Unsterblichkeit der Seele

Veröffentlicht in: Predigten | 0

2. Predigt am 21. Juli 1833

„Was kann ein Mensch zum Tausch für seine Seele geben“ (Mt 16, 26).

Es gibt meines Erachtens keinen auch nur halbwegs unterrichteten Christen, der den Unterschied zwischen unserer Religion und dem durch sie verdrängten Heidentum nicht genau zu kennen glaubte. Auf die Frage, was wir durch das Evangelium gewonnen haben, weiß jeder unmittelbar Bescheid: nämlich das Wissen um unsere Unsterblichkeit, um den Besitz einer Seele, die ewig fortbesteht; ferner, daß diese Lehre der Heidenwelt fremd war, Christus sie aber verkündete und Seine Jünger sie kannten. Dies ist, wie jedermann mit Recht sagen wird, die große und erhabene Lehre, die der Frohbotschaft den Anspruch gab, schon bei der ersten Verkündigung gehört zu werden. Sie fesselte die gedankenlose und mit den Freuden und Aufgaben des Diesseits beschäftigte Masse, setzte sie mit der Schau auf das künftige Leben in heilsame Furcht und brachte sie zur Besinnung, bis sie sich mit ganzem Herzen zu Gott bekehrte. Man kann sagen, und das mit Recht, diese Lehre vom ewigen Leben ist es, welche die Macht und den Zauber des Heidentums gebrochen hat. Die armen, umnachteten Heiden waren in all die Frivolitäten und Torheiten einer falschen Gottesverehrung verstrickt, die das natürliche Licht verdunkelt hatte. Sie kannten zwar Gott, aber sie verließen Ihn um menschlicher Hirngespinste willen; sie schufen sich ihre eigenen Helfer und Schutzgottheiten und hatten „viele Götter und viele Herren“ (1 Kor 8, 5). Sie hatten ihren entweihten Kult, ihre prunkenden Umzüge, ihr dehnbares Bekenntnis, ihre billigen Verpflichtungen, ihre sinnlichen Feste, ihre kindischen Ausschweifungen: eine Religion geeignet für Wesen, die siebzig und achtzig Jahre zu leben haben und dann ein für allemal sterben, ohne je wiederzukehren. Ihre Lehre und Lebensnorm hat geheißen: ,Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ [1 Kor 15, 32]. „Morgen sind wir tot“; das gaben auch die heiligen Apostel zu. Soweit gingen sie eins mit der Lehre der Heiden; „Morgen sind wir tot“: aber dann fügten sie hinzu: „Und nach dem Tode folgt das Gericht“ [Hehr 9, 27], das Gericht über die unsterbliche Seele, die trotz des Todes des Leibes fortlebt. Diese Wahrheit war es, die im Menschen den Gedanken an die Notwendigkeit einer Religion wachrief, die besser und tiefer wäre als die, welche bei Christi Ankunft die Welt beherrschte. Sie aber bewirkte, daß die Menschen von diesem ihrem alten Götzendienst ließen, und er zerfiel. Ja, er zerfiel, obschon bei allen Mächten der Erde auf den Thron erhoben, ein bislang noch nie gesehenes Schauspiel; obschon von den Großen und den Vielen, von der Herrlichkeit der Könige und von der Halsstarrigkeit des Volkes begünstigt. Seine Trümmer liegen zerstreut auf dem Antlitz der Erde: die zerschlagenen Werke ihres großen Gönners, jenes geschworenen Feindes Gottes, des heidnischen Römischen Reiches. Sogar bei uns finden sich seine Ruinen, ein Beweis für die erstaunliche Größe seiner Macht. Um so größer freilich erwies sich die Gegenmacht, die seine Macht zerschlug; und das war die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. So allumfassend ist die Revolution, welche diese erhabene Lehre überall dort hervorruft, wo man sie wirklich annimmt. Jeder von uns ist, wie gesagt, in der Lage, über diese Lehre fließend zu sprechen, und weiß, daß die Kenntnis hiervon den grundsätzlichen Unterschied zwischen unserer Geisteshaltung und derjenigen der Heiden bildet. Und doch wird kaum ein Zweifel darüber sein, daß trotz aller Fähigkeit, darüber zu reden, und trotz „unserer Richtschnur der Erkenntnis“ (Röm 2, 20), (wie St. Paul es nennt), die sogenannten Christen sich zum größeren Teil überhaupt keine wahrheitsgetreue Vorstellung in ihrem eigenen Geiste davon machten. Es ist auch in der Tat sehr schwer, unserem Geist und Empfinden nahezubringen, daß wir Seelen haben. Es gibt keinen folgenschwereren Fehler, als zu meinen, daß wir die rechte Einsicht in eine Lehre hätten, sobald uns der entsprechende Ausdruck dafür zur Verfügung steht. Ja, die Erkenntnis, daß wir eine Seele haben, ist in der Tat so groß, daß dieses Wissen, im Zusammenhang mit seinen Folgen gesehen, nichts anderes bedeutet, als daß wir die Angelegenheit ernst nehmen, d. h. wahrhaft religiös sind. Für jeden Christen ist die tiefe Erkenntnis unserer Unsterblichkeit notgedrungen mit einem Gefühl der Furcht, des Zitterns und der Reue verbunden. Wer würde nicht durch einen wirklichen Blick auf die höllischen Flammen und auf die hoffnungslos darin eingeschlossenen Seelen ernüchtert? Würde nicht sein ganzes Denken durch diesen furchtbaren Anblick so gefesselt, daß er innehielte, wie gebannt darauf hinstarrte und alles andere vergäße? Er würde nichts anderes sehen, nichts hören, er wäre nur eingenommen von dieser Schau. Ja, wäre ihm der Anblick entzogen, dann bliebe ihm die Vorstellung davon derart im Gedächtnis haften, daß er hinfort aller Lust und aller rein weltlichen Inanspruchnahme um ihrer selbst willen abgestorben wäre und diese nur noch in ihrer Bezogenheit auf jene schreckliche Vision zu sehen vermöchte. Das wäre die überwältigende Wirkung einer solchen Enthüllung, gleich ob sie tatsächlich eine Bekehrung bewirkte oder nicht. Und das wäre die Art der Versunkenheit in den Gedanken an das künftige Leben für solche, die in Wahrheit und von Herzen die Botschaft Christi und Seiner Apostel annehmen. Dennoch steht die große Menge der sogenannten Christen dieser Denkweise und infolgedessen dieser wahren Erkenntnis fremd gegenüber; ein dichter Schleier verhüllt ihr Auge. Trotzdem sie imstande sind, Worte für diese Lehre zu finden, ist ihr Zustand so, als ob sie noch nie davon gehört hätten. Sie leben wie einst die Heiden. Sie essen und trinken, sie geben sich eitlen Vergnügungen hin und leben angst -und sorglos in der Welt, als ob Gott nicht erklärt hätte, daß ihr Leben hier entscheidend sei für ihr Geschick drüben, gerade als ob sie keine Seele hätten oder als ob deren Heil sie nichts oder wenig anginge. Das aber war der Glaube der Heiden.

