Die Gabe des Geistes

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„Der Geist der Herrlichkeit und der Geist Gottes ruht auf euch.“ 1 Petr 4,14

18. Predigt am 8. November 1835

 

Wir alle schauen mit unverhülltem Angesicht wie in einem Spiegel die Herrlichkeit des Herrn und werden umgewandelt in dasselbe Bild von Herr­lichkeit zu Herrlichkeit, nämlich durch den Geist des Herrn“ (2 Kor 3, 18).

Moses bat nur um das eine, „die Herrlichkeit Gottes schauen“ zu dürfen (Ex 33,18); und er durfte sie in einem solchen Maße sehen, daß „sein Angesicht glänzte“, als er vom Berg herabstieg, so daß das Volk „sich fürchtete, ihm nahe zu kommen“ (Ex 34, 30). Ihm allein wurde dieses Vorrecht in dieser vertrau­ten Weise gewährt und dies nur einmal; aber es wurde eine Verheißung gegeben, daß es in einer zu­künftigen Zeit der ganzen Erde zuteil werden sollte. Gott sagte zu ihm: „So wahr ich lebe, die ganze Erde soll mit der Herrlichkeit des Herrn erfüllt werden“ (Nm 14,21), jener Herrlichkeit, welche die Israeliten in flüchtigem Schimmer gesehen und entheiligt hat­ten. Später weissagten die Propheten Isaias und Habakuk in ähnlicher Weise, daß die Erde erfüllt werden sollte mit der Herrlichkeit des Herrn und mit ihrer Erkenntnis*. Als Christus kam, wurden diese Verheißungen erfüllt, denn „wir sahen Seine Herr­lichkeit“, sagt der heilige Johannes, „die Herrlich­keit als des Eingeborenen vom Vater“ (Joh 1,14).

In dem Kapitel, das mit unserem Vorspruch ab­schließt, stellt Sankt Paulus die alttestamentlichen Schatten und Unterpfänder „der Herrlichkeit“, die Christi Ankunft „folgen sollte“, in Gegensatz zu dieser Herrlichkeit selbst. Er sagt, daß er und seine Mitapostel „nicht wie Moses seien, der einen Schleier über sein Antlitz legte“ ((2 Kor 3,13) . Schließlich war die Herrlichkeit Gottes in der Fülle das Vor­recht und Geburtsrecht aller Gläubigen, die jetzt „in dem unverhüllten Antlitz Christi, ihres Heilandes, das Spiegelbild der Herrlichkeit des Herrn sehen und umgewandelt werden in Sein Bild von Herr­lichkeit zu Herrlichkeit“. Die Worte unseres Hei­landes an Seine Apostel beim hohenpriesterlichen Gebet und an alle, die zu Seinen Jüngern zählen, vermitteln uns die gleiche huldvolle Wahrheit. Er sagt: „Die Herrlichkeit, die Du Mir gegeben hast, habe Ich auch ihnen gegeben“ (Joh 17, 22).

Diese glorreiche Heilsvermittlung, unter der die Kirche jetzt lebt, nennt der heilige Paulus in dem gleichen Kapitel „den Dienst des Geistes“; so heißt es auch weiter im Vorspruch, daß wir in das glor­reiche Bild Christi umgewandelt werden „durch den Geist des Herrn“.

Auch wird die Kirche, die so durch die Gegenwart des Geistes Christi geehrt und erhöht ist, „das Reich Gottes“, „das Himmelreich“ genannt, so von un­serem Herrn Selbst. „Das Himmelreich ist nahe“ (Mt 10,7); „wenn jemand nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Geist, so kann er in das Reich Gottes nicht eingehen“ (Joh 3, 5).

Ich möchte nun einige Ausführungen machen über diese besondere Gabe der christlichen Heilsvermitt­lung, die, wie in den vorangehenden Stellen, die Gabe „des Geistes“, die Gabe „der Herrlichkeit“ genannt wird und wodurch die Kirche das gewor­den ist, was sie zuvor nicht war, das Himmelreich. Bevor ich auf die Frage eingehe, möchte ich hier auf folgendes hinweisen: Wie in einem gewissen Sinn die Herrlichkeit schon unter dem Gesetz gewährt wurde, nämlich in seinen Wundern (z.B. wurden die Israeliten bestraft, weil sie „die Herrlichkeit des Herrn und Seine Wunder gesehen“ und doch „Sei­ner Stimme nicht gehorcht haben“ (Nm 14,22), so gehört sie doch unter einem anderen Gesichtspunkt ausschließlich der verheißenen Glückseligkeit des Jenseits an. Immerhin wird sie in einem beson­deren und gültigen Sinn auch der christlichen Kirche beigemessen, und worin dieser besteht, das ist nun unsere Frage.

