Kindertaufe

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20. Predigt

„Wer ein solches Kind in Meinem Namen auf­nimmt, der nimmt Mich auf (Mt 18, 5).

 

Es gibt vielleicht in den Evangelien keine Worte unseres Herrn, die huldvoller und rück­sichtsvoller wie auch heiliger, gerechter und gütiger sind (d. h. wenn wir Seine Worte nach unserer Auf­fassung messen dürfen) als die Ermutigung, die im Vorspruch und an anderen Stellen ähnlichen Cha­rakters gegeben ist; keine huldvolleren und rück­sichtsvolleren, wenn wir unsere Natur in Betracht ziehen und die sich ergebende Notwendigkeit, an die Lehren zu glauben, die Er geoffenbart hat.
Er hat Leben und Unsterblichkeit geoffenbart; aber mit dem unsterblichen Leben hat Er auch den ewi­gen Tod enthüllt; Er hat die erschreckende Wahr­heit geoffenbart, daß die Seele niemals stirbt, nie­mals aufhört zu denken und sich ihrer bewußt zu sein, für Glück oder Unglück aufnahmefähig zu sein; daß weder Zeit noch Ort, weder Freund noch Feind, weder Engel noch Teufel das Lebensprinzip im Menschen antasten können, wenn er einmal auf die Welt gekommen ist; daß nicht einmal er selbst irgendeine Macht über sein Leben hat, vielmehr, wie er begann, auch fortfahren muß zu existieren in Ewigkeit. Christus hat uns gelehrt, daß jedes Kind vom Augenblick seiner Geburt an diese Be­stimmung vor sich hat; auch daß der Mensch, weit entfernt des Himmels gewiß zu sein, sich einer Prüfung unterziehen muß, ob er Gott dienen will oder nicht; ja, nicht nur einer Prüfung, sondern einer Prüfung unter ungleichen Bedingungen; nicht einer Prüfung, der er gewachsen ist, sondern in die er mit einem starken Hang zur Wahl des Schlechte­ren hineingeht, mit einer Neigung, die ihn zur Erde niederdrückt, so daß er aus sich heraus Gott nicht wohlgefällig dienen, noch auch seinen unwürdigen Dienst bereuen kann.

Ich meine, wenn wir nur das wüßten, könnte kein besinnlicher Mensch ohne die größte Demut und Furcht jemals darüber nachdenken, daß er Verant­wortung trägt für die Existenz von Wesen, die solch traurigen Nachteilen ausgesetzt sind. Wenn wir nur die Grundlehren des Evangeliums kann­ten, nämlich, daß der Mensch von Natur ein Sün­der ist und, zwar erlöst durch Christus, aus eigener Kraft sich doch nicht zu Christus wenden kann, dann meine ich, wäre gewiß die Grausamkeit, arme Kinder zu erzeugen, die unsere Natur erben und von uns die Geburtsmitgift der Verderbtheit erhal­ten, so groß, daß wir vor dieser Anordnung Gottes nur das Haupt beugen und sie im übrigen für gut und wahr halten und mit den Aposteln bei einer gewissen Gelegenheit folgern müßten: „Es ist nicht gut, zu heiraten“ (Mt 19 10) . Die Kenntnis von dem wirklichen Zustand des Menschen in Gottes Augen würde ohne Zweifel zum Zusammenbruch der Gesellschaft führen, in dem gleichen Maße, mit dem man ihn in Aufrichtigkeit und Schlichtheit an­erkennt; denn was bedeutet es Gutes, zu wissen, daß Christus für uns gestorben ist, wenn wir zu­gleich wissen, daß keiner von sich aus bereuen oder glauben kann, — ohne etwas darüber hinaus zu wissen? Es würde ernste Menschen dazu veranlas­sen, nur an die eigene Rettung zu denken und so Christus um den ununterbrochenen Bestand der Gläubigen und die Fortdauer der Familie der Hei­ligen zu betrügen, die bis zum Ende der Zeit das Salz der Erde und die volle Frucht Seines Leidens sein soll.

