Glaube und Zweifel

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Menschen, die sich aus Neugierde oder aus besserem Motiv gedrängt fühlen, sich über die katholische Religion Gedanken zu machen, stellen uns manchmal eine seltsame Frage – ob es ihnen, falls sie sich zu ihr bekennen, noch freistünde, die Frage ihrer göttlichen Autorität von neuem zu prüfen, wenn sie die Neigung dazu verspürten. Sie meinen mit dem „Überprüfen“ eine Untersuchung, die ihren Ursprung in einem Zweifel hat und möglicherweise in einer Leugnung endigt. Dieselbe Frage wird in der Form eines Einwandes auch oft von jenen gestellt, die nie daran denken, katholisch zu werden, die sich des weiten und breiten darüber ergehen, daß es doch etwas Furchtbares sei, daß für jeden, habe er einmal die Hürde der Kirche betreten, das Ausgangstor für immer verschlossen bleibe; daß für einen, sobald er Katholik geworden sei, die Möglichkeit eines Zweifels nie und nimmer bestünde, daß er jede Art von Bedenken zu unterdrücken habe, ja davor zu fliehen habe wie vor einer Einflüsterung des bösen Geistes: kurz, daß er jede Art von Wahrheitssuchen vollständig aufzugeben, seinem Geist Gewalt anzutun habe – das aber sei so viel wie unmoralisch. Das sind, meine Brüder, die Einwände, die von gewissen Gegnern vorgebracht werden, indes ihre eigene Ansicht die ist, oder bei einiger Folgerichtigkeit die sein müßte: es sei ein Fehler, sich ein für allemal auf eine religiöse Wahrheit festzulegen; zudem müßten wir uns gegenüber jeder Lehre, so heilig sie sei und so evident sie uns auch erscheine – zum Beispiel die Lehre von der Gottheit unseres Herrn oder von der Existenz Gottes – stets die Freiheit zum Zweifel vorbehalten. Für mich ist der Gedanke unausweichlich, daß ein so extravaganter Standpunkt ein Widerspruch in sich selbst ist. Ich will aber nun die gegenteilige (das heißt katholische) Ansicht in dieser Frage für sich allein ins Auge fassen, ohne indessen die von den eben erwähnten Gegnern benutzte Sprechweise zu billigen.

Es ist vollkommen richtig, daß die Kirche ihren Kindern nicht gestattet, irgendeinen Zweifel an ihrer Lehre zu unterhalten, und zwar erstlich schon einfach aus dem Grunde, weil sie nur katholisch sind, solange sie Glauben haben, der Glaube aber mit dem Zweifel nicht vereinbar ist. Es kann keiner ein Katholik sein, ohne den einfachen Glauben daran zu haben, daß jede Erklärung der Kirche im Namen Gottes Wort Gottes und deshalb wahr ist. Man muß einfach glauben, daß die Kirche das Orakel Gottes ist; man muß ihrer Mission ebenso gewiß sein wie der Mission der Apostel. Könnte nun also einer von sich behaupten, er besäße Gewißheit darüber, daß die Apostel von Gott ge­ommen sind, wenn er unmittelbar nach Bekenntnis dieser Gewißheit hinzufügte, er könne möglicherweise eines Tages an ihrer Sendung zweifeln? Solch eine Vorwegnahme wäre ein eigentlicher, wenn auch latenter Zweifel, da sie eine gegenwärtig vorhandene Ungewißheit verriete. Wenn jemand sagt: „Jetzt im Augenblick glaube ich, aber vielleicht bin ich, ohne es zu wissen, nur in gehobenem Zustand, und ich kann nicht dafür einstehen, daß ich morgen auch noch glaube“ – dieser glaubt überhaupt nicht. Wenn jemand sagt: „Vielleicht unterliege ich einer Täuschung, die eines Tages von mir abfallen wird und mich im früheren Zustand beläßt“, oder: „Ich glaube, soweit ich es sagen kann, aber im Hintergrund lauern vielleicht Argumente, die meiner Ansicht eine Wendung geben können“ – so hat er überhaupt keinen Glauben. Wenn daher die Protestanten mit uns hadern, weil wir sagen, daß alle, die sich uns anschließen, jeglichen Gedanken eines künftigen Zweifels an der Kirche aufzugeben hätten, dann hadern sie einfach deshalb mit uns, weil wir auf der Notwendigkeit des Glaubens an die Kirche bestehen. Nur heraus mit der Sprache: sie nehmen uns übel, daß wir den Glauben an die katholische Kirche fordern – das ist es und nichts anderes. Ich muß mit Nachdruck betonen: Der Glaube meint eine Zuversicht des Geistes, dahingehend, daß der Glaubensinhalt in Wirklichkeit wahr ist; ist er aber einmal wahr, dann kann er niemals falsch sein. Wenn es wahr ist, daß Gott Mensch wurde, was bedeutet dann meine Annahme, es könne einmal eine Zeit kommen, in der ich vielleicht nicht mehr glaube, daß Gott Mensch geworden ist? Das heißt nichts anderes, als eine künftige Zeit vorausnehmen, in der ich nicht mehr an die Wahrheit glaube. Und wenn ich um die Freiheit kämpfe, daß ich in der künftigen Zeit nicht zu glauben brauche oder an der Menschwerdung Gottes zweifeln dürfe, dann fordere ich ja nur die Freiheit, an einer ewigen Wahrheit zweifeln zu dürfen oder sie nicht glauben zu brauchen. Ich sehe den Segen einer solchen Freiheit nicht ein, noch den Sinn eines Wunsches, sie mir zu sichern; habe ich im Augenblick überhaupt keinen Zweifel an der ewigen Wahrheit, dann bitte ich ja nur um die Erlaubnis, in Irrtum fallen zu können – habe ich aber im Augenblick Zweifel daran, dann glaube ich im Augenblick nicht daran, das heißt, ich habe den Glauben nicht. Aber ich kann nicht beides tun: im Augenblick wirklich daran glauben und zugleich eine künftige Zeit abwarten, in der ich vielleicht nicht mehr daran glaube; Veranstaltungen machen für einen künftigen Zweifel, heißt soviel wie im Augenblick zweifeln. Das beweist, daß ich im Augenblick zweifle. Das beweist, daß ich jetzt nicht in der rechten Verfassung bin, katholisch zu werden. Ich kann halb und halb lieben; ich kann halb und halb gehorchen; aber ich kann nicht halb und halb glauben; entweder habe ich Glauben, oder ich habe ihn nicht.

