Religiöse Freude

Veröffentlicht in: Predigten | 0


Predigt vom 25. Dezember 1825

„Der Engel aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr“ (Lk 2, 10. 11).

Zwei Lehren hauptsächlich sind es, die uns an dem großen Fest, das wir heute feiern, gegeben werden: die der Demut und die der Freude. Dies ist der Tag, fürwahr, hoch über allen anderen, an dem uns die himmlische Würde und Gottgefälligkeit jenes Zustandes vor Augen gestellt wird, der das Los sehr vieler ist oder werden mag, nämlich eines Lebens der Bescheidenheit und Zurückgezogenheit, aber eines Lebens, das vom Frohsinn erfüllt ist. Be­fragen wir die Schriften der Historiker, der Philo­sophen und Dichter, so erwächst in uns leicht der Gedanke, daß große Männer glücklich seien; wir richten fälschlich Sinn und Herz auf hohe oder her­vorragende Stellungen, auf seltsame Abenteuer, auf mächtige Geistesgaben, die zur Tat drängen, auf denkwürdige Kämpfe und große Schicksale. Und da sehen wir, daß das höchste Lebensziel rein im Streben nach dem Guten, nicht in seinem Genuß besteht.

Denken wir aber an diesen Festtag und an seinen Festgedanken, so erschließt sich uns eine neue und ganz andere Sicht. Einmal werden wir daran er­innert, daß wir unser höchstes Gut im eigentlichen Sinn nicht mehr zu suchen brauchen, wenngleich dieses Leben immer ein Leben der Arbeit und der Mühe sein muß. Es findet sich, es hat sich uns ge­nähert in der Herabkunft des Gottessohnes aus dem Schöße Seines Vaters auf diese Welt. Es lebt in Fülle unter uns auf Erden. Nicht länger brauchen Menschen heißen Herzens sich in dem Streben nach Gütern zu verzehren, die sie für die wichtigsten halten; nicht länger müssen sie wie einst in den heidnischen Zeiten umherwandern und Gefahren bestehen auf ihrer Suche nach jener unbekannten Glückseligkeit, die ihr Herz von Natur aus sich er­sehnt. Der Textspruch verkündet ihnen und allen: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“

Auch brauchen wir nicht auf die Suche zu gehen nach irgendeinem der Dinge, die diese eitle Welt groß und edel nennt. Christus hat gänzlich miß­achtet, was die Welt hochschätzt, als Er Sich Rang und Stellung erkor, die die Welt geringschätzt. Kein Los konnte niedriger und gewöhnlicher sein als jenes, das der Sohn Gottes Sich erwählt hat.

So gibt uns also das Weihnachtsfest diese zwei Lehren – heiter und fröhlich zu sein, statt unruhig nach innen und verzagt nach außen, statt mühsam zu suchen nach großen Dingen; zweitens, dies zu sein inmitten jener dunklen und gewöhnlichen Lebensverhältnisse, die die Welt übergeht und verachtet. Gehen wir auf diesen Sachverhalt näher ein an Hand der gnadenvollen Erzählung, aus der der Textspruch genommen ist.

