Sein Bild in uns

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Als unser Herr und Heiland Jesus Christus in unserem Fleisch auf die Erde kam, brachte Er eine vollkommene Sühne, „ein Schlachtopfer, eine Gabe und ein Sühnopfer für die Sünden der ganzen Welt dar“. Er wurde von einer Frau geboren. Er wirkte Wunder, Er fastete und wurde in der Wüste versucht, Er litt und wurde gekreu­zigt, Er war tot und wurde begraben, Er erstand wieder von den Toten, Er stieg zur Höhe auf und „lebt immer“ (Hebr 7,25) beim Vater, – und das alles um unseretwillen. Und wie Seine Menschwer­dung und Sein Tod unser Heil bezwecken sollten, so vollendete Er auch wirklich das Werk, das jene Erniedrigung beabsichtigte. Alles geschah, was geschehen mußte, abgesehen von dem, was nicht zu einer Zeit geschehen konnte, da jene noch nicht am Leben waren, für die es geschah. Alles geschah für uns, außer der tatsächlichen Bewilligung der Gnade, die uns, jedem einzeln, geschenkt wird. Er rettete uns zum voraus, aber die Rettung war nicht wirksam, weil wir damals noch nicht lebten. Alles übrige aber wurde damals vollendet. Satan wurde besiegt; die Sünde gesühnt, die Schuld be­zahlt, Gott versöhnt; Gerechtigkeit, Heiligung, Er­lösung, Leben, alles wurde für die Söhne Adams bereitgestellt und alles, was noch zu tun blieb, bestand nur darin, jedem einzelnen diese gött­lichen Gaben zu schenken und zu vermitteln. Das geschah nicht, weil nicht alles auf einmal geschehen konnte; es konnte nicht sogleich an den Einzelmenschen geschehen, sollte doch nach Gottes Rat­schluß das Heil eine persönliche Gabe sein. Er erneuerte nicht ein für allemal das ganze Men­schengeschlecht und Er veränderte nicht unmittel­bar bei Christi Tod die Lage der Welt in Seinen Augen. Die Sonne ging am Ostertag nicht über einer neuen Welt auf, noch erstand Er aus dem Grab über einer neuen Welt, sondern über der alten Welt, der wie zuvor sündigen, rebellischen und verworfenen Welt. Die Menschen waren immer noch, was sie gewesen waren, sowohl in sich wie in Seinen Augen. Sie waren schuldig und verderbt vor Seiner Kreuzigung und so blieben sie es nach­her; so sind sie es bis heute, es sei denn, Er lasse Sich in Seiner freien Güte und nach Seinem unum­schränkten Willen dazu herab, das Geschenk Seines Leidens diesem oder jenem zu vermitteln. Durch Sein Leiden stellte Er das Heil bereit, gab es aber nicht weg; es muß eine Schenkung oder Vermitt­lung stattfinden für alle jene, die gerettet werden sollen. Das Geschenk des Lebens ist ebenso wahr­haftig in uns, wie es nicht aus uns ist; es ist nicht nur von Ihm, sondern es ist für uns. Das muß man wohl bedenken, denn wie es solche gibt, die mei­nen, Leben, Gerechtigkeit und Heil seien aus uns, so gibt es andere, die annehmen, sie seien nicht in uns; und wie es viele gibt, die mehr oder weniger vergessen, daß die Rechtfertigung aus Gott ist, so gibt es genau so viele, die mehr oder weniger ver­gessen, daß die Rechtfertigung im Menschen sein muß, wenn sie ihm nützen soll. Und es ist schwer zu sagen, welcher der beiden Irrtümer der größere ist. – Es gibt aber auch noch einen weiteren Grund für die Behauptung, daß Christus durch Seinen Tod die gnadenvolle Heilsvermittlung nicht voll­endete: den Grund, daß der Heilige Geist kam, um sie zu vollenden. Er überließ uns nicht uns selbst, als Er zur Höhe aufstieg; so weit war das Werk noch nicht getan. Er sandte Seinen Geist. Wäre alles an den einzelnen vollzogen worden, wozu sollte sich der Heilige Geist gewürdigt haben zu kommen? Aber der Geist kam, um in uns zu voll­enden, was Christus zwar in Sich vollendet hatte, aber im Hinblick auf uns unvollendet ließ. Ihm ist es anvertraut, uns einzeln zu vermitteln, was Christus für uns getan hat. Wie also