Dasselbe gilt auch für einen, der katholisch geworden ist: Ginge er daran, einen auftauchenden Zweifel weiter zu verfolgen, dann ist er schon ungläubig geworden. Ich brauche ihn nicht mehr zu ermahnen, seinen Glauben nicht zu verlieren, er ist nicht nur erst in der Gefahr, ihn zu verlieren, er hat ihn bereits verloren; der Natur der Sache nach hat er ihn bereits verloren; er ist aus der Gnade gefallen in dem Augenblick, als er seinem Zweifel freiwillig nachhing und ihn weiter verfolgte. Niemand kann sich zu einem Zweifel entschließen über das, was ihm zur Gewißheit geworden ist; hat er aber keine Gewißheit darüber, daß die Kirche von Gott ist, dann glaubt er nicht an sie. Nicht ich verbiete ihm den Zweifel, er hat die Sache selbst in die Hand genommen, als er sich entschloß, um die Freiheit zu bitten; schon der Anfang war Unglaube, nicht erst das Ende; schon der Wunsch, schon der Vorsatz war seine Sünde. Das ist nicht mein Werk, das liegt in der Natur der Sache selbst. So hört man zum Beispiel manchmal vom Abfall von Katholiken, die einem sagen, ihr Anlaß dazu sei die Schriftlesung gewesen, die ihnen die Augen geöffnet habe über die „Schriftwidrigkeit“, wie sie sagen, der Kirche des lebendigen Gottes. Nein, die Schrift hat sie nicht ungläubig gemacht (unmöglich!); sie glaubten schon nicht mehr, als sie die Bibel öffneten; sie haben sie geöffnet im Geist des Unglaubens und zu einem ungläubigen Zweck; sie hätten sie gar nicht geöffnet, hätten sie nicht von vornherein angenommen – ich möchte sagen, gehofft -, daß sie dort etwas fänden, das mit der katholischen Kirche nicht im Einklang steht. Sie beginnen mit Eigenwilligkeit und Ungehorsam und endigen beim Abfall. Das ist also der eigentliche und deutliche Grund, warum die Kirche ihren Kindern nicht die Freiheit gewähren kann, an der Wahrheit ihres Wortes zu zweifeln. Wer jetzt wahrhaftig daran glaubt, der kann sich keine Gründe der Zukunft vorstellen, deren Aufdeckung seinen Glauben ins Wanken brächte; stellt er sie sich vor, dann hat er keinen Glauben. Die Tatsache, daß so viele Protestanten es von seiten der Kirche als Tyrannei ansehen, wenn sie ihren Kindern den Zweifel an ihrer Lehre verbietet, beweist nur, daß sie nicht wissen, was Glaube ist – und das ist so. Er ist für sie ein Fremdkörper. Man höre auf zu forschen oder man höre auf, sich ein Kind der Kirche zu nennen.

Das ist mein erster Gedanke, und nun gehe ich über zum zweiten. Ihr könnt leicht begreifen, meine Brüder, daß jene, die in die Kirche eintreten wollen, oder wenigstens jene, die schon eingetreten sind, etwas mehr haben als Glauben – daß sie auch schon einen gewissen Anteil an der göttlichen Liebe haben. Sie haben in der Kirche von der Liebe Dessen gehört, der für sie starb und der ihnen Seine Sakramente gegeben hat als Werkzeuge, die ihrer Seele die Verdienste Seines Todes vermitteln sollen, und sie haben mindestens in diesen ihren armen Seelen die Anfänge einer Liebeserwiderung gefühlt, die sie zu Ihm hinzieht. Ist es nun mit diesem liebenden Vertrauen eher vereinbar als mit dem Glauben, wenn einer die Möglichkeit des Zweifels oder die Leugnung der großen Erbarmungen, die er genießt, zum voraus in Betracht zieht? Dazu ein Beispiel: Was würdet ihr von einem Freund halten, den ihr liebt und der trotz seines augenblicklichen Vertrauens euch die Genehmigung abringt, eines Tages an euch zweifeln zu dürfen? Einem Freund, der den etwa aufkeimenden Gedanken, ihr triebet euer Spiel mit ihm oder ihr wäret ein Schurke und Verruchter, diesen nicht mit Unwillen von sich scheuchte, oder ob seiner Absurdität als lächerlich verwürfe, der vielmehr glaubte, ein ausgesprochenes Recht zu haben, ihn zu unterhalten, ja sogar sich eines Pflichtversäumnisses schuldig zu machen, täte er es nicht? Würdet ihr wohl denken, euer Freund treibe sein Spiel mit der Wahrheit, oder er lasse seine Vernunft nicht zu ihrem Recht kommen, es fehle ihm an Männlichkeit, oder er versündige sich gegen seinen eigenen Geist, wenn er vor diesem Gedanken zurückschreckte? Oder würdet ihr ihn nicht gerade dann für grausam und erbärmlich halten, wenn er es nicht täte? Wählte er das letztere, meine Brüder, dann wünschte ich, mit einem solchen unsympathischen Menschen nie befreundet zu werden; argwöhnische, eifersüchtige Charaktere, die Abstand von mir halten, die auf ihren Rechten bestehen, die stets nur sich selbst zum Mittelpunkt haben, die stets den Beleidigten spielen, die kalt, kritisch, wankelmütig und unzuverlässig sind, solche muß man oft als ein Kreuz ertragen. Aber gib mir zum Freund einen, der mit Herz und Hand zu mir steht, der sich meine Sache und meine Interessen zu eigen macht, der für mich eintritt, wenn ich angegriffen werde, der von vornherein sicher ist, daß ich Recht habe, der, wenn er kritisch ist, wie es gegenüber einem Wesen von Sünde und Unvollkommenheit berechtigt sein mag, es aus lauter Liebe und Treue, aus Besorgtheit ist, daß ich stets in gutem Licht dastehen möge, und aus dem Wunsch, daß andere mich so herzlich lieben möchten, wie er mich liebt. Ich könnte nicht sagen, ein Freund traue mir, der jedem seichten Geschwätz über mich zuhörte. Ja, seine Abwesenheit wäre mir erwünschter als seine Anwesenheit, wenn er mir im Ernst versicherte, er sei es sich selbst schuldig, daß er seinem Argwohn gegen meine Ehre Raum gebe.