1. Was lesen wir zunächst unmittelbar vor dieser Stelle? Daß Hirten des Nachts bei ihrer Herde Wache hielten und Engel ihnen erschienen. Warum wohl sollten die himmlischen Heerscharen gerade diesen Hirten erscheinen? Was hatten sie an sich, das die Aufmerksamkeit der Engel und des Herrn der Engel auf sich zog? Waren diese Hirten etwa gelehrte, angesehene oder mächtige Leute? Waren sie besonders bekannt ob ihrer Frömmigkeit und ihrer Geistesgaben? Wir erfahren nichts, das zu sol­chen Gedanken Anlaß gäbe. Glauben, mag man mit Bestimmtheit sagen, hatten sie oder doch einige von ihnen; denn dem, der hat, wird noch mehr gegeben werden. Nichts aber beweist, daß sie heiliger und erleuchteter waren als die anderen Gerechten jener Zeit, die auf den Trost Israels warteten. Ja, es liegt kein Grund zu der Annahme vor, daß sie besser waren als sonst Menschen in ihrer Lebenslage: schlicht und gottesfürchtig, jedoch ohne daß sie eigentlich große Fortschritte in der Frömmigkeit oder eine sehr geformte religiöse Haltung hätten aufweisen können. Warum wurden sie dann er­wählt? Um ihrer Armut und ihrer Verborgenheit willen. Gott schaut mit einer Art besonderer Liebe oder (wie wir sagen können) mit Wärme auf die Niedrigen. Vielleicht kommt dies daher, daß der Mensch, ein gefallenes, abhängiges und hilfloses Geschöpf, mehr an seinem eigentlichen Platz ist, wenn er in niedrigen Verhältnissen lebt, und daß Macht und Reichtum, obwohl in manchen Fällen unvermeidlich, doch auf unnatürliche Weise dem Menschen als solchem anhängen. So gibt es ja auch Geschäfte und Berufe, die unziemlich und doch not­wendig sind; aber indes wir aus ihnen Nutzen ziehen und jene um so mehr ehren, die sich ihnen widmen, spüren wir doch, wie froh wir darüber sind, daß wir nichts mit diesen Berufen zu tun haben. Wie wir Dankbarkeit gegen den Soldatenstand und Achtung vor ihm empfinden, ihn jedoch nicht er­streben, so ist in Gottes Augen Berühmtheit weniger wohlgefällig als Verborgenheit. Jene steht uns weniger gut an.

Die Hirten wurden also um ihrer Niedrigkeit willen dazu erwählt, als erste von der Geburt des Herrn zu erfahren, einem Geheimnis, das keinem der Fürsten dieser Welt zur Kenntnis kam.

Und welch ein Gegensatz bietet sich uns, wenn wir in Betracht ziehen, wer die Boten unseres Herrn an sie waren! Die Engel, die an Kraft gewaltig sind, sie richteten Gottes Botschaft an die Hirten aus. Hier begegnen sich die höchsten und die niedrigsten der vernünftigen Geschöpfe Gottes. Ein paar arme Menschen, im Kampf mit der Härte des Lebens, eben jetzt der Kälte und Dunkelheit der Nacht aus­gesetzt, auf der Wache bei ihren Herden, um Raub­tiere oder Räuber zu verjagen, sie wurden, während sie an nichts anderes dachten als an irdische Dinge, da sie die Köpfe ihrer Herde abzählten, die Hunde an ihrer Seite hatten, den Geräuschen über dem Gefilde lauschten, die Witterung beobachteten und den Tag erwarteten – sie also wurden plötzlich von ganz anderen Besuchern überrascht, als sie sich vorstellten. Wir kennen den engen Gedankenkreis, die kleinen und gewöhnlichen Dinge oder vielmehr diese ein, zwei Dinge, das eine und wieder das andere, wieder und wieder, ohne Abwechslung, die den Geist von Menschen beschäftigen, die einem solchen Leben der Kälte, der Hitze und der Nässe, des Hungers und der Blöße, der Härte und der Knechtschaft ausgesetzt sind. Sie haben es auf­gegeben, sich um irgend etwas viel Sorge zu machen, sie leben mechanisch dahin, ohne Herz und noch mehr ohne Nachdenken.

Menschen in solcher Lebenslage erschien der Engel, um ihnen den Geist zu öffnen und sie zu lehren, nicht niedergeschlagen zu sein und sich für Sklaven zu halten ob ihres niedrigen Daseins in der Welt. Er erschien, um ihnen gleichsam zu zeigen, daß Gott die Armen in dieser Welt zu Erben Seines Reiches erwählt hat, und um auf diese Weise ihr Los zu ehren. „Fürchtet euch nicht!“ sagte er, „denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“