Nun wollen wir uns Gedanken machen über die bedeutsame Tatsache, daß wir eine Seele haben, sowie über die Schwierigkeit, der wir dabei begegnen; denn dies wird uns förderlich sein bei dem Versuch, diese ehrfurchterheischende Wahrheit lebendig zu erfassen.

Wir sind offenkundig von Geburt an auf unsere Umgebung angewiesen. Wir sehen und fühlen, daß wir ohne die Hilfe eines Menschen weder leben noch weiterkommen können. Einem Kinde ist die Welt sein Alles: es selbst ein Teil derselben – ein Teil der Welt, wie der Zweig ein Teil des Baumes ist. Es ist sich seiner eigenständigen und unabhängigen Existenz nicht bewußt: d.h. es hat noch keinen rechten Begriff davon, daß es eine Seele besitzt. Und ginge es mit seiner Vorstellung unverändert durch das Leben, so gewänne es auch bis zum Lebensende keinen rechten Begriff davon, daß es eine Seele hat. Es sieht sich selbst nur in seiner Verflochtenheit mit dieser Welt, die sein Alles ist. Es erwartet von dieser Welt sein Wohlergehen, wie von einem Abgott. Und versucht es, über dieses Leben hinauszublicken, so kann es nichts außerhalb seines Gesichtskreises entdecken, da es keine andere Vorstellung, noch die Möglichkeit hat, sich etwas anderes vorzustellen als dieses Leben. Und müßte es sich dennoch etwas ausdenken, dann würde es sich immer wieder nur diese Welt träumen. Ebenso ging es den Heiden, die sich ihre Gedanken machten über die Überlieferungen von einem anderen Leben, die bei ihnen im Schwange waren: ihre Vorstellung konnte sich die Seligkeit der Seligen nur in der früheren Art als Freude an der Sonne, am Himmel, an der Erde, nur noch mit mehr Glanz, als sie ihn jetzt besitzen, ausdenken.