Doch nun zu einem höheren Gegenstand: Könnte man von jemandem sagen, er vertraue auf Gott und liebe Gott, der sich ständig mit Zweifeln befaßte, ob es überhaupt einen Gott gibt, der es sich aushandelte, daß es ihm nach Belieben freistehen müsse, zu zweifeln, ob Gott gut, ob Er gerecht und allmächtig sei, und der behauptete, er wäre nur ein armseliger Sklave, falls er es nicht tue, es seien seinem Geist Fesseln angelegt und ein freiwilliger Dienst an seinem Schöpfer sei ihm unmöglich gemacht – der es sich aushandeln wollte, daß die gottgefällige Verehrung auf seiten des Anbetenden von einem „caveat“ begleitet sein müsse, daß er kein Versprechen geben könne, auch morgen seinen Dienst zu tun, daß er nicht dafür bürgen könne, ob nicht eines Tages ein Beweis auftauchen könne, von dem er nie zuvor gehört habe, und der es ihm zur schweren sittlichen Pflicht mache, sich abwartend zu verhalten mit seinem Urteil und seiner Verehrung. Meiner Treu‘, ich würde sagen, meine Brüder, ein solcher betet seinen eigenen Geist an, sein eigenes liebes Ich, aber nicht Gott; seine Gottesidee ist nur ein zufälliger Begriff, den sich sein Denken irgendwann einmal gebildet hat, auf längere oder kürzere Zeit, je nachdem; er ist nicht das Abbild des großen ewigen Wesens, sondern ein flüchtiges Gefühl oder Phantasiegebilde, bar jeder Bedeutung. Ich würde in Übereinstimmung mit den meisten Menschen, sollten sie sich mit der Sache befassen, sagen, daß der Betreffende äußerst selbstgefällig und selbstweise sei, er habe keine Liebe, keinen Glauben, keine Furcht, noch irgend etwas Übernatürliches; erst müsse sein Stolz gebrochen und sein Herz erneuert werden, ehe er eines religiösen Aktes überhaupt fähig würde. Das Argument ist, wenn auf die Kirche angewandt, auf seine Art dasselbe. Sie spricht zu uns als Botin Gottes – wie kann dann einer, der das empfindet, der sich ihr nähert, der ihr als solcher zu Füßen fällt, solch einen Vorbehalt machen, später einmal an ihr einen Zweifel aufkommen lassen zu wollen? Die Welt möge, wenn sie Lust hat, ihre Stimme erheben, der Geist des Menschen liege in Fesseln; sie möge verkünden, jener sei bigott, wenn er sich nicht das Recht vorbehalte zu zweifeln; aber er weiß selber recht gut, daß er undankbar und töricht wäre, täte er es. Ketten, ja! die „Bande Adams“, die Fessern der Liebe, die sind es, die ihn an die heilige Kirche binden; mit dem Apostel ist er der Sklave Christi, des Herrn der Kirche; verbunden (unauflöslich, wie er hofft, sein Leben lang) mit ihren Sakramenten, ihrem Opfer, ihren Heiligen, der seligen Jungfrau Maria, ihrer Fürsprecherin, mit Jesus, mit Gott.

In Wahrheit wähnt die Welt, die die Segnungen des katholischen Glaubens nicht kennt und über ihn nur Böses zu prophezeien hat, daß ein Konvertit auf seinen Erstlingseifer hin nichts als Enttäuschung, Überdruß und Ärgernis in seiner neuen Religion empfinde und insgeheim den Wunsch habe, seinen Schritt zurückzunehmen. Das liegt an der Wurzel der Aufregung und Gereiztheit, die sie bekundet, wenn sie hört, daß mit dem katholischen Bekenntnis der Zweifel unvereinbar sei, ist sie doch überzeugt, daß sich Zweifel bei ihm einstellen werden – und wie jämmerlich wird dann sein Zustand sein! Der Gedanke, daß in der Kirche Friede, Freude, Erkenntnis, Freiheit und geistige Kraft sein können, liegt viel zu hoch für die Vorstellung der Welt; denn sie sieht in ihr nur eine furchtbare Verschwörung gegen das Glück des Menschen, die ihre Opfer durch lockende Verheißungen verführt, die aber, sobald sie ihrer habhaft ist, sich keinen Deut um das Elend kümmert, das sie befällt, wenn sie sie nur auf jegliche Art in Fesseln halten kann. Infolgedessen meint die Welt, wir lägen in ewigem Streit mit unserer Vernunft, da doch immerfort in unserem Innern heftige Einwürfe aufstiegen, die wir nur mit Gewalt zu unterdrücken vermöchten. Sie ist des Glaubens, daß wir gleich dem leck gewordenen Schill immerfort das eindringende Wasser auszupumpen hätten und uns nur mit Mühe über Wasser halten könnten; wir seien gerade noch imstande, uns weiter zu schleppen, sei es durch eine unnatürliche Anstrengung unseres Geistes oder durch Ablenkung des Geistes von den religiösen Fragen. Die Welt hat selbst keinen Glauben an unsere Lehren als solche und kann nicht verstehen, daß wir an sie glauben. Sie hält sie für so seltsam, daß es ihr ganz klar ist, daß wir Tag und Nacht, ohne es uns eingestehen zu wollen, von Zweifeln verfolgt und von der Angst gequält würden, wir könnten ihnen erliegen. Ich glaube im Ernst, nach dem Urteil der Welt liegt eine der Hauptaufgaben, die der Beichtvater zu erfüllen hat, darin, daß er diese Unruhe in sei-nen Beichtkindern zu beschwichtigen habe.