Es ist wahr, es gibt außer diesen genannten Lehren noch eine andere, nämlich, daß Christus nicht nur für die Sünder gestorben ist, sondern auch von oben Seine Gnadenhilfe gewährt, um sie zu befähigen, das zu lieben, was sie von Natur nicht lieben, und das zu tun, was sie sonst nicht tun können: glauben und gehorchen. Aber selbst dies würde nicht hin­reichen, um die Angst und den Kummer christlicher Eltern zu beseitigen. Denn obgleich Gott in Seinem Erbarmen den Menschen Seine Gnade schenkt, da­mit sie an Seinen Sohn glauben können, ist es doch so gewiß wie die Wahrheit der Schrift selbst, daß Er Seine Gnade nicht allen gibt, sondern denen, welchen Er will. Wenn irgendein Wort der Schrift wahr ist, dann ist es dies: daß es eine Erwählung gibt, daß „es nicht an jemandes Wollen oder Lau­fen liegt, sondern an Gottes Erbarmen“ (Rom 9, 16), daß einige Menschen Gott näher gebracht und mit der Gnade der Wiedergeburt beschenkt wer­den, andere dagegen nicht. Folglich, wenn wir auch noch so viel über die Gabe des Heiligen Geistes wie auch über den verdienstvollen Tod Christi wüßten, so trüge doch dieses Wissen nicht im geringsten dazu bei, religiöse Menschen mit dem zu versöhnen, was sie sicher als Grausamkeit und persönliche Schuld ansehen müßten, nämlich Vater und Mutter zu werden.

Wäre dies alles, was wir über die Frage wüßten, so könnte, meine ich, kein irgendwie ernster Mensch den Gedanken ertragen, „den Kindern des Zornes“ dieser Welt neue hinzuzufügen (Eph 2,3), außer ein besonderes göttliches Gebot verpflichtete ihn dazu. Wenn selbst eine einzige überlegte, sündhafte Handlung  tatsächlich  etwas  Ungeheures  und Schreckliches ist, todbringend und verdammenswert, was ist dann doch jedwelche Sünde, sagen wir Gotteslästerung, Mord, Götzendienst oder selbst die größte, im Vergleich zu der Tat, einem ver­nunftbegabten, individuellen und verantwortlichen Wesen das Dasein zu geben, einem Wesen, das mit all den zur menschlichen Natur gehörigen Fähig­keiten und Neigungen ausgestattet ist, das dem Leiden unterworfen und unsterblich ist, das mit der Zeit einen unheilbar verderbten Willen und ein gottfeindliches Herz offenbart, — selbst wenn die Möglichkeit bestünde, daß dieses Wesen vielleicht eines von denen ist, die zum ewigen Leben aus­erwählt sind? Wüßten wir nicht mehr vom Evan­gelium als das, was ich bisher angeführt habe, gä­ben wir uns zufrieden mit diesem halben Evange­lium, das manchmal für das ganze genommen wird, dann wäre zweifellos keiner so selbstsüchtig und gefühllos wie wir, wenn wir unsere Zufriedenheit darin fänden, uns wegen weltlicher Annehmlich­keiten, wegen eines glücklichen Heims und um ähn­licher Dinge willen, mit jenen zu umgeben, über die wir — wie sehr wir sie auch liebten und wie in­brünstig wir auch für sie beteten — nur so viel wüßten, daß die Möglichkeit besteht — irgendeine Möglichkeit —, daß sie vielleicht unter der Zahl der wenigen sein könnten, die Christus vom Fluch der Erbsünde errettet.

Wir wollen nun sehen, wie Seine huldvollen Worte, die uns im Vorspruch begegnen, die Schwierigkeit beheben.

Fürwahr, unser Barmherziger Heiland hat viel mehr für uns getan als nur die wunderbaren Leh­ren des Evangeliums geoffenbart; Er hat uns befä­higt, Nutzen daraus zu ziehen. Er hat uns Anwei­sungen wie auch Lehren gegeben und uns zugleich besondere Ermutigung und Tröstung verliehen. Was für eine tote, nutzlose Welt wäre das, wenn das Sonnenlicht sich nicht durch die Luft ergösse und nicht auf alle Gegenstände ringsum fiele, uns so befähigend, Erde, Himmel und die Sonne selbst zu sehen! Können wir uns eine Natur vorstellen, die so eingerichtet wäre, daß die Sonne wie ein glänzender Fleck am Himmel erschiene, während der Himmel selbst schwarz wäre wie bei Sternen­licht und die Erde dunkel wie bei Nacht? Das wäre unsere religiöse Lage gewesen, hätte nicht unser Herr jene himmlischen Herrlichkeiten, die in Ihm vereinigt sind, uns angepaßt, mannigfach verteilt und wärme- und lichtspendend nach allen Richtun­gen ausgegossen. Er würde von oben her über uns erstrahlen in allen Seinen hohen Eigenschaften und Ämtern, als Prophet, Priester und König Seiner Auserwählten; aber wie sollten wir Seiner Gnade innewerden? Wie sollten wir tatsächlich eine Ant­wort erhalten auf unsere Gebete, und wie sollten wir wissen, daß wir sie erhalten, wie sollten wir uns der tröstlichen Zusicherung vergewissern, daß Er uns persönlich liebt, unser, wie wir fühlen, so irdisches Herz umgestalten und unsere Sünden ab­waschen will, die bekanntlich so mannigfaltig sind,