Verstehen, daß wir eine Seele besitzen, heißt unseren Abstand empfinden von der sichtbaren Welt, unsere Unabhängigkeit von ihr, unser eigenes Sonderdasein, unsere Individualität, unsere Macht, so oder so zu handeln, unsere Verantwortlichkeit für unser Tun. Das sind die großen Wahrheiten, die auch in der Kinderseele verborgen liegen. Sie können sich durch Gottes Gnade auch gegen den Einfluß der Außenwelt entfalten; aber zunächst hat die Außenwelt das Übergewicht. Wir schauen von uns weg und blicken in die Umgebung, ja wir vergessen uns darüber. Wir verlassen uns auf die Stütze schwankender Rohre, unsere wahre Kraft übersehend. So sieht es bei uns aus, wenn Gott Sein Werk beginnt, uns zu einer wahren Schau unserer Stellung im großen Plane Seiner Vorsehung zurückzurufen. Sucht Er uns heim, dann regt sich in uns bald eine Unruhe. Mit Gewalt drängt sich unserem Geist die Nutzlosigkeit und Haltlosigkeit der irdischen Dinge auf. Diese machen große Versprechungen, aber sie erfüllen nichts und bringen Enttäuschung. Selbst wenn sie aber eine Erfüllung brächten, dann (so ist es) befriedigen sie uns doch nicht. Immer noch bleibt ein Sehnen nach etwas, aber wir wissen nicht recht, wonach; jedoch sind wir sicher, es ist etwas, das uns diese Welt nicht gegeben hat. Sie ändert sich so vielfach und schnell, so lautlos und unausgesetzt. Ihr Wechsel hört nie auf; sie ändert sich immerfort, bis unser Herz ganz krank ist. Dann ist unser Vertrauen zu ihr zerbrochen. Man sieht, wir können uns nicht ständig von ihr abhängig machen, außer wir halten Schritt mit ihr und bleiben selbst ständig im Wechsel. Das aber geht nicht an. Wir erleben, daß wir selbst ein und dieselben bleiben, während sie sich ändert. Auf diese Art [S22] geht uns unter Gottes Gnade ein schwacher Schimmer auf über die Bedeutung unserer Selbständigkeit gegenüber den zeitlichen Dingen und über unsere Unsterblichkeit. Und käme dann unverhofft, wie es nicht selten geschieht, ein Unglück über uns, so gelangt uns die Nichtigkeit der Welt noch viel mehr zum Bewußtsein. Unser Mißtrauen ihr gegenüber steigert sich, und wir werden der Liebe zu ihr entwöhnt, bis sie zu guter Letzt nur noch wie ein eitler Schleier vor unseren Augen flimmert, der bei aller Farbenpracht uns die jenseitige Welt nicht verbergen kann. So reift allmählich in uns die Erkenntnis, daß es in Wahrheit nur zwei Dinge im ganzen Weltall gibt: unsere eigene Seele und Gott, der sie geschaffen hat[1]. Erhabene, ungeahnte Wahrheit! – und doch so wahr. Für jeden von uns gibt es nur zwei Dinge in der Welt: ihn selbst und Gott. Der ganze Schauplatz der Welt mit all seinem Vergnügen und Streben, seinen Ehren und Sorgen, seinem Planen, seinen Persönlichkeiten, seinen Königreichen, seiner Menge von Arbeitssklaven: was soll uns das alles schon? Nichts – nur ein Theater. „Es vergeht die Welt mit ihrer Lust“ [1 Jo 2, 17]. Und auch all die anderen, die uns nahestehen, die wir nicht als eitle Welt aufzählen dürfen, ich meine unsere Freunde und Verwandten, die wir mit Recht lieben: auch sie gelten uns zu guter Letzt hier auf der Welt nichts. Sie können uns in Wirklichkeit nicht helfen noch nützen; wir sehen sie, aber sie wirken auf uns nur so wie aus der Ferne, durch die Vermittlung der Sinne. Sie kommen nicht heran an unsere Seelen, der Eintritt in unsere Gedankenwelt ist ihnen verwehrt, noch können sie uns in Wahrheit Gefährten sein. Ganz anders wird es durch Gottes Gnade im Jenseits sein; hier auf Erden aber haben wir nicht die Freude ihrer Gegenwart, sondern nur einen Vorgeschmack dessen, was einmal sein wird. Im Letzten treten sie zurück vor dem klaren Blick, einmal auf unser eigenes Sein, sodann auf die Gegenwart unseres großen Gottes in und über uns, als auf unseren Lenker und Richter, der in uns wohnt durch unser Gewissen, das Seine Stelle vertritt.