Sie bildet sich ein, wie das Fleisch, so sei auch die Vernunft in ewigem Aufruhr, und ähnlich wie die Begierde, so entstünde auch der Zweifel durch jeden Blick und Laut und auf jeder Seite, die die Druckerpresse verläßt; und schon durch die Stimme einer protestantischen Polemik stelle sich eine Versuchung ein. Erblickt die Welt einen katholischen Priester, dann nimmt sie ihn scharf unter die Lupe, um herauszufinden, wieviel an Torheit und Heuchelei in seiner Haltung zutage tritt. Aber freilich, meine Brüder, wenn das eure Gedanken sind, dann seid ihr einfach im Irrtum. Glaubt mir eher als der Welt, wenn ich euch sage, daß es dem Katholiken nicht schwerfällt zu glauben; ja, daß für ihn, außer er versündige sich schwer an sich selbst, die Schwierigkeit eher darin bestünde zu zweifeln. Er hat eine Gnade empfangen, die ihm das Glauben leicht macht; nur mit Mühe, einer unseligen Mühe, brächte einer, der diese Gabe erhalten hat, es fertig, den Glauben abzuschütteln. Er tut seinem Geist Gewalt an nicht durch die Betätigung des Glaubens, sondern wenn er ihn ausschaltet. Begegnen ihm Einwände, was ja leicht der Fall ist für einen, der in der Welt lebt, dann sind sie ihm lästig und unwillkommen, wie es unreine Gedanken dem Tugendhaften sind. Er schreckt sicherlich vor ihnen zurück, ja, er schleudert sie von sich – und warum? Nicht in erster Linie, weil sie gefährlich sind, sondern weil sie grausam und niedrig sind. Sein Herr hat in Liebe alles für ihn getan – hat Er eine solche Antwort verdient? Popule meus, quid feci tibi? „Mein Volk, was habe Ich dir getan und worin dich betrübt? Antworte Mir! Ich habe dich aus dem Lande Ägypten geführt und aus dem Hause der Sklaven dich befreit; Ich sandte vor dir her Moses, Aaron und Maria; Ich umzäunte dich und bepflanzte dich mit edlen Reben . . . was hätte Ich Meinem Weinberg noch tun sollen, das Ich nicht getan?“ [Mich 6, 3. 4; Is 5, 2. 4]. Er hat Seine Gnade über uns ausgegossen, Er war bei uns in unserer Not; Er hat uns von Wahrheit zu Wahrheit geführt. Er hat uns unsere Sünden vergeben; Er hat unsere Vernunft zufriedengestellt; Er hat uns den Glauben leicht gemacht, Er hat uns Heilige geschenkt; Er läßt uns Tag für Tag Seine Passion schauen – weshalb sollten wir Ihn verlassen? Was anderes als Gutes hat Er mir eh und je erwiesen? Weshalb sollte ich nochmals überprüfen, was ich ein für allemal geprüft habe? Weshalb sollte ich auf jedes müßige Wort horchen, das gegen Ihn an mir vorbeifliegt, nur um nicht als bigott und sklavisch bezeichnet zu werden, wenn ich, täte ich es, gegen den Allerhöchsten mich so benähme, wie ihr, die ihr mich so nennt, euch selber nicht gegen einen menschlichen Freund und Wohltäter benehmen würdet? Bin ich im Geiste überzeugt und im Herzen erfaßt, warum soll es mir nicht gestattet sein, meine Andacht unbehelligt verrichten zu dürfen?

Ich habe nun über diese Frage genug gesagt; doch erübrigt noch ein dritter Gesichtspunkt, auf den einzugehen sich lohnt. Persönliche Klugheit ist nicht der erste und nicht der zweite Grund, warum man einen Einwand gegen die Kirche nicht anhören sollte; aber ein Beweggrund ist sie doch, und zwar auf Grund der besonderen Natur des göttlichen Glaubens, den man nicht wie eine gewöhnliche Überzeugung oder Meinung behandeln kann. Der Glaube ist eine Gnade Gottes und nicht ein reiner Akt unserseits, den wir nach Belieben setzen können. Er ist ganz verschieden von einem Akt der Vernunft, wenngleich er auf ihn folgt. Mag sein, daß ich die Beweiskraft für den göttlichen Ursprung der Kirche fühle, mag sein, ich erkenne, daß ich glauben müßte, und dennoch könnte ich unfähig sein zu glauben. Das ist keine bloße Annahme; manch einer hat guten Grund zu glauben, ja, er wünscht zu glauben, aber er kann nicht glauben. Zwar liegt stets der Fehler bei ihm, denn Gott gibt allen Gnade, die darum bitten und sie ausnützen; die Tatsache bleibt aber dennoch bestehen, daß Überzeugung nicht Glaube ist. Nehmen wir den Gehorsam als Parallelfall: manch einer weiß, daß er Gott zu gehorchen hätte, aber er tut es nicht und kann es nicht – immerhin durch seinen eigenen Fehler, aber er kann nicht, denn nur durch die Gnade vermag er zu gehorchen. Nun aber ist der Glaube nicht eine bloße Überzeugung im Verstand, er ist eine feste Zustimmung, er ist eine klare Gewißheit, größer als jede andere Gewißheit; das aber ist das Werk der Gnade Gottes im Innern, ihr Werk allein. Wie also Menschen von etwas überzeugt sein können, ohne nach ihrer Überzeugung zu handeln, so können sie überzeugt sein, ohne ihrer Überzeugung gemäß zu glauben. Sie mögen es zugeben, daß der Beweis gegen sie spricht und daß sie nichts zu ihren Gunsten vor-bringen können, ja, daß glauben glücklich sein heißt – und dennoch beteuern sie schließlich, daß sie nicht glauben können. Sie wissen nicht warum, aber sie können eben nicht, und so fügen sie sich in ihren Unglauben und wenden sich von Gott und von Seiner Kirche ab. Ihre Vernunft ist überzeugt, und ihre Zweifel sind moralischer Art, kommen sie doch wurzelhaft aus einem Versagen des Willens. Mit einem Wort: Die Argumente für die Religion zwingen keinen Menschen zu glauben, ebenso wenig wie die Beweise für ein gutes Handeln einen zum Gehorsam zwingen. Gehorsam ist die Konsequenz des Willens zu gehorchen und Glaube ist die Konsequenz des Willens zu glauben. Wir können aus eigener Kraft das Rechte in Dingen des Glaubens oder des Gehorsams erkennen, aber ohne die Gnade Gottes können wir das Rechte nicht wollen. Hierin liegt der Unterschied zwischen anderen Betätigungen der Vernunft und den Argumenten für die Wahrheit der Religion. Es bedarf keines Glaubensaktes, um der Wahrheit, daß zwei und zwei vier ist, zuzustimmen; dem müssen wir einfach zustimmen, und darum ist es auch kein Verdienst, ihm zuzustimmen; aber es ist verdienstlich zu glauben, daß die Kirche von Gott kommt. Obwohl es nämlich Gründe in Fülle gibt, es uns zu beweisen, so können wir dennoch, ohne sinnlos zu handeln, die Schlußfolgerungen bekritteln; wir können uns darüber beklagen, daß sie nicht deutlicher sind, wir können unsere Zustimmung in der Schwebe halten, wir können, wenn wir wollen, daran zweifeln; die Gnade allein kann den bösen Willen zum guten Willen wandeln.

