zu der eines Engels emporhob? Daß Er den ursprüng­lichen Zustand meiner Seele wandelte und mich neu machte, der ich von Jugend an ein Sünder war, und daß Er Selbst in diesem meinem Herzen wohnt und mich zu Seinem Tempel macht? Was bin ich, daß Gott der Heilige Geist in mich eingeht und meine Gedanken himmelwärts lenkt „mit unaus­sprechlichen Seufzern“ (Röm 8,26).

Dies sind die Erwägungen, die über den Christen kommen, um ihm Trost zu bringen, während er mit Christus auf dem heiligen Berg weilt. Und wenn er herabsteigt zu seinen täglichen Pflichten, sind sie immer noch seine innere Kraft, obwohl er seiner Umgebung nichts von seiner Vision sagen darf. Sie lassen sein Antlitz leuchten, machen ihn froh, ge­sammelt, heiter und fest inmitten aller Versuchung, Verfolgung oder Entbehrung. Wie niedrig und jämmerlich erscheint die Welt mit all ihren Bestre­bungen und Lehren, wenn wir solche Gedanken vor Augen haben! Wie wahrhaft erbärmlich kommt es uns dann vor, bei den Geschöpfen das Heil zu suchen; nach Stellung, Wohlstand oder Ansehen zu trachten; diese oder jene Lebensart zu erträumen; das Benehmen und das Sichgeben der Großen nach­zuäffen; die Zeit mit Torheiten zu vergeuden; un­zufrieden, streitsüchtig, eifersüchtig oder neidisch, tadelsüchtig oder empfindlich zu sein; unnützes Ge­rede zu lieben und Tagesneuigkeiten nachzujagen; sich abzugeben mit öffentlichen Angelegenheiten, wenn sie uns nichts angehen; sich für diese oder jene Belange oder Parteien zu erhitzen; auf Ge­winn aus zu sein oder sich der Mehrung unfrucht­baren Wissens zu widmen! Und wenn am Ende unserer Tage Fleisch und Herz versagen, was wird unser Trost sein, selbst wenn wir uns bereichert oder ein Amt verwaltet haben oder der erste unter unseresgleichen gewesen sind; oder einen Neben­buhler unterdrückt oder die Dinge nach unserem Belieben dirigiert oder einen glänzenden Haus­stand gegründet haben oder die Vertrauten der Großen gewesen sind oder kostspielig getafelt oder einen Namen erlangt haben! Sagt, selbst wenn wir das erreichen, was am längsten währt, einen Platz in der Geschichte, welche Asche werden wir trotz allem statt Brot gegessen haben! Und in jener ern­sten Stunde, wenn der Tod in Sicht ist, wird Er, dessen Auge jetzt so liebend auf uns ruht und des­sen Hand sich so sanft auf uns legt, wird Er uns noch kennen? Oder wenn Er noch zu uns spricht, wird Seine Stimme irgendwelche Kraft haben, uns aufzurütteln? Wird sie uns nicht eher zurückstoßen wie den Judas, gerade durch ihre Zartheit, mit der sie uns zu Ihm einladen möchte?

aus der Predigt: Die besondere Vorsehung, im Evangelium geoffenbart DP III, 9