2. Und nun folgt eine zweite Lehre, die, wie gesagt, sich uns aus der Festfeier erschließt. Der Engel ehrte den niedrigen Stand schon rein dadurch, daß er den Hirten erschien; sodann lehrte er ihn, über seine Botschaft froh zu sein. Er verkündigte eine Froh­botschaft, die diese Welt so sehr übersteigt, daß sie hoch und nieder, reich und arm, alle einander gleich­stellt. Er sprach: „Fürchtet euch nicht.“ Das ist eine häufige Art der Anrede in der Schrift, wie ihr wohl schon beobachtet habt, als bedürfte der Mensch solch einer aufmunternden Versicherung, besonders in der Gegenwart Gottes. Der Engel sagte: „Fürchtet euch nicht“, da er den Schrecken sah, den seine Gegenwart unter den Hirten verursachte. Selbst ein geringeres Wunder hätte sie vernünftigerweise auf­geschreckt. Daher sprach der Engel: „Fürchtet euch nicht.“ Wir erschrecken von Natur aus vor jedem Boten aus der anderen Welt, denn, uns selbst über­lassen, haben wir ein unruhiges Gewissen, und meinen, sein Kommen verkünde Schlimmes. Zudem vergegenwärtigen wir uns die unsichtbare Welt so wenig, daß wir ob der Erscheinung eines Engels oder Geistes infolge unseres Unglaubens bestürzt wären; das ist eine Wahrheit, die uns erst jetzt zum Bewußtsein kommt und die wir nie zuvor begriffen haben. So erschraken die Hirten aus dem einen oder anderen Grund gar sehr, als die Herrlichkeit des Herrn rings um sie erstrahlte. Und der Engel sprach: „Fürchtet euch nicht.“ Haben wir nur wenig Religion, so leben wir in Angst; scheint nur wenig Licht in unser Gewissen, so wird die Dunkelheit sichtbar, nichts als Anblick von Weh und Schrecken; die Herr­lichkeit Gottes aber bestürzt uns, wenn sie rings erstrahlt. Seine Heiligkeit, die Tragweite und die Schwere Seiner Gebote, die Größe Seiner Macht, die Treue Seines Wortes erschrecken den Sünder, und da die Menschen ihn in Angst sehen, glauben sie, die Religion habe ihn so gemacht, wogegen er überhaupt noch nicht religiös ist. Sie nennen ihn schon religiös, wenn ihm nur schon das Gewissen schlägt. Die Religion selbst aber, weit entfernt, Angst und Schrecken einzujagen, sagt mit den Worten des Engels: „Fürchtet euch nicht.“ So groß ist Gottes Erbarmen, daß Seine Herrlichkeit, die Er über uns ausgegossen hat, doch eine tröstliche Herr­lichkeit ist, denn es ist das Licht der Herrlichkeit auf dem Antlitz Jesu Christi (cf. 2 Kor 4,6). So milderte der himmlische Bote den allzu blendenden Glanz des Evangeliums an jenem ersten Weihnachtsfest. Die Herrlichkeit Gottes versetzte die Hirten zuerst in Angst, dann aber fügte der Engel die Frohbotschaft hinzu, um sie zu heilsamerer und froherer Stimmung zu erheben. Nun aber freuten sie sich.

„Fürchtet euch nicht“, sagte der Engel, „denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Chri­stus, der Herr.“ Und dann, nach Beendigung seiner Botschaft, „war sogleich bei dem Engel eine Menge himmlischer Heerscharen, welche Gott lobten und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Frieden den Menschen Seiner Huld“ (Lk 2,13.14). Das waren die Worte, die die seligen Geister, die Diener Christi und Seiner Heiligen, in jener gnaden­vollen Nacht zu den Hirten sprachen, um sie aus einer Stimmung, die Kälte und Hunger in ihnen erzeugt hatte, in große Freude zu versetzen, um sie zu belehren, daß auch sie neben den Großen der Erde Gegenstand der göttlichen Liebe seien; ja in noch höherem Maße, denn ihnen hat Er zuerst die Botschaft von dem Geschehnis in jener Nacht zu­kommen lassen. Gottes Sohn kam damals auf die Welt. Solche Ereignisse tun wir Freunden und Ver­trauten kund, jenen, die wir lieben, jenen, die mit uns fühlen, jedoch nicht Fremden. Wie hätte Gott noch gnädiger sein und noch eindrucksvoller den Niedrigen und Einsamen Seine Huld zeigen können als dadurch, daß Er Sich beeilte (um mich dieses Ausdruckes zu bedienen), das große, das freudvolle Geheimnis den Hirten anzuvertrauen, die des Nachts bei ihren Schafen Wache hielten? Die erste Belehrung des Engels enthielt die Mah­nung zur Demut und Freude zugleich; aber eine unendlich tiefere lag in dem Ereignis selbst ver­borgen, auf das er die Hirten hinwies, eben in jener Geburt des heiligen Knechtes Jesus. Das deutete er in den Worten an: „Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend“ (Lk 2,12). Wenn sie hörten, daß der Gesalbte des Herrn auf die Welt gekommen sei, würden sie Ihn zweifellos in Königspalästen gesucht haben. Es war ihnen unmöglich, sich vorzustellen, daß Er einer von ihnen geworden sei oder daß sie sich Ihm nahen dürften. Deshalb kündete ihnen der Engel auf diese Weise an, wo sie Ihn finden könnten, nicht nur zum Zeichen, sondern auch zur Belehrung.