So seht ihr, warum ein Katholik aus Klugheit es nicht wagt, auf Einwände, wie man sie gegen seinen Glauben vorbringt, einzugehen; nicht davor bangt ihm, daß sie beweisen könnten, die Kirche komme nicht von Gott, aber er befürchtet, daß Gott ihn, sollte er grundlos auf sie horchen, mit dem Entzug des übernatürlichen Glaubens strafen könnte. Das ist eine der Ursachen für jenen beklagenswerten Zustand, den ich erwähnt habe, in dem einer wohl gern katholisch sein möchte, es aber nicht ist. Diese Menschen haben ihre Überzeugung nicht ernst genommen, sie haben Beweisen ihr Ohr geliehen, die gegen die erkannte Wahrheit gesprochen haben, und so hat sie eine Stumpfheit des Geistes befallen. Der Glaube ist an ihnen vorbeigegangen und im Laufe der Zeit wird aus ihren Worten und Taten das göttliche Gericht offenbar, mit dem sie heimgesucht wurden. Sie werden lässig und uninteressiert, oder sie werden ruhelos und unglücklich oder des dauernden Widerspruches müde; stets fragen sie um Rat und begehren dagegen auf, wenn sie ihn erhalten; sie machen keinen Versuch mehr, auf die Argumente, die man gegen sie vorbringt, zu antworten, sie glauben einfach nicht. Das ist mit einem Wort ihre Lage: sie glauben nicht. Was aber dann aus ihnen wird, bleibt dem Zufall überlassen; vielleicht verharren sie in diesem wirren und trostlosen Zustand und stehen unschlüssig vor den Toren der Kirche, ohne ihr anzugehören; sie wissen nicht, was sie glauben und was nicht, gleich Blinden oder Geistesgestörten, die des körperlichen oder geistigen Auges beraubt sind, und infolgedessen sich nicht zu leiten verstehen; stets Hoffnungen auf Rückkehr in sich weckend und ewig in Enttäuschung endend. Sind es aber Menschen von größerer Energie, dann schlittern sie immer weiter auf der Bahn des Unglaubens, nicht als glaubten sie fortschreitend wirklich weniger, haben sie doch von Anfang an nicht geglaubt; sie nehmen mit der Zeit immer festere Formen des Irrtums an, bis sie, wenn das Feld für sie frei war, manchmal sogar im Atheismus landen. Das ist das Ende derer, die unter dem Vorwand der Wahrheitssuche ihre Überzeugung nicht ernst genommen haben.

Das also sind einige der Gründe, warum die katholische Kirche ihren Kindern konsequenterweise nicht erlauben kann, an der Göttlichkeit und Wahrheit ihrer Worte zu zweifeln. Die bloße Erforschung der Gründe des Glaubens ist natürlich noch kein Zweifel; auch das ist kein Zweifel, wenn man die Gegenargumente untersucht, sofern gute Gründe dafür sprechen; ich spreche ja hier von wirklichen Zweifeln oder von ganz willkürlicher Beschäftigung mit den Einwürfen. Ein solches Verhalten wird von der Kirche mißbilligt, und dies nicht allein aus den angegebenen Gründen, sondern weil es den vollen Verzicht auf ihre Pflicht und ihr Wesen bedeuten würde, wollte sie anders handeln. Wie kann sie, die sie die Gabe der Unfehlbarkeit besitzt, ihren Kindern gestatten, an ihrer Gabe zu zweifeln? Es wäre die reinste Inkonsequenz ihrerseits, die sie doch das sichere Orakel der Wahrheit und die Botin des Himmels ist, wollte sie mit Gleichgültigkeit auf die Rebellen gegen die Autorität schauen. Sie tut einfach, was die Apostel, deren Nachfolgerin sie ist, vor ihr getan haben. „Wer daher dies mißachtet, mißachtet nicht Menschen, sondern Gott, der auch Seinen Heiligen Geist uns gegeben hat“ [1 Thess 4,8]. Und der heilige Johannes sagt: „Wir aber sind aus Gott, und wer Gott erkennt, hört auf uns; wer nicht aus Gott ist, der hört nicht auf uns. Daran erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums“ [1 Jo 4,6]. Nehmen wir noch ein Beispiel aus dem Alten Testament hinzu. Als Elias in den Himmel aufgenommen wurde, war Elisäus der einzige Zeuge dieses Wunders. Als er dann zu den Prophetensöhnen zurückkam, waren sie im Zweifel darüber, was wohl aus ihrem Meister geworden war und wollten ihn suchen; und obwohl sie den Elisäus als Nachfolger anerkannten, weigerten sie sich dennoch, sein Wort in diesem Punkt anzunehmen. Elisäus hatte die Wasser des Jordan (mit dem Mantel des Elias) geschlagen; sie teilten sich, und er war hindurchgegangen. Hier war also gewiß Grund genug zu glauben, und deshalb „sagten die Prophetensöhne in Jericho, die sahen, wie er auf sie zukam: Der Geist des Elias ruht auf Elisäus, und so gingen sie ihm entgegen und huldigten ihm, indem sie sich zu Boden warfen“ [4 Kg 2,15 ff.]. Was konnten sie noch mehr verlangen? Sie bekannten, daß Elisäus den Geist seines großen Meisters empfangen hatte, und durch ihr Bekenntnis gaben sie zu verstehen, daß der Meister hinweggenommen war; aber aus Schwäche des Geistes stellten sie trotzdem noch eine Bitte, die ihren Zweifel offenbarte. „Siehe, unter deinen Knechten sind fünfzig starke Männer, die hingehen und deinen Herrn suchen können; vielleicht daß ihn der Geist des Herrn genommen und auf einen Berg oder in eines der Täler geworfen hat.“ Hier also handelt es sich um eine Bitte, einen Zweifel in die Nachforschung hinein verfolgen zu dürfen. Hat Elisäus es gestattet? Er wußte ganz genau, daß die Suche in einer Bestätigung der Wahrheit enden würde, wie es denn auch geschah; aber das tun, war Nachgiebigkeit gegen einen verkehrten Geist, und er wollte es nicht gestatten. Diese frommen Männer waren, wie er wohl empfand, merkwürdig inkonsequent; sie zweifelten an seinem Wort, kaum daß sie ihm als Propheten gehuldigt hatten – und nicht nur dies, sie bezweifelten sogar seine höchste Autorität, denn sie gaben zu verstehen, daß Elias noch unter ihnen war. Infolgedessen verbot er das Suchen: „Er sagte: Sendet nicht.“ Gerade das würde also die Welt eine Unterdrückung der freien Forschung nennen. Es war in der Tat Tyrannei und Vergewaltigung, von ihnen zu verlangen, auf sein Wort hin anzunehmen, was sie selbst feststellen konnten. Er aber konnte nicht anders handeln, wollte er nicht seiner Mission untreu werden und ihre Sünde sanktionieren. Es ist wahr, er hat, „als sie in ihn drangen, eingewilligt und gesagt: ,So sendet'“; aber wir dürfen dies nur als eine Herablassung gegen ihre Schwäche ansehen oder als ein Zugeständnis unter Mißbilligung, wie Gott dies einst dem Balaam gewährte, der seine Bitte auf ähnliche Weise durchsetzte. Als Balaam darum bat, mit den Ältesten Moabs ziehen zu dürfen, sagte Gott: „Zieh nicht mit ihnen“, und als Balaam Ihn „nochmals bat, sagte Gott zu ihm: Mache dich auf und zieh mit ihnen. Dann aber heißt es: „Balaam ging mit ihnen und es erzürnte Gott“ [Num 22, 12. 20. 22]. Auf ähnliche Weise sagte hier der Prophet:„So sendet und sie sandten fünfzig Mann und sie suchten drei Tage und fanden ihn nicht.“ Und obwohl die Nachforschung nur bestätigte, daß Elias hinweg genommen war, so war Elisäus nicht damit zufrieden, selbst nachdem die Suche seine Autorität gefestigt hatte: vielmehr sagte er zu ihnen: „Habe ich euch nicht gesagt: Sendet nicht?“ Das ist die Weise, wie die Kirche stets jenen das Nachforschen verbietet, die ihre Autorität bereits anerkennen; wollen sie aber dennoch forschen, dann kann sie sie nicht daran hindern – berechtigt sind sie jedoch nicht dazu.

