Zum Schutzengelfest

Liebe Schwestern und Brüder!

In seinen späten Lebensjahren hat der große englische Heilige John Henry Newman (1801-1890) ein wunderschönes Gebet (in: J. H. Kardinal Newman, Gebetbuch – aus seinen Schriften gesammelt und übersetzt von Otto Karrer. Ars Sacra – München, o. J. 256ff.)  zum hl. Schutzengel verfasst. Es hat acht Strophen und soll uns inspirieren, im Vertrauen  zu unserem Schutzengel zu wachsen.

  1. Mein bester Freund, m e i n  von der ersten Stunde,
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    leibst du auch treuer Schützer meiner Seele,
    verlässlich mir zur Seite bis zum Tod.

Die Engel sind nicht irgendwelche Kräfte und Energien, wie es die Esoteriker behaupten, sondern sind von Gott geschaffene Personen. Zum Schutzengel können wir deshalb ein persönliches Verhältnis pflegen, wir können ihn ansprechen und lieben. Wer die vielen Schriften und Gebete von Newman kennt, weiß, dass im Zentrum seines Glaubens der dreifaltige Gott steht, den er über alles geliebt hat. Das hindert ihn nicht, den Schutzengel den besten Freund und Beschützer seiner Seele zu nennen, einen treuen Begleiter das ganze Leben hindurch.

  1. Du warst bei mir durch all mein Leben her,
    denn meine Seele ward vom Schöpfer dir vertraut,
    als er vom Erdenstoff den Leib ließ werden.

Wir dürfen annehmen, dass uns dieser Engel ab der Zeugung im Mutterschoß begleitet, also bereits in der vorgeburtlichen Phase des menschlichen Daseins. Der Schöpfergott hat ihn uns gegeben. Nun spricht Newman von der Gegenwart des Schutzengels bei der Taufe.

  1. Du warst mein Pate an dem heiligen Brunnen,
    und du mit jeder neuen Jahresknospe
    des Glaubens zarte Regung hast im Kinderherz entfacht.

Newman nennt den Schutzengel seinen bei der Taufe anwesenden Paten, der das Glaubenswachstum seiner Kinderjahre begleitet hat. Der Schutzengel half ihm in den ersten Lebensjahren, sein Herz für Gott zu öffnen und im Glauben voranzuschreiten.

  1. Und als mein Geist der Kindheit schon entwachsen,
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    m Widerspruch zum Guten sich der Sünde gab,
    da sahst du sorgenvoll der Hölle Frucht in jeder Tat.

Hier spricht Newman von den Zeiten, in denen er, der Kindheit entwachsen, im Widerspruch zum Guten gesündigt hat. Das hat den Schutzengel mit Sorge erfüllt, denn die Sünde kann zur Hölle führen. Newman war nie ein schwerer Sünder. Mit seinem zarten Gewissen jedoch betrachtete er auch kleinere Vergehen als schwerwiegend.

  1. Und wenn mich heilsam des Gerichtes Schrecken fassten,
    da war mit deines sanften Zuspruchs Raunen
    wie milder Hauch, der Seelenqualen guter Trost.

Newman hat auf seinem Glaubensweg den heilsamen Schrecken vor dem Gericht Gottes kennengelernt. Für Newman war Gott der barmherzige Gott, aber auch der gerechte und heilige Gott, für den die Sünde keine Kleinigkeit ist. In solchen Momenten des Erzitterns vor Gottes Heiligkeit, in der Erfahrung der Seelenqualen, durfte Newman erkennen, dass der Schutzengel ihn tröstete. Er war wie ein milder Hauch.

  1. Du wirst auch um mein Bette schweben,
    wenn sich das Leben neigt, wirst scheuchen mir
    den Geist der Ungeduld, des Zweifels, der Verfinsterung.

Newman weiß, dass ihn beim Sterben, obwohl er Gott ein Leben lang treu gedient hat, Versuchungen bedrängen können. Größer jedoch ist sein Vertrauen in den Schutzengel, der dann die Versuchungen zur Ungeduld, zum Zweifel und zur Verfinsterung des Geistes verscheuchen wird. Der Schutzengel wird ihm helfen, sein Leben im inneren Frieden zu vollenden.

  1. M e i n Engel, wirst du mich begleiten vor den Richter,
    mein, wenn am Ort der herben Läuterung
    die arme Seele büßend der Erlösung harrt.

Mit diesen Worten drückt Newman sein ganzes Vertrauen aus, dass der Schutzengel an seiner Seite stehen wird, wenn seine Seele nach dem Tod vor Gott, den Richter, gerufen wird, und wenn er durch die herbe Läuterung des Fegefeuers gehen wird, um büßend zur vollen Erlösung zu gelangen. Newman war immer davon überzeugt, dass nur der Heilige den heiligen Gott schauen und in seiner Gegenwart leben kann. Deshalb muss die Seele, um in den Himmel eingehen zu können, ganz rein werden und von jedem Makel der Schuld gereinigt werden.

  1. M e i n, selig mein, du Bruder meiner Seele,
    wenn der Befreiung langersehnte Stunde kommt
    und du in raschem Fluge heim mich führst zu Gott.

Der letzte Dienst, den der Schutzengel uns erweisen wird, ist der Weg vom Fegefeuer in die himmlische Herrlichkeit hinein. Dann sind wir zuhause im Schoß der göttlichen Dreifaltigkeit, dann wird der Schutzengel, unser bester Freund, der treue Schützer unserer Seele und unser Bruder, seine Sendung erfüllt haben und gemeinsam mit ihm werden wir Gott loben und preisen in alle Ewigkeit. Amen.

(Predigt von P. Peter Willi FSO, gehalten am 2. Oktober 2020 in der Pfarre St Sebastian, Gisingen-Feldkirch)