wenn Er uns nicht die Sakramente gegeben hätte, als Mittel und Unterpfänder der Gnade, als Schlüs­sel, die das Schatzhaus des Erbarmens aufschließen, als Riten, in denen wir nicht nur bitten, sondern auch empfangen und wissen, daß wir alles emp­fangen, was wir als verantwortliche Wesen empfan­gen können: zwar nicht die Gewißheit des Him­mels, denn wir sind noch im Fleisch, aber die Ge­wißheit der jetzigen Huld Gottes, die Gewißheit, daß Er mit uns versöhnt ist, in uns und mit uns alle Gerechtigkeit wirken will, unserem Bedürfnis so entgegenkommen will, daß fortan für die Voll­endung und überschwengliche Heiligung unserer unvollkommenen und sündhaften Natur nichts feh­len wird, daß wir vielmehr alles haben, was Adam je in seiner ersten Reinheit hatte, und mehr als dies, alles, was der höchste Erzengel oder Seraph je hatte zur Zeit der Entscheidung, ob er fallen oder stehen sollte?

In dem besonderen Fall z. B., den ich erwog, hat der Herr in Seiner Güte weit mehr an uns getan als lediglich gesagt, daß einige Seelen zu den Gna­den der Erlösung auserwählt sind, andere aber nicht. Er hat die Christen nicht in einer solchen Un­sicherheit über ihre Kinder gelassen. Er hat uns ausdrücklich versichert, daß die Kinder unter der Zahl Seiner Erwählten sind; und wenn ihr fragt: alle Kinder?, dann antworte ich, alle Kinder, die ihr zur Taufe bringen könnt, alle Kinder, die sie erreicht. So buchstäblich hat Er Seine Verheißung erfüllt: „Alle, die ihr dürstet, kommet zum Wasser, und die ihr kein Geld habt, eilet, kaufet und esset; kommet und kaufet ohne Geld und ganz umsonst Wein und Milch!“ (Is 55,1); und ferner: „Alles, was Mir der Vater gibt, das wird zu Mir kommen, und wer zu Mir kommt, den werde Ich nicht hinaus­stoßen“ (Jo 6, 37). Er hat Seine geheime Wahl in einem sichtbaren Sakrament enthüllt und befähigt so die Christen, das auf sich zu nehmen, wovor sie sonst notgedrungen zurückschrecken würden, — Eltern zu sein. Er schafft, meine Brüder, eurem Herzen Erleichterung, das besorgt ist (wie es immer sein muß) für das Wohlergehen eurer Kinder, selbst noch nach all den guten Verheißungen des Evangeliums, aber unsäglich besorgt, solange ihr nicht begriffen habt, wie ihr euch befreien sollt von der übergroßen Verantwortung, ewiges Dasein sündhaften Geschöpfen zu schenken, die ihr nicht ändern könnt. Mit dem größten Zartgefühl besei­tigt Er eure Schwierigkeit. Er befiehlt euch, sie zu­erst zu Ihm zu bringen und dann sie zurückzuneh­men und in Seinem Namen zu erziehen. Wie Pha­raos Tochter nimmt Er sie auf, da ihr, die natür­lichen Verwandten, gezwungen wurdet, sie dem unvermeidlichen Tod zu überlassen; und nachher gibt Er sie euch zurück, damit ihr sie um Seinetwil­len großziehet. „Lasset die Kinder zu Mir kommen und wehret es ihnen nicht; denn für solche ist das Himmelreich“ (Mk 10,14). Ferner heißt es im Vor­spruch: „Wer ein solches Kind in Meinem Namen aufnimmt, der nimmt Mich auf.“ Beachtet, Er spricht, als ob Er euch kräftig und eindringlich er­mutigen wollte; Er gibt nicht nur die Erlaubnis, sondern Er verheißt denen einen Lohn, die Ihm Kinder weihen. Er gebietet uns nicht nur, gerade das zu tun, was wir zu tun wünschen, sondern Er verleiht diesem Tun eine weitere Segnung, Er ver­heißt Seinen Segen, wenn wir die Kinder zu Ihm bringen, damit Er sie segne; wenn wir sie aufneh­men um Seinetwillen, dann ist es Ihm so, als nähmen wir Ihn Selbst auf; das ist aber der größte Lohn, den Er uns geben kann. Während wir uns in solchem Tun abmühen, Kinder in Seinem Namen aufzunehmen, wollen wir zu unserem großen Trost daran denken, daß es hierbei um keine irdische Ar­beit geht; wir nehmen Anteil an einer frohen Fest­lichkeit, an einem gesegneten und heiligen Ritus, in dem Christus, unser Heiland, nicht nur zu ihnen kommt, sondern geistlich in unserer eigenen Seele aufgenommen wird.