Nun glaube ich, meine Brüder, werdet ihr verstehen, warum die Forschung dem Glauben vorausgeht, nicht aber ihm folgt. Ihr habt nachgeforscht, ehe ihr zur Kirche kämet; ihr habt eure Befriedigung gefunden, und Gott hat euch mit der Gnade des Glaubens belohnt. Wäret ihr aber nun entschlossen weiter zuforschen, dann würdet ihr uns auf den Gedanken bringen, ihr hättet die Gnade wieder verloren, denn Suchen und Glauben sind ihrer Natur nach unvereinbar miteinander. Ich will etwas sehr Einleuchtendes hinzufügen, daß nämlich keine andere Religionsgemeinschaft außer der katholischen Kirche das Recht hat, eine solche Betätigung des Glaubens von ihren Anhängern zu fordern, noch ein Recht hat, Nachforschungen zu verbieten. Der Grund ist einfach der, daß keine andere Religionsgemeinschaft den Anspruch auf Unfehlbarkeit erhebt, gar nicht zu reden von dem Nachweis solch eines Anspruches. Hier setzt zunächst der Fehler ein, der sie alle samt und sonders unfähig macht, mit der Kirche in Wettstreit zu treten. Die Sekten ringsum verzichten nicht nur auf euren Glauben, sondern fordern euch ausdrücklich auf, nach zu forschen und freimütig an ihrer eigenen Würde zu zweifeln. Sie bestehen darauf, nur freiwillige Vereinigungen zu sein und würden es bedauern, für etwas anderes gehalten zu werden. Sie bitten und beschwören euch, ihre Prediger ja für nichts anderes anzusehen als für sündige Menschen, sie laden euch ein, die Bibel zu ihren Predigten mitzubringen und selber zu urteilen, ob ihre Lehre mit ihr übereinstimme. Was die anglikanische Kirche angeht, so sei zugegeben, daß es in ihr eine Richtung gibt, die die Nachforschung über ihre Ansprüche verbietet. Wagt sie es aber, die Unfehlbarkeit für sich in Anspruch zu nehmen? Tut sie es nicht (keiner tut es), wie kann sie dann die Nachforschung verbieten oder einen absoluten Glauben an sie von irgendeinem ihrer Mitglieder verlangen? Glaube ist unter diesen Umständen nicht eigentlich Glaube, sondern Starrsinn. Im allgemeinen wagen sie es auch nicht, ihn zu verlangen; sie sagen im negativen Sinn: „Forschet nicht nach“ – aber im positiven Sinn können sie nicht sagen: „Habet Glauben!“; an wen schon haben ihre Mitglieder zu glauben? Von wem, von welchen einzelnen oder von welchen Gruppen von Menschen können sie sagen: „Dieser oder diese sind mit der Unfehlbarkeit ausgerüstet, so daß sie uns nicht irreführen können?“ Gedrängt, sich zu erklären, gründen sie dennoch ihre Verpflichtung zum Verbleiben in der Gemeinschaft nicht auf den Glauben an sie, sondern auf die Treue zu ihr – und das ist etwas ganz anderes – ,etwas vollkommen anderes, denn es gibt sehr viele Gründe, eine überaus große Anhänglichkeit an die Religion zu haben, in der man aufgewachsen ist: ihre Teilstücke aus der katholischen Lehre, die „Wohlanständigkeit und Ordnung“ in ihr, das reine und schöne Englisch ihrer Gebete, ihre Literatur, die Frömmigkeit bei ihren Mitgliedern, der Einfluß der Vorgesetzten und Freunde, ihre Verknüpfung mit der Geschichte, ihr Familiencharakter, der Charme ihres Landlebens, die Erinnerung an vergangene Zeiten: das alles ist es und noch mehr, was den Geist an unseren Nationalkult bindet. Bindung ist aber nicht Vertrauen, und Gehorchen ist nicht dasselbe wie gläubig zu etwas aufblicken und darauf bauen. Ich glaube nicht, daß ein nachdenklicher oder gebildeter Mensch dem Wort der Staatskirche einfach glauben und vertrauen kann. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der das tat, oder zu tun behauptete, und ich glaube auch nicht, daß solch eine Person möglich ist. Ihre Verteidiger würden glauben, wenn sie könnten; aber noch ihr höchstes Vertrauen hat etwas von Mißbilligung an sich. Sie gehorchen, sie schweigen gegenüber der Stimme ihrer Vorsteher, aber sie sagen nicht, daß sie glauben. Nichts ist klarer als das: wenn der Glaube an das Wort Gottes zu unserem Heil notwendig ist, dann gibt es kein anderes Betätigungsfeld für ihn als die katholische Kirche.