1. Zunächst bekommen wir einen gewissen Einblick in den eigentlichen Sinn des Wortes „Herrlichkeit“, als unserem gegenwärtigen Vorrecht, wenn wir die Bedeutung des Titels „Himmelreich“ betrachten, der, wie oben bemerkt, gleichfalls zur Kirche ge­hört, seit Christus gekommen ist. Die Kirche wird mit diesem Namen bezeichnet, weil sie der Hofstaat und das Herrschaftsgebiet des Allmächtigen Gottes ist, der Sich damals, als der Mensch fiel, von der Erde zurückzog, soweit Seine königliche Gegenwart in Betracht kam. Nicht daß Er Sich irgendwann ohne einen Zeugen belassen hätte, aber selbst in Seinen gnadenreichsten Offenbarungen verhielt Er Sich wie in einem feindlichen Land, „wie ein Fremdling im Lande und wie ein Wandersmann, der nur ein­kehrt über Nacht“(Jer 14, 8). Als jedoch Christus Gott mit Seinen gefallenen Geschöpfen versöhnt hatte, kehrte Er zurück gemäß der Prophezeiung: „Ich will unter ihnen wohnen und unter ihnen wan­deln; Ich will Mein Heiligtum in ihrer Mitte er richten auf ewige Zeiten“(2 Kor 6,16; Ez 37, 26). Von jener Zeit an hat es wirklich einen Himmel auf Erden gegeben, in Erfüllung des Traumes Jakobs. Fortan war die Kirche keine irdische Einrichtung, gebaut aus vergänglichem Stoff wie das jüdische Zelt, das ein Sinnbild der Heilsordnung war, zu der es gehörte. Sie wurde zu „einem unerschütterlichen Reich“(Hebr 12, 28). Sie wurde schön gemacht, ge­reinigt und durchgeistigt, dadurch daß sich Christi Blut in sie ergoß. Sie wurde wieder ein wesentlicher Bestandteil jener unsichtbaren, aber wirklich exi­stierenden Welt, deren „immerwährendes Licht der Herr ist“(Offb 21, 23); und so erhielt sie Gemein­schaft mit ihren seligen Bewohnern. Sankt Paulus schildert sie in seinem Brief an die Hebräer also: „Ihr seid hingetreten zum Berge Sion“; zum wah­ren „Berge des Hauses des Herrn“, dessen Vorbild das irdische Sion war; „und zur Stadt des leben­digen Gottes, zum himmlischen Jerusalem“; so nämlich nennt er es anderswo: „das Jerusalem, das von oben ist“(Gal 4, 26), und an einer anderen Stelle sagt er: „Unser Bürgerrecht ist im Himmel“ (Phil 3, 20); „und (ihr seid hinzugetreten) zu einer unzählbaren Schar von Engeln, zu der festlichen Versammlung und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgezeichnet sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Seelen der voll­endeten Gerechten, und zu Jesus, dem Mittler des Neuen Bundes, und zu dem Blut der Besprengung, welches besser spricht als das des Abel“ (Hebr 12, 22—24).

Da also die christliche Kirche ein Himmel auf Erden ist, überrascht es nicht, daß im einen oder anderen Sinn ihr unterscheidendes Vorrecht oder Gnaden­geschenk die Herrlichkeit ist, denn sie ist jene Eigenschaft, die wir in unserer Vorstellung gemäß den Aussagen der Schrift immer mit dem Himmel selbst verbinden. Die Herrlichkeit hienieden kön­nen wir begreifen, wenn wir uns in das versenken, was wir von der Herrlichkeit im Jenseits glauben.