Diese Erwägungen ergeben sich auf den ersten Blick. Indes kann man einwenden, daß ja doch eine große Anzahl von Gott abfällt, selbst mit den Segnungen der Taufe, und wenn dem so ist, dann ist die Geburt von Kindern jetzt ein nicht weniger schreckenerregendes Thema als zuvor, im Gegen­teil, noch mehr, da ein schlimmeres Verhängnis jene erwartet, die nach erhaltener Gnade sündigen, als jene, die sie nicht empfangen haben.

Doch dieser Einwand führt uns zu einer ganz ande­ren Frage. Meine bisherigen Worte laufen auf fol­gendes hinaus: — ein Kind scheint eben aus seiner Natur, die verderbt und gottfern ist, sich über jene Eltern zu beklagen, die sie ihm gaben; d. h. es scheint nur in der Vorstellung der Eltern so zu spre­chen, wenn sie an es denken. Ihre zarte Liebe zum Kind wird gedemütigt und betrübt in dem Gedan­ken: „Dieser teure und hilflose Gegenstand unserer Liebe ist ein Sünder durch seine Eltern, gebildet in Missetat, empfangen in Sünde, geboren als Kind des Zornes.“ Ich kann mir nun vorstellen, daß dieser schreckliche Gedanke alsbald verschwindet, wenn man weiß, daß jene, die ihm sein natürliches Sein geben, es auch zu einer zweiten Geburt bringen kön­nen, in der die Erbsünde weggewaschen wird und solche Gnadenhilfen gegeben und verheißen wer­den, daß es das eigene Verschulden des Kindes ist, wenn es schließlich nicht dazu kommt, das ewige Erbe der Seligkeit in Gottes Gegenwart zu erhal­ten. Sie tilgen ihren eigenen erbsündlichen Schaden. Jetzt, da Christus uns in der Kindheit aufnimmt, hat keiner einen Grund, sich über seine gefallene Natur zu beklagen. Durch die Geburt empfängt er einen Fluch, aber durch die Taufe einen Segen, und der Segen ist das Größere; und jetzt murren über seine Lage bedeutet ein und dasselbe wie murren darüber, daß man überhaupt geschaffen ist, geschaf­fen ist als ein verantwortliches Wesen. Das heißt aber murren nicht gegen einen Menschen, sondern gegen Gott; denn obgleich es ein Mensch war, der bewirkt hat, daß unsere Natur zum Bösen neigt, ist es doch nicht eines Menschen Werk, sondern das des Schöpfers, daß wir Wesen sind, der Prüfung aus­gesetzt, mk sittlichen Anlagen, mit der Freiheit, recht oder unrecht zu tun, und der Aufnahmefähig­keit für Glück oder Elend. So dürfen die Eltern ihrem Sproß eine zweite Geburt schenken, sie neh­men fortan (wenn ich es wagen darf, mich so aus­zudrücken) geradezu teil an dem Verantwortungs­bewußtsein Gottes, der immer „gerecht erfunden wird in Seinen Worten, und recht behält im Ge­richt“ (Ps 50,6) und finden darin ihren Schutz.