Jetzt laßt uns erwägen, welche Umwälzung im Herzen eines noch nicht hoffnungslos Verworfenen sich vollziehen wird, in dem Maße, wie er dieses Verhältnis zwischen sich selbst und Seinem höchsten Gott sich vergegenwärtigt. Nie im Leben können wir erfassen, was es heißt, daß wir ewig leben; jedoch können wir begreifen, was es heißt, daß diese Welt nicht auf ewig besteht, weil sie ja vergeht, um nie wieder zu erstehen. Diese Erkenntnis aber lehrt uns, daß wir ihr keinen Dienst und keine Verbindlichkeit schulden. Sie hat keinen Anspruch auf uns und bringt uns keinen nennenswerten Nutzen noch Schaden. Andererseits aber gebietet uns das Gesetz Gottes, das in unserem Herzen geschrieben steht, Ihm zu dienen, ja zeigt uns teilweise die Art dieses Dienens an; und die Schrift vervollständigt diese Weisungen, die die Natur begann. Beide aber, Schrift und Gewissen, lehren uns, daß wir für unser Tun verantwortlich sind, und daß Gott ein gerechter Richter ist. Unser Heiland vor allem, der sichtbar gewordene Herr und Gott, nimmt die Stelle der Welt ein, indem Er sich als der Eingeborene des Vaters sichtbar gezeigt hat, so daß wir nicht sagen können, Gott sei ein verborgener Gott. So sind allerlei große Mächte am Werk, dem Menschen Vorspann zu leisten, daß er sich von den irdischen Dingen zu den himmlischen wende, daß er sich selbst verleugne, sein Kreuz auf sich nehme und Christus nachfolge. Christi erschreckende Drohungen und Warnungen sollen den Ernst im Menschen wecken, Seine Gebote sollen ihn anziehen und emporheben, Seine Verheißungen ihn aufmuntern, Seine Guttaten und Leiden ihn bis in den Staub demütigen und sein Herz ein für allemal in Dankbarkeit an Den fesseln, dessen Erbarmen alles übersteigt. All diese Einflüsse wirken auf ihn ein. Und so wie einst Matthäus sich von seiner Zollbank weg auf Christi Ruf erhob, nicht achtend der Bemerkungen der Umstehenden, so gehen jene ihren Weg, die durch Gottes Gnade Seiner heimlich rufenden Stimme gehorchen, gegen den Strom der Welt und ohne Rücksicht auf Menschenworte. Denn sie wissen, daß sie eine unsterbliche Seele haben; das eine Notwendige, um das sie sich kümmern müssen. Ich weiß gut, es gibt vorlaute Lehrer, die in die Welt auszogen, dieselbe Sprache reden wie ich, aber etwas ganz anderes dabei meinen. Es sind jene, welche die Taufgnade ableugnen und der Ansicht sind, die Bekehrung des Menschen zu Gott gehe ganz plötzlich vor sich. Aber ich brauche hier auf den Unterschied zwischen ihrer Lehre und derjenigen der Heiligen Schrift nicht hinzuweisen. Soweit sie bei allem sonstigen Irrtum behaupten, wir seien von Natur aus blind und sündhaft, sagen sie die Wahrheit. Ebenso mit ihrer Meinung, wir müßten durch die Gnade Gottes und durch eigenes Bemühen erst zur Erkenntnis kommen, daß wir eine Seele haben, und müßten uns zu einem neuen Leben emporarbeiten, indem wir uns von der bestehenden Welt trennen und im Glauben der unsichtbaren und kommenden Welt entgegenwandern. Denn so sprechen sie die Sprache der Schrift, die da sagt: „Wache auf, der du schläfst, steh auf von den Toten, und Christus wir dich erleuchten. So sehet zu, Brüder, wie ihr vorsichtig wandelt, nicht wie Unweise, sondern wie Weise, und erkaufet die Zeit, denn die Tage sind böse. Darum werdet nicht unverständig, sondern verstehet, was der Wille des Herrn ist“ (Eph 5, 14-17).