2. Wenn wir dann die Verschiedenheit und Würde der Gaben ansehen, die der Geist verleiht, werden wir vielleicht bis zu einem gewissen Grad erkennen, warum unser Zustand unter dem Evangelium ein Zustand der Herrlichkeit genannt wird. Es ist heut­zutage nicht ungewöhnlich, das Wirken des Hei­ligen Geistes in der Kirche in zwei Arten einzu­teilen: in Wundergaben und Gaben zur Heiligung. Unter Wundergaben versteht man jene, die Er in den ersten Zeiten des Evangeliums in Fülle aus­teilte; durch sie geschehen Zeichen, die dem Verlauf der Natur nicht unterworfen sind und sich an un­sere Sinne richten; solche Gaben sind z. B. die Macht zu heilen, Tote zu erwecken und dergleichen; fer­ner, in Sprachen zu reden oder zu prophezeien. Unter heiligenden Wirkungen oder Einflüssen aber sind jene zu verstehen, die auf die Seele einwirken und uns befähigen, das zu sein, was wir sonst nicht sein könnten, heilig und gottwohlgefällig in allen Stücken des christlichen Seins; mit einem Wort, alles ist darunter zu verstehen, was auf die Hei­ligung abzielt, wie wir es nennen. Diese verschie­denen Werke des Heiligen Geistes werden, nach ihren Auswirkungen betrachtet, gewöhnlich außer­ordentliche und ordentliche genannt, oder Gaben und Gnaden. Es ist üblich zu sagen, daß die Gaben aufgehört haben, daß die Gnaden allein uns ge­blieben sind und somit den jetzigen „Dienst des Geistes“ auf eine gewisse Beeinflussung unserer sittlichen Anlage zu beschränken, auf das Amt, Herz und Geist zu ändern, zu erneuern und zu reinigen, einen guten Willen einzupflanzen, die Erkenntnis unserer Pflicht und die Kraft zu ihrer Erfüllung zu vermitteln, in uns alle rechten Wünsche und Anlagen zu pflegen und zur Reife zubringen und uns zu allen heiligen Werken zu führen. Alle diese Einflüsse und Tätigkeiten nun gehören gewiß zum „Dienst des Gei­stes „; aber in welch eigentlichem Sinn kann man die Wirkungen, die da in uns hervorgebracht werden, „Herrlichkeit“ nennen? Nimmt man auch die Wun­der hinzu, die jetzt aufgehört haben, so werdet ihr zwar eine verständlichere Bedeutung des Wortes bekommen, aber auch dann nicht eine solche, wie sie dem Evangelium eigen ist. Die jüdische Kirche war mit einer bleibenderen übermenschlichen Ge­genwart beschenkt als die christliche und mit den gleichen überwältigenden Wundern, dennoch besaß sie nicht dieses Vorrecht der Herrlichkeit. Ferner, ihre Patriarchen und Lehrer erhoben sich zu einer solchen Höhe von Heiligkeit, die ebenso sehr unsere Urteilskraft übersteigt wie jene, welche die Apostel und Märtyrer unter dem Evangelium erreichten; auch ist allem menschlichen Anschein nach die tat­sächliche Heiligkeit der Mehrzahl der Christen nicht echter oder vollkommener als wie sie bei den Juden war. Wieso sind wir demnach in einem Zustand der Herrlichkeit, die jüdische Kirche aber nicht? Zu­gegeben nun, die in der Schrift erwähnte Gabe des Geistes umfasse die Wunder der ersten Zeiten ebenso wie die Einflüsse der Gnade; zugegeben auch, die jedem Christen gewährte heiligmachende Gnade sei in weit größerer Fülle, Verschiedenheit und Kraft gegeben worden, als sie den Juden ge­währt war (mag sie unter Umständen ausgelöscht werden oder nicht); zugegeben ferner, die Heiligkeit sei wirklich das Merkmal jener Gabe, die der Heilige Geist jetzt verleiht, so wie die Wunder in den ersten Zeiten ihre äußere Offenbarung waren, so gibt doch all dies keine befriedigende Erklärung; es kommt nicht unserem großen christlichen Vor­recht gleich; denn dieses ist etwas Tieferes, Wei­teres und Geheimnisvolleres als Gnaden und Wun­der zusammen.