Nun aber werdet ihr, meine Brüder, die ihr nicht katholisch seid, mir vielleicht sagen: Wenn alles Nachforschen zu Ende sein muß, nachdem man katholisch geworden ist, dann muß man erst, ehe man sich ihr anschließt, die volle Gewißheit haben, daß die Kirche von Gott ist.

Ihr sagt die Wahrheit; niemand sollte in die Kirche eintreten, ohne den festen Entschluß, ihr Wort in allen Dingen des Glaubens und der Sitte anzunehmen, und zwar aus dem Grunde, weil sie direkt von dem Gott der Wahrheit kommt. Ihr müßt der Sache ins Gesicht schauen und die Kosten berechnen. Kommt ihr nicht in diesem Geist, dann ist es besser, überhaupt nicht zu kommen: hoch und nieder, gelehrt und ungelehrt, sie alle müssen kommen, um zu lernen. Seid ihr soweit in rechter Verfassung, dann könnt ihr kaum mehr erheblich in die Irre gehen; ihr habt die Grundlage. Kommt ihr aber in einer anderen Verfassung, dann ist es besser zuzuwarten, bis ihr davon frei seid. Ihr müßt also, sage ich, zur Kirche kommen, um zu lernen. Ihr müßt kommen, nicht um eure eigenen Begriffe an sie heranzutragen, sondern in der Absicht, ein allzeit Lernender zu sein. Ihr müßt kommen in der Absicht, sie euch zum Anteil zu erwählen und sie nie mehr zu verlassen. Kommt nicht wie zu einem Experiment; kommt nicht wie Menschen, die sich einen Sitzplatz in der Kirche sichern oder ihre Eintrittskarte holen für den Hörsaal. Kommt zur Kirche wie zu eurer Heimat, wie zur Schule eurer Seelen, wie zur Mutter der Heiligen und zum Vorhof des Himmels. Anderseits plagt euch nicht ab mit dem Gedanken, ob euer Glaube, nachdem ihr eingetreten seid, auch andauern werde. Das ist eine Einflüsterung des bösen Feindes, der euch zurückhalten will. Der in euch das gute Werk begonnen hat, der wird es auch vollenden; der euch auserwählt hat, der wird euch auch die Treue halten; legt eure Sache in Seine Hand, steht Ihm zu Diensten und ihr werdet sicherlich ausharren. Mit welchem guten Werk wollt ihr überhaupt beginnen, wenn ihr schon zu Anfang das Ende abmachen und sehen wollt? Wolltet ihr alles auf einmal tun, dann kommt es zu nichts; frisch begonnen ist halb gewonnen; ihr könnt das Lob des Herrn im letzten Gericht nicht gewinnen, indem ihr Sein Talent vergrabt. Nein, hat Er euch vom Irrtum zur Wahrheit geführt, dann hat Er das schwierigste Werk an euch getan (sollte für Ihn überhaupt etwas schwierig sein), und Er wird euch gewiß davor bewahren, von der Wahrheit zum Irrtum zurückzukehren. Stützet euch auf die Erfahrung jener, die denselben Weg vor euch beschritten haben. Auch sie hatten, ehe sie den großen Schritt getan haben, viele Bedenken, ob ihr Glaube nicht versagen würde; aber diese Bedenken schwanden dahin, als sie ihn taten. Vor dem Empfang der Gnade des Glaubens hatten sie Furcht, sie könnten sie nach deren Empfang wieder verlieren, hatten aber keine Furcht mehr (es sei denn auf Grund ihrer menschlichen Gebrechlichkeit), nachdem ihnen die Gnade tatsächlich geschenkt worden war.

Seid überzeugt in eurer Vernunft, daß die katholische Kirche ein von Gott gesandter Lehrer ist: das genügt. Ich möchte nicht, daß ihr euch ihr anschließet, bevor ihr hiervon überzeugt seid. Seid ihr erst halb überzeugt, dann betet um die volle Überzeugung und wartet, bis ihr sie habt. Zwar ist es besser, schnell zu kommen, aber besser, langsam als nachlässig. Manchmal heißt es im Sinne des Sprichwortes: Eile mit Weile; nur vergewissert euch, daß der Verzug nicht durch eure Schuld er-folgt, die ihr heilen könntet. Gottes Handeln an uns ist sehr verschieden; einigen wird die Über-zeugung langsam zuteil, anderen schnell; bei einigen ist sie das Resultat vielen Nachsinnens und großer Denkarbeit, bei anderen das einer plötzlichen Erleuchtung. Einer ist sofort überzeugt, wie es in einem Beispiel vom heiligen Paulus berichtet wird: „Wenn aber alle aus der Eingebung des Hei-ligen Geistes reden“, sagt er in einer Erklärung der Lehre, „und es kommt ein Ungläubiger oder ein Unkundiger hinzu, so wird ihm von allen ins Gewissen geredet, von allen wird er ins Verhör genommen und das Verborgene in seinem Herzen wird ihm licht – er wird auf sein Antlitz fallen, Gott anbeten und bekennen: Wahrlich, Gott ist unter euch!“ [1 Kor 14, 24. 25]. Genau so ist es heute: einige bekehren sich schon, wenn sie eine katholische Kirche betreten, andere bekehren sich durch die Lektüre eines einzigen Buches, andere durch eine einzelne Lehre. Sie empfinden die Last ihrer Sünden und erkennen, daß jene Religion von Gott kommen muß, die allein die Mittel zur Sündenvergebung besitzt. Oder sie werden ergriffen und überwältigt durch die offensichtliche Heiligkeit, Schönheit und (ich möchte sagen) würzige Luft der katholischen Religion. Oder, sie tragen Verlangen nach einer Führung in dem Widerstreit der Zungen; und gerade die Lehre der Kirche vom Glauben, die für manche so schwer faßbar ist, bringt sie zur vollen Überzeugung. Andere wiederum hören viele Einwürfe gegen die Kirche und gehen der ganzen Frage in ihrer Länge und Breite nach; diese können freilich kaum anders als am Ende einer langen Forschung zur Überzeugung gelangen. Wie vor Gericht die Unschuld des einen schnell zutage tritt, die des anderen das Resultat sorgfältiger Untersuchung ist – wie es im Gehaben und Charakter des einen nichts zu erklären gibt, in dem eines anderen vieles zu seinen Ungunsten spricht: so präsentiert sich die heilige Kirche verschiedenen Geistern auf verschiedene Weise, wenn sie sie von außen betrachten. Gottes Vorgehen mit ihnen ist verschieden; bleiben sie aber ihrem Lichte treu, dann führt Er sie schließlich zu ihrer Zeit, die für jeden einzelnen verschieden sein kann, zu ein und demselben Zustand des Geistes, der sehr bestimmt und unmißverständlich ist und den wir Überzeugung nennen. Sie haben dann keinen Zweifel mehr, was immer für Schwierigkeiten in der Frage noch vorhanden sein mögen, daß die Kirche von Gott ist; es mag sein, daß sie keine Antwort auf diesen oder jenen Einwurf wissen, aber trotzdem sind sie sicher.