Stellen wir daher im Ernst die Frage an uns selbst und bitten wir Gott um die Gnade, es ehrlich zu tun, die Frage, ob wir uns von dieser Welt gelöst haben, oder ob wir, anstatt Gott, unserem Ewigen Schöpfer, ergeben zu sein, noch in Abhängigkeit von der Welt leben und in Unwissenheit über das Dasein der Seele noch tatsächlich teilnehmen an der vergänglichen Welt. Ich weiß sehr gut, daß dem größeren Teil der Menschen derlei Gedanken zuwider sind. Es gibt ohne Zweifel diesen oder jenen, die bei Anhören der von mir betonten Lehre im Innersten denken, daß die Religion auf diese Weise düster und abstoßend wird. Er würde lieber einem Lehrer lauschen, der auf weniger strenge Art spräche; das Christentum sollte ja auch tatsächlich nicht ein dunkel lastendes Gesetz, sondern eine Religion der Fröhlichkeit und der Freude sein. Das ist die Ansicht junger Leute, wenn sie diese auch nicht in der folgerichtigen Form vorbringen. Lebensstrenge ist in ihren Augen etwas Anstößiges und Widerwärtiges. Sie wollen nichts davon wissen. Im reiferen Alter aber und bei größerer Lebenserfahrung lernen sie ihre Meinung verteidigen und sie mehr oder weniger in der Weise ausdrücken, wie ich es gerade tat. Sie hassen die Wahrheit und widersetzen sich ihr sozusagen grundsätzlich; und je mehr man sie überzeugen will, daß sie eine Seele haben, um so mehr sind sie entschlossen zu leben, als ob sie keine hätten. Aber es soll von vornherein als klar und unbezweifelt gelten, daß die Religion dem, der sie vernachlässigt, immer schwer vorkommen muß. Alles, was wir zu lernen haben, fällt uns anfangs schwer. Besonders schwer aber sind die Pflichten gegen Gott und gegen den Nächsten um Seinetwillen; denn sie fordern von uns, daß wir ein neues Leben beginnen und auf die Liebe zu dieser Welt zugunsten der andern verzichten. Daran ist nichts zu ändern, wir müssen bangen und trauern. bevor wir uns freuen können. Das Evangelium muß erst als Last empfunden werden, bevor es Trost und Frieden spenden kann. Es kann sich niemand das Herz losreißen lassen von den natürlichen Gegenständen seiner Liebe, ohne den Schmerz dabei und das Nachzittern später zu fühlen. So liegt es in der Natur dieses Vorganges. Und mag es noch so zutreffend sein, daß dieser oder jener Lehrer hart und abstoßend wirkt, er kann doch die Dinge nicht wesentlich ändern. Dem weltlichen Geist erscheint die Religion anfänglich als ermüdende Last. Und hat sich einer ehrlich zu religiöser Lebensführung entschlossen, dann geht es nur mit Mühe und Selbstverleugnung.