Denn wahrlich, der Heilige Geist hat in der Kirche Seine Wohnung als siebenfältiger Geist mit man­nigfaltigen Gaben aufgeschlagen. Ist z. B. die leib­liche Unsterblichkeit eine Wundergabe oder etwas Heiligendes? Nach dem gewöhnlichen Sinn der Worte keines von beiden; sie ist jedoch eine uns in diesem Leben verliehene Gabe, und durch die Kraft des Heiligen Geistes ist gemäß den Schriftstellen „euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,19); und „Er, der Christus von den Toten erweckt hat, wird auch eure sterblichen Leiber beleben um Seines Geistes willen, der in euch wohnt“ (Röm 8, 11). Ferner, ist die Rechtfertigung oder Zuwendung der Verdienste Christi an der Seele etwas Heiligen­des oder eine Wundergabe? Keines von beiden; und doch heißt es, daß wir „abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt sind im Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unseres Gottes“ (1 Kor 6,11). Oder ist die Gabe des Heiligen Geistes in der Prie­sterweihe eine Wundergabe oder etwas Heiligen­des? Sie ist weder das eine noch das andere, sondern sie ist eine übernatürliche Kraft, heilige Dienste wirk­sam, zu verrichten. Wiederum, ist die Vereinigung mit Christus eine Wundergabe oder etwas Heiligen­des? Keines, sie ist vielmehr eine wirkliche, wenn auch verborgene Vereinigung der Natur mit Ihm nach den Worten: „Wir sind Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleisch und von Seinem Gebein“ (Eph 5, 30). Überlegungen wie diese sind vielleicht dazu angetan, uns einen etwas tieferen Einblick als den üblichen in die Art jener Gabe zu vermitteln, welche der Gegenwart des Heiligen Geistes in der Kirche folgt und die Gabe der Herrlichkeit heißt. Ich behaupte nicht, daß auch nur etwas von dem bisher Gesagten hinreiche, um sie genau zu bestim­men; ich möchte vielmehr sagen, sie kann überhaupt nicht genau bestimmt werden, sie kann nicht be­grenzt werden; sie kann nicht eingeteilt werden und läßt sich durch keine Einteilung erschöpfen. Das ist gerade das Fehlerhafte an einer Einteilung in Wundergabe und heiligende Gabe, so dienlich sie für besondere Zwecke sein mag, daß sie vorgibt zu umfassen, was tatsächlich unfaßlich und unergründ­lich ist. Ich möchte mich gern vor dem gleichen Fehler hüten; und die bereits gegebenen Beispiele können dazu dienen, unseren Blick zu weiten, statt einzuschränken. Die Gabe wird in der Schrift mit dem unbestimmten und geheimnisvollen Ausdruck „Herrlichkeit“ bezeichnet; alle Beschreibungen, die uns möglich sind, können nur und sollten nur in ein Geheimnis einmünden.

3. Indes kann man vielleicht fragen, ob die Gabe des Geistes, die wir jetzt besitzen, wirklich so ge­nannt werden kann; in der Absicht, das ganz klar zu machen, will ich dazu eine Anzahl Stellen anführen, zusätzlich zu jenen, mit denen ich begann; und ich möchte, daß ihr dabei betrachtet, in welch engem und stetigem Zusammenhang die Ausdrücke „Geist“, „Herrlichkeit“ und „Himmel“ wiederkehren. „Der Geist der Herrlichkeit und der Geist Gottes ruhet auf euch“ (1 Petr 4,14).

„Der Gott aller Gnade, der uns durch Jesus Chri­stus gerufen hat zu Seiner ewigen Herrlichkeit, wird euch, nachdem ihr eine kurze Zeit gelitten habt, vollenden“ (1 Petr 5,10).

„Gleichwie uns alle Güter Seiner göttlichen Kraft, welche zum Leben und zur Gottseligkeit dienen, durch die Erkenntnis Dessen geschenkt worden sind, der uns zur Herrlichkeit und Macht berufen hat“ (2 Petr 1, 3).

„Die Er vorherbestimmt hat, die hat Er auch be­rufen, und die Berufenen rechtfertigt Er und die Gerechtfertigten verherrlicht Er“ (Röm 8, 30). „Wir lehren Gottes Weisheit, die geheimnisvolle, verborgene, die Gott vor Beginn der Welt zu unserer Herrlichkeit bestimmt hat… Kein Auge hat es ge­sehen, kein Ohr hat es gehört, und in keines Men­schen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben … Der natürliche Mensch aber faßt nicht, was des Geistes Gottes ist; denn es ist ihm Torheit, und er kann es nicht verstehen, weil es geistig beurteilt werden muß“ (1 Kor 2, 7. 9.14).

„Gepriesen sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat in Christus mit allem geistigen Segen im Himmel“ (Eph 1, 3). [Ich bete], „daß der Gott unseres Herrn Jesus Chri­stus, der Vater der Herrlichkeit, euch geben wolle den Geist der Weisheit und Offenbarung, um Ihn zu erkennen, erleuchtete Augen eures Geistes, daß ihr einsehet, welche Hoffnung Seiner Berufung und welcher Reichtum der Herrlichkeit Seiner Erbschaft in den Heiligen und welch überschwengliche Größe Seiner Macht in uns, die wir glauben, gemäß der Wirkung Seiner mächtigen Kraft sei, die Er in Christus gewirkt hat, da Er Ihn von den Toten auf-erweckte“ (Eph 1,17—20).