Folgender Gesichtspunkt sollte stets beachtet werden: Überzeugung ist ein Geisteszustand und ist etwas, das über die Argumente, deren Resultat er ist, hinausragt und sich von ihnen unterscheidet; sie ändert sich nicht mit ihrer Stärke oder Zahl. Argumente führen zu einer Schlußfolgerung; je stärker die Argumente sind, desto klarer ist die Schlußfolgerung; die Überzeugung hingegen kann als Folge eines klaren Schlusses ebenso stark empfunden werden wie als Folge eines Schlusses, der noch klarer ist. Es kann einer auf Grund von sechs Beweisgründen so sicher sein, daß er keinen siebten mehr braucht und sich auch nicht sicherer fühlt, wenn er über ihn verfügte. So liegt der Fall nun auch mit der katholischen Kirche: Die Menschen gelangen auf sehr verschiedene Weise zur Überzeu­gung – was den einen überzeugt, überzeugt nicht den anderen. Aber das ist nicht wesentlich; es kommt sowieso die Zeit, früher oder später, da einer überzeugt sein muß und auch überzeugt ist, dann aber ist er verpflichtet, nicht auf noch weitere Argumente zu warten, wenngleich weitere zur Verfügung stünden. Er wird sich in einer Situation befinden, wo er es sogar ablehnt, noch mehr Argumente zugunsten der Kirche zu erfahren; er wünscht schon gar nicht mehr, noch weiteres über die Frage zu lesen oder darüber nachzudenken, im Innern ist er durchaus entschlossen. In solch einem Fall ist es für ihn Pflicht, ohne weiteres in die Kirche einzutreten; er darf es nicht aufschieben; beim Überlegen mag er vorsichtig sein, muß aber schnell bereit sein zur Ausführung. Das ist es, was uns Katholiken so besorgt um ihn sein läßt: nicht daß sie ein überstürztes Handeln wünschten; aber da sie um die Versuchung wissen, die der Teufel uns stets in den Weg streut, sind sie in liebender Sorge um seine Seele, daß er, an dem Punkt der Überzeugung angelangt, sie ja nicht vorbeigehen lasse und so die Chance zur Konversion verliere. Sollte das der Fall sein, dann mag sie nie mehr wiederkehren. Gott hat nicht jeden einzelnen zum Heil auserwählt; katholisch zu sein, ist eine seltene Gabe; sie mag uns einmal im Leben angeboten sein und sonst nie mehr. Und haben wir die „willkommene Zeit“ nicht benützt und an unserem Tage nicht erkannt, „was uns zum Frieden dient“ [2 Kor 6, 2; Lk 19, 42], welch ein Unglück! Was werden wir vorbringen können, wenn der Tod kommt und wir uns noch nicht bekehrt haben – es aber dabei unsere direkte und unmittelbare Schuld ist, wenn wir es nicht getan haben?

„Die Weisheit predigt draußen, läßt ihre Stimme hören auf der Gasse: Wie lange, ihr Einfältigen, liebet ihr eure Einfalt? Wie lange wollen die Toren das verlangen, was ihnen schadet, und die Unweisen die Einsicht hassen? Bekehret euch auf Meine Warnung; siehe, Ich will euch Meinen Geist offenbaren und Meine Worte euch kundtun. Darum, weil Ich rief und ihr nicht wolltet, Ich Meine Hand ausstreckte und keiner darauf achtete, weil ihr verachtet habt all Meinen Rat und Meine Strafreden in den Wind schlüget, so will auch Ich bei eurem Untergang lachen und spotten, wenn euch begegnet, was ihr fürchtet. Wenn plötzlich das Unglück hereinbricht und der Untergang wie ein Wetter hereinstürzt, wenn Trübsal und Angst über euch kommen: dann wird man Mich rufen, aber Ich werde nicht hören; früh wird man aufstehen, aber Mich nicht finden: darum daß sie die Zucht gehaßt und die Furcht des Herrn nicht erwählt haben, nicht gehorchten Meinem Rat und alle Meine Strafreden lästerten. Darum sollen sie die Früchte ihres Wandels essen und an ihren Anschlägen sich sättigen“ [Spr 1, 20. 22-31].

Wehe uns, all denen von uns, die zu jener Zahl gehören! Welch schrecklicher Gedanke für alle Ewigkeit! Welch bitterer Stachel! „Ich war berufen, ich hätte antworten können, aber ich tat es nicht.“ Und welche Seligkeit, wenn wir auf die Zeit der Prüfung zurückblicken können, da die Freunde uns beschworen und die Feinde über uns spotteten und wir dann sagen können: Wie elend wäre ich gewesen, hätte ich nicht gefolgt und wäre ich zurückgeblieben, als Christus mich rief! Welch äußerste Beschämung des Geistes, welch ein Schiffbruch in Glauben und Anschauung, welch schwarzes Dunkel und welche Leere, welch trauriger Skeptizismus, welche Hoffnungslosigkeit, die mein Anteil gewesen wären, der Anfang der kommenden äußersten Finsternis, wäre ich zu zaghaft gewesen, Ihm zu folgen! Ich habe zwar Freunde verloren, ich habe die Welt verloren; aber ich habe Ihn gewonnen, der mit Sich Selbst zugleich Häuser und Brüder und Schwestern, Mütter und Kinder und Güter hundertfältig schenkt; ich habe das Vergängliche verloren, aber das Unendliche gewonnen; ich habe die Zeit verloren, aber die Ewigkeit gewonnen. „O Herr, Mein Gott! Ich bin Dein Knecht und der Sohn Deiner Magd! Du hast meine Bande zerrissen. Ich will Dir darbringen das Opfer des Lobes und will anrufen den Namen des Herrn“ [Ps 115, 7. 8].

11. Vortrag aus: Predigten vor Katholiken und Andersgläubigen, 11. Band Schwabenverlag Stuttgart 1964, pp. 244-270.