Man kann indessen fragen, wie trifft dies auf die Heiden zu? Sie können ihre Kinder nicht zur Taufe bringen und deshalb laden sie die Verantwortung auf sich, daß sie Seelen ein Dasein geben, die im Zorn Gottes leben und sterben. Ich entgegne, daß niemand für etwas verantwortlich sein kann, worüber er völlig in Unkenntnis ist. Die Heiden haben keine Kenntnis von dem wahren Zustand der Menschheit und daher haben sie keine der Pflichten, die aus dieser Kenntnis erwachsen. Kei­ner von uns, nicht einmal wir Christen, sind voll über unsere eigene Lage und die Folgen unserer Handlungen im Bild; sonst wären wir zweifellos zu sehr davon überwältigt, um überhaupt noch han­deln zu können. Würden wir die ganzen Folgen jeder einzelnen Sünde absehen, würden wir erken­nen, wie sie sich durch die Ansteckung des Beispieles und Einflusses über die Welt verbreitet, wie vielen Seelen sie schadet und welches ihre ewigen Wirkun­gen sind, wir würden sicher verstummen und er­starren, wie wenn wir die Flammen des höllischen Feuers erblickten. Hinreichend Licht ist uns ge­schenkt, uns zu leiten und zu verantwortlichen We­sen zu machen, aber nicht so viel, daß es uns über­wältigt. Das Geheimnis unserer schuldbeladenen Natur wird uns nicht mitgeteilt, bevor uns nicht die Wege mitgeteilt werden, um ihr zu entrinnen; wir hören nichts von Gottes schrecklichem Zorn, bevor wir nicht von Seiner Liebe in Christus hören. Die Heiden wissen nichts von der Taufe, aber sie wis­sen auch nichts von der Erbsünde; denn Gott wollte zwar allen Menschen Furcht, Glaube und Hoffnung zuteilen, aber niemandem Verzweiflung. Ferner wissen die Heiden nichts über die Ewigkeit der künftigen Strafe; unser Herr jedoch nimmt sie bei Seiner Ankündigung des Jüngsten Gerichtes, wenn „alle Völker“ vor Ihm versammelt sein werden, nicht aus von der Gefahr desselben. Sie wissen we­der etwas vom ewigen Tod, noch vom ewigen Le­ben. Bekümmern wir uns aber nicht um die Heiden, über die uns nichts geoffenbart ist; sie sind in der Hand Gottes, des gerechten und barmherzigen Gottes; „sollte der Richter der ganzen Welt nicht Ge­rechtigkeit üben?“ (Gn 18,25).

Weiter aber kann man einwerfen: obwohl die Taufe für die Kinder christlicher Eltern bewilligt ist, wird uns doch ausdrücklich gesagt, daß wenige, nicht viele gerettet werden, weshalb die Gabe, mag sie auch noch so groß sein, die vorliegende Schwie­rigkeit nicht beseitigt, noch die Gefahr verringert, daß jene zur Welt gebracht werden, die wahr­scheinlicher unter den unglücklichen vielen als un­ter den glücklichen wenigen sind. Das ist aber gewiß ein Mißverständnis der Worte unseres Heilandes. Wo sagt Er, daß nur wenige von den Kindern Seiner treuen Anhänger gerettet werden? Er sagt zwar, daß es nur wenige sein werden aus der gan­zen Zahl der Wiedergeborenen; und die größte Zahl von ihnen, wie wir zu gut wissen, horcht nicht auf ihre Berufung. Kein Wunder, wenn ihre Kinder werden wie sie und dieser Welt leben. Aber wenn die Masse der Menschen ihr Gnadenvorrecht miß­braucht, wie wir es tatsächlich sehen, und wenn wir es nicht wagen, irgendwelche lebhafte Hoffnungen für die Kinder saumseliger Eltern zu hegen, wie soll das beweisen, daß jene, die im Glauben an Gott und in der Furcht vor Ihm leben und sich ab­mühen und danach streben, unter der Zahl der aus­erwählten wenigen zu sein, nicht die Zuversicht hegen dürfen, daß ihre Kinder in gleicher Weise zur rechten Zeit Gottes Ruf gehorchen, Seinem Hei­ligen Geist sich überlassen, „dem Bild Seines ein­geborenen Sohnes gleichförmig werden, gottesfürchtig in guten Werken wandeln“ (Rom 8,29 ) und endlich zu der ewigen Glorie gelangen? Salomon versichert uns sogar im Alten Testament: „Ist ein Kind erzogen auf dem Weg, den es gehen soll, so weicht es nicht davon ab, auch wenn es alt gewor­den“ (Spr 22,6). Noch mehr wird das (so Gott will) dort wahr sein, wo den Gebeten der Eltern und der Erziehung der Kinder die Bewilligung einer so großen und wirklichen Guttat vorausgeht, wie es die Wiedergeburt der Taufe ist; um so mehr, da Sein Sohn in Seiner Huld die kleinen Kinder zu Vorbildern für die Erwachsenen gemacht hat, in­dem Er erklärte, daß wir dann und nur dann wahre Glieder Seines Reiches sind, wenn wir werden wie sie, und da Er sie zum Zeichen Seines Wohlwollens „in Seine Arme schloß, ihnen die Hände auflegte und sie segnete“ (Mk 10,16) . Man bedenke nur, was Großes in der Erklärung liegt, daß Gott „uns nicht zum Zorn bestimmt hat, sondern zur Erlan­gung der Seligkeit“ (1 Thess 5, 9), und man wird fühlen, daß man getrost seine Kinder seinem Herrn und Heiland anvertrauen kann, daß Widerstreben nicht mehr ernste Klugheit verrät, sondern ein un­gläubiges und undankbares Mißtrauen und daß die Verantwortung für sie jetzt zwar auch noch eine bange, aber keine drückende oder schmerzliche Auf­gabe ist, vielmehr ein liebevolles Sich mühen, ein freudiger Christusdienst.