„Gott, der an Erbarmen reich ist, hat in Seiner großen Liebe zu uns, obwohl wir durch unsere Ver­gehen tot waren, uns mit Christus lebendig gemacht (in Dessen Gnade ihr errettet werdet), und mit-auf erweckt und mitversetzt in den Himmel in Chri­stus Jesus … Durch Ihn haben wir beide Zutritt in einem Geiste zum Vater … Durch welchen (Chri­stus) auch ihr miterbaut seid zu einer Wohnung Gottes im Geiste“ (Eph 2, 4—6.18. 22). (Ich bete), „daß Er nach dem Reichtum Seiner Herr­lichkeit euch verleihe, mit Kraft gestärkt zu werden durch Seinen Geist am inneren Menschen; daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne; und ihr in Liebe Wurzel und Grund fasset, damit ihr mit allen Heiligen begreifen möget, wel­ches die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe sei, und erkennen die Liebe Christi, die alles Erkennen übersteigt, damit ihr mit der ganzen Fülle Gottes erfüllt werdet“ (Eph 3,16—19).

„Christus liebte die Kirche und gab Sich für sie hin, um sie zu heiligen und zu reinigen im Wasserbad durch das Wort, um Sich die Kirche herrlich zu ge­stalten, so daß sie nicht Fleck oder Runzel oder etwas dergleichen habe, daß sie vielmehr heilig und makellos sei“ (Eph 5,25—27).

„Es ist unmöglich für jene, die einmal erleuchtet worden sind, auch gekostet haben die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes und gekostet haben das gute Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wenn sie ab­fallen werden, sich wieder zur Sinnesänderung zu erneuern“ (Hebr 6,46).

Ich möchte, daß ihr besonders auf diese letzte Stelle euer Augenmerk richtet, die von denen spricht, die Gottes Gnade durchkreuzen, und all die verschiede­nen Kennzeichen oder Titel jener Herrlichkeit auf­zählt, die sie verscherzen: also die Erleuchtung, die himmlische Gabe, den Heiligen Geist, das göttliche Wort, die Kräfte der zukünftigen Welt. Diese Aus­drücke bedeuten alle das gleiche, sehen es nur in verschiedenem Licht, nämlich: jenes unaussprech­liche Vorrecht des Evangeliums, das ein Unter­pfand und ein Anteil an der himmlischen Herrlich­keit, der Heiligkeit und Glückseligkeit der Engel ist — einen schon gegenwärtigen Eintritt in die kommende Welt, die sich unserer Seele durch die Teilnahme am menschgewordenen Wort erschließt und uns durch den Heiligen Geist vermittelt wird. Das ist der geheimnisvolle Stand, in dem Christen leben, wenn man darüber sich verbreiten darf. Sie sind im Himmel, in der Welt der Geister, und sind jeglicher Art von unsichtbaren Einflüssen unter­stellt. „Ihr Wandel ist im Himmel“ (Phil 3,20); sie leben unter Engeln und sind (wenn ich so sagen darf) in Reichweite der abgeschiedenen Heiligen. Sie sind Diener am Thron ihres versöhnten Vaters, „Könige und Priester für Gott“ (Offb 1, 6), die ihre Kleider gewaschen haben im Blute des Lammes und zu Tempeln des Heiligen Geistes geweiht sind. Da dies so ist, verstehen wir in etwa das Außmaß der Sorge des heiligen Paulus, seine Brüder möchten doch begreifen „die Breite und Länge“, „die Reich­tümer“ des herrlichen Erbes, dessen sie sich er­freuen, und ebenso die Nachdrücklichkeit seiner Er­klärung, „der natürliche Mensch“ könne dieses nicht „einsehen“.