Es gibt jedoch andere, die weit mehr zu guter Hoffnung berechtigen als die Obengenannten. Hören sie von Buße und von der Verpflichtung zum neuen Leben, dann erschrecken sie bei dem Gedanken an die Größe dieses Beginnens und verlieren den Mut ob der Höhe der Forderung. Jedoch, wohlverstanden, das volle Begreifen unserer persönlichen Verantwortlichkeit und Unsterblichkeit wird von ihnen nicht auf einmal verlangt. Ich habe nie behauptet, daß einer keine Hoffnung haben dürfe, der die Vergänglichkeit der Welt und den Wert der Seele noch nicht in vollem Maß erfaßt hat. Nur an dem müßte man verzweifeln, der weder den Wunsch hat, noch den Versuch macht, dies alles zu erkennen und zu empfinden. Ein Christ müßte einerseits mit seinen Lippen seine Unsterblichkeit bekennen, andererseits sein Leben in Einklang zu bringen versuchen mit dem Sinn seiner eigenen Worte; und dann ist er auf dem Weg zum Heil; auf dem Weg zum Himmel, selbst wenn er sich noch nicht vollständig von den Fesseln dieser Welt befreit hat. Tatsächlich ist niemand von uns ganz losgelöst von dieser Welt. Wenn wir von unseren Pflichten sprechen, gebrauchen wir insgesamt Ausdrücke, die einen höheren und volleren Sinn haben, als wie wir ihn wirklich fassen. Keiner begreift es voll und wirklich, was das heißt, eine Seele zu haben; selbst der Beste aus uns ist nur auf dem Weg zu dieser nüchternen Wahrheit; und auch noch der Schwächste und Unwissendste unter jenen, die sie suchen, ist zwangsläufig auf dem Weg dahin. Deshalb braucht keiner beunruhigt zu sein über die Kunde, daß er noch viel zu tun hat, bis er in Gottes Augen zu der rechten Einsicht in seine Lage kommt, d. h. zum Glauben. Wir alle haben viel zu tun; entscheidend aber ist: sind wir gewillt es zu tun? O daß wir doch ein Herz hätten, das stark genug wäre, die sichtbare Welt hintanzusetzen, sie nur als eine Scheidewand zwischen uns und Gott ansehen zu wollen! Vermöchten wir es doch, unsere Gedanken auf Den zu richten, der hinter den Vorhang getreten ist, der über uns wacht, uns heimsucht, ja segnet und auf uns wirkt und uns zum Guten ermuntert Tag für Tag! Aber ach, wie lassen wir uns durch den Wechsel der täglichen Geschehnisse ins Schwanken bringen! Wie schwer ist es, standhaft und gleichmütig zu bleiben inmitten der Verführungen und Schrecknisse der Welt! Wir wechseln unsere Empfindungen je nach Ort, Zeit und den Menschen unserer Umgebung. Am Sonntag meinen wir es ernst und am Montag sündigen wir mit Überlegung. Am Morgen stehen wir auf mit Reue über unsere Fehler und mit guten Vorsätzen, aber vor Einbruch der Nacht haben wir uns erneut versündigt. Schon der Wechsel der Gesellschaft versetzt uns in eine neue Geistesverfassung. Aber wir verstehen diese große Schwäche in uns nur ungenügend; und wir suchen nicht unsere Kraft dort, wo allein sie zu finden ist: in Gott, dem Unveränderlichen. Was werden unsere Gedanken sein an jenem Tage, da die äußere Welt zuletzt dahinsinkt und wir uns dort finden, wo wir immer schon waren: in Seiner Gegenwart, mit Christus, der zu Seiner Rechten steht! Andererseits, welch selige Enthüllung ist es für jene, denen es aufgeht, daß diese Welt nur Hohlheit und Bestandlosigkeit ist, sie aber wirklich für immer in der Gegenwart ihres Heilandes stehen! Es mag nicht recht sein, solche Gedanken in einer gemischten Versammlung vorzubringen, wo einige sein mögen, die ihr Herz noch nicht an Gott verschenkt haben; denn warum sollten die Gnadenvorzüge des wahren Christen der breiten Öffentlichkeit preisgegeben werden, und heilige Dinge, die doch sein besonderer Schatz sind, mit dem leichtfertigen Lebemenschen geteilt werden? Der Christ weiß um seine Begnadigung und braucht niemanden, der es ihm sagt. Er weiß, wem er geglaubt hat; und in der Stunde der Gefahr oder der Leiden kennt er die Bedeutung jenes Friedens, den Christus den Aposteln ohne nähere Erklärung, aber mit der Bemerkung gab: es sei ein Friede, wie ihn die Welt nicht geben könne.

„Du wirst im vollen Frieden erhalten den, der sein Herz auf Dich gesetzt, denn er vertraut auf Dich. Verlasset euch immer auf den Herrn, denn im Herrn ist ewige Stärke“ (Js 26, 3. 4).


[1] Newman schildert hier sein eigenes religiöses Jugenderlebnis. – A. d. Ü.