Zuletzt kann man noch fragen, welches schließlich die Ermutigung sei, die aus der christlichen Taufe quillt, daß wir sie ohne diese nicht gefunden hätten, da doch scheinbar die Hoffnung der Kinder nicht so sehr auf der Spendung des Sakramentes beruhen soll als auf dem Glauben und den Gebeten der El­tern und der sorgfältigen Erziehung. Diese Mittel, kann man einwerfen, könnten und würden von reli­giösen Eltern angewandt worden sein, auch wenn sie nur etwas von Christi Verdiensten und Gaben gewußt hätten, ohne Anweisung, wie man sie den einzelnen vermitteln und zuwenden sollte; sie hät­ten also gebetet, über ihren Kindern gewacht und so Gnade für sie erlangt, und sie können jetzt auch nicht mehr tun. Aber kann man tatsächlich so argu­mentieren? Wie? Besteht kein Unterschied zwi­schen Bitten und Empfangen? — Denn das Gebet ist ein Bitten und die Taufe ein Empfangen. Be­steht kein Unterschied zwischen einer Möglichkeit und einer Gewißheit? Wie viele sterben im Kindes­alter! Besteht kein Unterschied, ob man weiß, daß ein Kind in den Himmel eingegangen ist oder daß es starb, wie es geboren wurde? Aber auch ange­nommen, ein Kind bleibt am Leben, ist dann die Wiedergeburt nicht ein wirklicher Gewinn? Erneu­ert sie nicht unsere Natur, erhebt sie uns nicht in der Ordnung des Seins, gibt sie uns nicht zusätzliche Kräfte, erschließt sie uns nicht unsagbare Segnun­gen und läßt sie überdies nicht in höchstem Maß die Hoffnung auf unsere Rettung erstrahlen, wenn die religiöse Erziehung folgt? Ich will noch weiter ge­hen. Viele Menschen sterben ohne Zeichen einer bewährten Heiligkeit oder eines irgendwie gefestig­ten Wesens. Wir wissen allerdings, daß nicht aus­genutzte Gnadenvorrechte niemanden erretten; aber wir wissen nicht, können es auch nicht sagen, ob in den Seelen, in denen noch so wenig Kraft wohnt, aber viel Ringen und viel Reue ist, die Wiedergeburt, wie im Fall der Kinder, später nicht nützlich sein kann in einer geheimnisvollen Weise, über die wir mit unserer jetzigen Kenntnis nichts sagen noch uns eine Vorstellung machen können. Sicher ist es keine geringe Wohltat, „des Heiligen Geistes teilhaftig geworden zu sein und die himm­lische Gabe und die Kräfte der zukünftigen Welt gekostet zu haben“ (Hebr 6,4.5).