Wenn wir nun zu den bereits angeführten Worten unseres Heilandes zurückkehren, finden wir, daß alles, was uns die Apostel in ihren Briefen gesagt haben, nur eine Erweiterung zweier kurzer Aus­sprüche von Ihm ist: „Wenn jemand nicht wieder­geboren wird aus dem Wasser und dem Geist, so kann er in das Reich Gottes nicht eingehen“, noch (wie kurz zuvor gesagt wird) „es sehen“ (Joh 3, 5). „Die Herrlichkeit, die Du Mir gegeben hast, habe Ich auch ihnen gegeben“ (Joh 17, 22). Zu diesen Tex­ten möchte ich folgende Ausführungen hinzufügen: — Als Nikodemus die Aussage unseres Herrn be­zweifelte, daß durch eine Geistgeburt der Eintritt in Sein Reich genommen werde, sagte Er: „Wenn Ich Irdisches geredet habe und ihr nicht glaubet, wie werdet ihr glauben, wenn Ich zu euch himmlische Dinge rede? Und niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen, als der vom Himmel herabgestie­gen ist, nämlich der Menschensohn, der im Himmel ist“ (Joh 3,12.13). Mit diesen Worten enthüllt unser Herr offen, daß Er, der Menschensohn, in einer ge­heimnisvollen Weise wirklich im Himmel war, selbst während Er von Menschenaugen auf Erden gesehen wurde. Seine Antwort scheint auf folgen­des hinauszugehen: „Nimmst du Anstoß an der Lehre von der Neugeburt des Menschen für das Reich Gottes? So erhaben sie auch ist, sie ist nur eine irdische Wahrheit, verglichen mit anderen, die Ich, der Ich vom Himmel komme, enthüllen könnte. Es ist etwas Geheimnisvolles, wie der wiedergebo­rene Mensch ein Bürger des Himmelreiches sein soll, aber Ich Selbst, der Ich rede, bin in diesem Augenblick auch im Himmel, sogar in dieser Mei­ner menschlichen Natur.“ So dient das größere Ge­heimnis der Menschwerdung dazu, ein Gefäß und ein Unterpfand für das Geheimnis der Neugeburt zu sein. Wie Er in einer unaussprechlichen Weise im Himmel war, sogar „in den Tagen Seines Flei sches“ (Hebr 5, 7) , so sind wir nach unserem Maß es auch; nach den Worten Seines Gebetes, daß Seine Jünger „alle eins seien, wie Du, Vater, in Mir bist, und Ich in Dir; daß auch sie in Uns eins seien“ (Joh 17, 21).

Es gefiel Ihm aber, diese hohe Wahrheit bei einer späteren Gelegenheit ausführlicher zu offenbaren, nämlich bei Seiner Verklärung. Vielen mag dieser Teil der heiligen Geschichte ohne Gegenstand und Bedeutung erschienen sein. Die Verklärung war in einem bestimmten Sinn ein Wunder; doch be­zweckte sie keine Wohltat, noch hatte sie eine blei­bende Folge, was gewöhnlich bei den Wundern un­seres Herrn der Fall war, außerdem fand sie im Verborgenen statt. Sicher aber liegt in ihr ein Hin­weis, da sie so viel ist wie eine sinnbildliche Ver­anschaulichung der beglückenden Wahrheit, die in den vorliegenden Stellen enthalten ist, sie ist eine Vision des herrlichen Reiches, das Er bei Seiner Ankunft auf Erden errichtete. Er sagte zu Seinen Aposteln: „Ich künde euch eine Wahrheit, es sind einige von denen, die hier stehen, die den Tod nicht kosten werden, bis sie das Reich Gottes sehen“ (Mt 16, 28; Lk 9, 27). Dann „nahm Jesus sechs Tage später den Petrus, Jakobus und Johannes, seinen Bruder, mit Sich und führte sie abseits auf einen hohen Berg und Er ward vor ihnen verklärt. Und während Er betete, ward die Gestalt Seines Ange­sichtes verändert und Sein Gewand weiß und strah­lend. Und Sein Angesicht glänzte wie die Sonne, und Sein Gewand wurde weiß wie das Licht… Und siehe, zwei Männer redeten mit Ihm, Moses nämlich und Elias, die in Herrlichkeit erschienen … Petrus aber und die bei ihm waren, wurden vom Schlafe beschwert; und als sie aufwachten, sahen sie Seine Herrlichkeit“ (Mt 17, 1 ff; Lk 9, 28 ff)3. Dies ist das Reich Gottes: Christus seine Mitte, Seine Herrlichkeit dessen Licht, die vollendeten Gerechten Seine Begleiter und die Apostel Seine Zeugen vor ihren Brüdern. Es verwirklicht, was die Heiligen der alten Zeit aufleuchten sahen — Jakob zu Bethel, Moses auf Sinai.