Seine Sen­dung einerseits beweist, daß die Rettung nicht aus uns ist, so beweist sie anderseits, daß sie in uns gewirkt werden muß. Denn wenn alle Gnadengaben beim Geist ruhen und wenn die Gegenwart des Geistes in uns ist, so müssen folglich diese Gaben in uns sich zeigen und auswirken. Wenn Christus unsere einzige Hoffnung ist und Christus uns durch den Geist gegeben wird und der Geist eine innere Gegenwart bedeutet, so ruht unsere einzige Hoffnung auf einer inneren Wandlung. Wie ein in einem Raum aufgestelltes Licht seine Strahlen nach allen Seiten aussendet, so durch­tränkt uns die Gegenwart des Heiligen Geistes mit Leben, Stärke, Heiligkeit, Liebe, Gottgefälligkeit und Gerechtigkeit. Gott schaut uns in Gnaden an, weil Er in uns „die Gesinnung des Geistes“ sieht; denn wer diese Gesinnung hat, trägt Heiligkeit und Gerechtigkeit in sich. Fortan sind alle seine Gedanken, Worte und Werke, weil im Geist ge­tan, wohlgefällig, angenehm und gerecht vor Gott; und was auch an Schwachheit in ihm zurückbleibt, das verhüllt die Gegenwart des Geistes. Dieser göttliche Einfluß, der die Fülle der Gnade Christi in sich trägt, um uns zu reinigen, hat auch die Kraft des Blutes Christi, um uns zu rechtfertigen. Verlieren wir nie diesen großen und einfachen Gedanken aus dem Auge, den uns die ganze Schrift vorstellt. Was Christus vor 1800 Jahren wirklich im Fleisch getan hat, wird in jedem einzelnen von uns bis hin zum Ende der Zeit im Ab­bild und zur Ähnlichkeit gewirkt. Er wurde ge­boren aus dem Geist, auch wir werden geboren aus dem Geist. Er wurde durch den Geist geheiligt, so auch wir. Er wurde der vielgeliebte Sohn ge­nannt, als der Heilige Geist auf Ihn herabstieg; auch wir rufen, Abba, Vater, in dem Geist, der in unser Herz gesandt ist. Er wurde vom Geist in die Wüste geführt; Er vollbrachte große Taten durch den Geist; Er übergab Sich dem Tod durch den ewigen Geist; Er wurde durch den Geist von den Toten erweckt;  Er wurde bei  Seiner Auf­erstehung durch den Geist als der Sohn Gottes erwiesen. Auch wir werden von dem gleichen Geist in und durch die Versuchungen dieser Welt ge­führt; auch wir vollbringen Werke des Gehorsams durch den Geist; wir sterben der Sünde, wir er­stehen wieder zur Gerechtigkeit durch den Geist; und wir werden zu Kindern Gottes erklärt, – erklärt, verkündet und behandelt als Gerechte, – und alles das durch unsere Auferstehung zur Hei­ligkeit im Geist. Oder, um die gleiche Wahrheit mit anderen Worten auszudrücken; Christus Selbst würdigt Sich, im Abbild und Mysterium alles an jedem von uns zu wiederholen, was Er im Fleisch tat und litt. Er wurde in uns gebildet, in uns ge­boren, Er leidet in uns, ersteht in uns und lebt in uns; und das nicht in einer Folge von Ereignissen, sondern alles zugleich: denn Er kommt zu uns als Geist, immer sterbend, immer auferstehend, immer lebend. Wir empfangen fortwährend un­sere Geburt, unsere Rechtfertigung, unsere Erneue­rung, wir sterben fortwährend der Sünde und er­stehen fortwährend zur Gerechtigkeit. Seine ganze Heilsvermittlung in allen ihren Teilen ist immerfort in uns allzumal; und diese göttliche Gegen­wart bildet in jedem von uns das Anrecht auf den Himmel; das ist es, was Er anerkennen und an­nehmen wird am Jüngsten Tag. Er wird Sich Selbst anerkennen, – Sein Bild in uns, – als spiegelten wir Ihn wider und als würde Er in uns auf den ersten Blick die Seinigen erkennen; jene nämlich, die Ihm Sein Bild zurückgeben. Er drückt uns ein das Siegel Seines Geistes, um zu bestätigen, daß wir Sein sind. Wie das Bild des Königs diesem die Münze zueignet, so trennt uns das Bild Christi in uns von der Welt und überweist uns dem Him­melreich.

aus: Gerechtigkeit nicht aus uns, sondern in uns, DP V, 10 (19. Januar 1840)