Ich hege die Zuversicht, daß diese Überlegungen mit Gottes Hilfe hinreichen dürften, euch einen tie­feren Blick für das behandelte Thema zu erschlie­ßen, als er oft selbst bei denen vorhanden ist, die sich in religiösen Gedanken irgendwie damit befas­sen. Freilich fürchte ich, daß sehr viele, obwohl sie einer Konfession angehören und sie achten, doch überaus geringe und kümmerliche Vorstellungen von der Würde ihrer Stellung als Christen haben. Christ sein ist eine der wunderbarsten und er­habensten Gaben in der Welt. Es bedeutet in einem gewissen Sinn, über den Engeln oder Erzengeln stehen. Wenn wir ein bißchen erleuchteten Glauben besitzen, verstehen wir, daß unser Stand als Glieder der Kirche Christi voll des Geheimnisses ist. Was ist so geheimnisvoll, wie geboren zu werden, gleich uns, unter Gottes Zorn? Was ist so geheimnisvoll, wie erlöst zu werden durch den Tod des mensch­gewordenen Gottessohnes? Was ist so geheimnis­voll, wie die Kraft dieses Todes persönlich durch Sakramente zu empfangen? Was ist so geheimnis­voll wie die Fähigkeit, einander im Guten oder Bösen zu belehren und zu erziehen? Wenn einer überhaupt auf solche Gedanken sich einläßt, wie ändert sich dann seine Ansicht über die Geburt der Kinder! In welch neuem Licht zeigen sich ihm seine Pflichten als Vater oder Mutter! Die Vorstellung der meisten ist wohl die, daß es Behaglichkeit be­deutet, ein Heim zu haben — das ist es, was man einen unschuldigen und lobenswerten Grund zum Heiraten heißen möchte —, daß es tröstlich ist, Frau und Familie zu haben. Und der oberste Gesichts­punkt für eine Reihe von Personen ist der, daß es anständig und achtbar ist, ein verheirateter Mann zu sein; daß es einem Mann eine Stellung in der Gesellschaft gibt und ihn ansässig macht. All dies ist wahr. Ohne Zweifel sind Weib und Kinder Seg­nungen Gottes; und es ist lobenswert und recht, Sinn für Häuslichkeit zu haben und in geordneten und ehrenvollen Verhältnissen zu leben. Aber jemand, der seinen Blick auf diese Gedanken be­schränkt, der die Ehe und die Geburt der Kinder nicht für etwas viel Höheres und Himmlischeres hält als alles, was man sieht, der im heiligen Ehe­bund keine göttliche Einrichtung erblickt, die die Vereinigung zwischen Christus und der Kirche dar­stellt, und die Geburt der Kinder nicht mit der Sat­zung ihrer Neugeburt in Verbindung bringt, ein solcher, kann ich nur sagen, hat sehr irdische An­schauungen. Es ist gut, fortgesetzt, Jahr um Jahr, für das vergängliche Brot zu arbeiten; und wenn wir in der Welt gut dran sind, eher an unseren Fa­milien Interesse und Freude zu haben, als außer­halb des Hauses nach Vergnügungen zu suchen; das ist sehr gut, aber es ist nicht Religion. Wir wollen uns bemühen, die Gefühle, die wir für die Kinder hegen, religiös immer mehr zu vertiefen. Wir wol­len uns davor hüten, nichts Höheres zu erstreben als lediglich ihre gute Erziehung für diese Welt, als ihren Eintritt in geachtete Kreise, ihren Erfolg im Beruf und ihre gute Versorgung. Gehen wir nie von der Annahme aus, wir dürften uns von der Ver­antwortung, ihre Eltern zu sein, freisprechen, so lange wir sie nicht zu Christus gebracht haben, in der Taufe wie auch durch religiöse Erziehung. Seien wir dessen eingedenk, daß wir für ihr ewiges Heil immer beten müssen; wir wollen „wachen für ihre Seelen als solche, die Rechenschaft geben müs­sen (Hebr 13,17). Denken wir beständig daran, daß unser Heil nicht wie etwas Selbstverständliches kommt; daß die Taufe, wenn sie ihnen auch nur ein­mal und vor langer Zeit gespendet wurde, niemals vergangen ist, sondern immer in ihnen als ein Segen oder als eine Bürde lebt. Obwohl wir die freudige Zuversicht hegen dürfen, daß „Er, der in ihnen das gute Werk angefangen hat, es vollenden wird“ (Phil 1,6), dürfen wir nicht vergessen, daß wir nur dann ein Recht haben, sie zu heben, wenn wir unseren Teil zu ihrer Erfüllung beitragen.

 

 

John Henry Newman,
Pfarr- und Volkspredigten, DP III, 20,
Schwabenverlag, Stuttgart 1951, 315-330.