Wenn also dies die besondere Herrlichkeit und „Furchtbarkeit“ ist, die die Kirche Christi an sich trägt, kann man fragen, wie weit die Gabe auch jedem einzelnen ihrer Glieder mitgeteilt wird. Sie wird jedem Glied bei der Taufe mitgeteilt; das kann man ohne weiteres aus den Worten unseres Herrn schließen, der in Seiner Unterredung mit Nikodemus die Geburt aus dem Geist, die nach Seinen Worten durch die Taufe gewirkt wird, als das einzige Mittel bezeichnet, um in Sein Reich ein­zutreten. Folglich ist jemand, der nicht auf diese Weise „aus dem Wasser und dem Geist geboren ist“, in gar keinem Sinn Glied Seines Reiches. Durch diese neue Geburt wird die göttliche Schechinah 4 in ihm aufgeschlagen, sie durchdringt Seele und Leib, trennt ihn wirklich und nicht nur den Namen nach von denen, die keine Christen sind, sie hebt ihn auf der Stufenleiter des Seins weiter hinauf, weckt zum Leben und nährt alles, was an höherer Natur in ihn hineingelegt ist, und verleiht ihm zur rechten Zeit und im rechten Maß ihre eigene über­ragende und himmlische Kraft. Während so der Christ sorgfältig die Gabe hegt, wird er nach den Worten des Vorspruchs „umgewandelt von Herr­lichkeit zu Herrlichkeit, nämlich durch den Geist des Herrn“. Wenn man anderseits der Gabe wider­steht, zieht sie allmählich ihre Gegenwart zurück, und, wenn ihr Hauptzweck, die Heiligung unserer Natur, vereitelt wird, verscherzt man sie auch im Hinblick auf die andern Guttaten. Das scheint die Regel zu sein, wonach der Allmächtige Geber han­delt; und könnten wir die Seelen der Menschen sehen, wir würden sie zweifellos in folgender Weise sehen: die eben getauften Kinder strahlend wie Cherubim, wie Feuerflammen, die himmel­wärts aufsteigen zum Opfer für Gott; dann, wenn sie vom Kindes- zum Mannesalter übergehen, ver­blaßt oder wächst das Licht in ihnen, je nachdem; während wohl die Großzahl der Erwachsenen lei­der nur erschreckende Merkmale dafür aufweist, daß der Herr einmal in ihnen gewesen ist, bleiben nur hier und da einige verstreute Zeugen für Chri­stus übrig, und auch diese sind ganz und gar mit den Narben der Sünde bedeckt.

Kommen wir zum Schluß. Es wäre gut, wenn die Ansichten, die ich euch vorgelegt habe und die in der Hauptsache, so nehme ich zuversichtlich an, seit Anbeginn die der katholischen Kirche sind, unter uns besseres Verständnis und bessere Aufnahme fänden. Sie würden mit Gottes Segen der gefühls­bedingten, allseits herrschenden Schwarmgeisterei weithin ein Ende bereiten, und könnten schließlich auch jene kalten und alltäglichen Vorstellungen von der Religion vertreiben, die das andere Extrem sind. Solange wir nicht verstehen, daß die Gaben der Gnade unsichtbar, übernatürlich und geheimnis­voll sind, haben wir nur die Wahl, entweder die hohen und glühenden Ausdrücke der Schrift weg-zu erklären oder ihnen jene unbedachte, ehrfurchts­lose und überhebliche Auslegung zu geben, die ein Hauptirrtum unserer Zeit ist. Wache und zartfüh­lende Geister, die aus der Schrift wissen, daß die Gabe des Heiligen Geistes etwa Großes und Über­irdisches ist, und sich mit den mageren Vorstellun­gen der Menge nicht zufriedengeben, anderseits jedoch nicht wissen, wo sie das suchen sollen, dessen sie bedürfen, lassen sich dazu bewegen, das christ­liche Leben, das „mit Christus in Gott verborgen ist“ (Kol 3, 3) , in eine Art religiöse Ekstase zu ver­legen, in eine Exaltiertheit für heilige Dinge, in leidenschaftlich erregte Gedanken, in eine weiche und matte Gefühlsstimmung und in ein unnatür­liches Aussprechen all dessen in der Unterhaltung. Und ferner, aus demselben Grund, nämlich infolge ihrer Unkenntnis des übernatürlichen Charakters der himmlischen Gabe, versuchen sie, diese in jedem anderen an ihren sichtbaren Wirkungen zu messen, und halten nur jene für Christen, von denen sie annehmen, sie könnten sich als solche ausweisen durch ihr Bekenntnis, ihre Sprache und ihr Beneh­men. Anderseits stoßen sich kritische und nüchtern denkende Menschen an solchen Exzessen und be­gnügen sich mit der Vorstellung, daß die Gabe des Heiligen Geistes so ziemlich eine Eigentümlichkeit der apostolischen Zeit war, daß sie aber jetzt zum mindesten nichts weiteres bewirkt, als uns zu an­ständigen und ordentlichen Gliedern der Gesell­schaft zu machen. Die Vorrechte, die uns nach der Schrift verliehen werden, sind nach ihrer Auffas­sung nur äußerer Natur, Erziehung und derglei­chen oder höchstens Verzeihung unserer Sünden und Zulassung zu Gottes Huld, aber sind nicht be­gleitet von irgendwelchen wirklichen und uns inne­wohnenden Kräften, die uns mitgeteilt sind. Solches ergibt sich natürlicherweise, wenn aus diesem oder jenem Grund die eine oder andere dieser Lehren verdunkelt wird, die das göttliche Erbarmen für unsere Nöte geoffenbart hat. Der Geist hascht nach den Worten des Lebens und sucht sie zu ergreifen; und wenn ihre wahre Bedeutung ihm entzogen wird, beschäftigt er sich zum Ersatz mit dieser oder jener Form des Irrtums, wie es sich gerade gibt, gleich als wäre hier die Wahrheit. In dem Maße, wie wir jene höhere Einsicht in die Frage erlangen, die, so dürfen wir demütig hoffen, die wahre ist, wollen wir, was uns betrifft, auch gewissenhaft danach handeln. Wir wollen die hei­lige Gegenwart in uns voll Ehrfurcht anbeten und „mit Zittern frohlocken“ (Ps 2,11) . Bringen wir unsere besten Gaben für Ihn dar, der es nicht ver­schmäht hat, Seine Wohnung in diesem unserem sündigen Herzen aufzuschlagen. Gebet, Lobpreis und Danksagung, „gute Werke und Almosen“, ein kühnes und treues Bekenntnis und ein Wandel in Selbstverleugnung sind die Riten des Gottesdien­stes, wodurch wir Ihm in diesen Seinen Tempeln dienen. Was die verschiedenen Werke des Glau­bens im einzelnen zu unserer endgültigen Gott­gefälligkeit beitragen, wissen wir nicht; wir wissen auch nicht, wie sie wirksam sind, um unseren Wil­len und unseren Charakter zu ändern, wenn sie dies auch durch Gottes Gnade gewiß tun. Alles, was wir wissen, ist, daß bei Beharrlichkeit das innere Licht hell und heller wird und Gott Sich uns auf eine Weise offenbart, von der die Welt nichts weiß. Darin besteht also unsere ganze Pflicht: zuerst Gott betrachten, wie Er im Himmel ist und auch in unse­ren Herzen und Seelen; dann, während wir Ihn be­trachten, in den Werken eines jeden Tages auf Ihn hin und für Ihn handeln; im Glauben Seine Herrlichkeit außer uns und in uns sehen und sie durch unseren Gehorsam anerkennen. So werden wir die erhabensten Vorstellungen von Seiner Majestät und Güte gegen uns mit den demütigsten, gering­sten und unscheinbarsten Diensten für Ihn ver­binden.

Endlich kann die Lehre, bei der ich verweilte, nicht verfehlen, in uns tiefere und ehrfürchtigere Ge­fühle gegenüber der Kirche Christi als Seinem be­sonderen Wohnort zu wecken. Es ist einleuchtend, wir sind in einem viel ungewöhnlicheren Zustand, als wir uns überhaupt bewußt sind. Die Menge ver­steht das nicht. So war es einst auch in Israel. Es gab eine Zeit, da selbst in Bethel, wo Gott in Seiner Huld bereits eine Warnung vor solcher Blödheit gegeben hatte, gerade die Kinder dieser Stadt Sei­nen Propheten verspotteten, wobei sie kaum dach­ten, daß er den Mantel des Elias an sich trüge. In späterer Zeit wurde dem Propheten Ezechiel aufge­tragen, dem Volk zu prophezeien, „ob sie hören wollen oder sich abwenden“; und es wurde hinzu­gefügt: „Und sie, ob sie hören wollen oder sich ab­wenden, sollen doch wissen, daß ein Prophet unter ihnen gewesen ist“ (Ez 2, 5. 7).

Wir wollen uns daher nicht fürchten, wenn wir mit unserem Glauben nur wenige unter vielen sind. Wir wollen uns nicht fürchten vor Widerstand, Verdacht, Tadel oder Spott. Gott sieht uns; und Seine Engel, sie schauen auf uns. Sie wissen, daß wir im Recht sind, und bezeugen es; und „nur noch eine kleine Weile und es wird kommen, der da kommen soll, und Er wird nicht zögern. Der Ge­rechte aber lebt aus dem Glauben“ (Hebr 10, 37. 38).

 Newman John Henry, Pfarr- und Volkspredigten, DP III, 13, Schwabenverlag, Stuttgart 1951, 191-207.