„Die Hirten sprachen zueinander: Lasset uns nach Bethlehem gehen und die Dinge schauen, die dort geschehen sind, wie der Herr uns kundgetan hat“ (Lk 2,15). Lasset auch uns mit ihnen gehen und jenes zweite und größere Wunder schauen, zu dem der Engel ihnen den Weg wies, die Geburt Christi. Der heilige Lukas sagt von der allerseligsten Jung­frau: „Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wickelte Ihn in Windeln und legte Ihn in eine Krippe“ (Lk 2, 7). Welch wunderbares Zeichen ist dies für die ganze Welt! – daher wiederholte es der Engel vor den Hirten: „Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.“ Der Gott des Himmels und der Erde, das göttliche Wort, der seit Anbeginn in der Herrlichkeit mit dem ewigen Vater gewesen ist, Er kam jetzt als ein kleines Kind auf diese Welt der Sünde. Er lag jetzt in den Armen seiner Mutter, allem Aussehen nach hilflos und kraftlos, wurde von Maria in Windeln gewickelt und zum Schlafen in eine Krippe gelegt. Der Sohn des allerhöchsten Gottes, der die Welten schuf, wurde Fleisch, obwohl Er blieb, was Er zuvor war. Er wurde so wahrhaftig Fleisch, als hätte Er aufgehört zu sein, was Er war, und als wäre Er wirklich in Fleisch verwandelt worden. Er ließ Sich herbei, der Sproß Marias zu sein, von einem sterb­lichen Wesen in die Hände genommen zu werden, einer Mutter Augen auf Sich gerichtet zu sehen und an der Brust einer Mutter genährt zu werden. Eine Evastochter wurde die Mutter Gottes – für sie ein unaussprechliches Geschenk der Gnade; doch welche Herablassung erst für Ihn! Welche Entäußerung Seiner Herrlichkeit, ein Mensch zu werden! Und nicht nur ein hilfloses Kind, obwohl das schon Verdemütigung genug wäre, sondern ein Erbe aller Schwachheiten und Unvollkommenheiten unserer Natur, die für eine sündelose Seele möglich waren. Welches waren wohl Seine Gedanken, wenn wir es wagen dürfen, solche Worte zu gebrauchen, oder eine solche Überlegung über den Unendlichen uns zu gestatten, als zum erstenmal menschliche Ge­fühle, menschliche Schmerzen und menschliche Nöte die Seinigen wurden? Welch ein Geheimnis liegt da vom Anfang bis zum Ende in dem menschgewor­denen Gottessohn beschlossen. Der Größe des Ge­heimnisses aber entspricht die Größe Seiner Gnade und Barmherzigkeit; und wie die Gnade, so ist die Größe ihrer Frucht.

Wir wollen dieses Geheimnis unausgesetzt be­trachten und dann fragen, ob es eine Folgerung gibt, die gegenüber einer so wunderbaren Heilstat zu groß wäre; ob es ein Geheimnis gibt, so groß, ein Gnadengeschenk, so überwältigend wie das, welches bereits in der Menschwerdung und im Tod des ewigen Sohnes geoffenbart ist. Würde uns gesagt, daß seine Wirkung die sei, daß wir den Seraphim gleich würden, daß wir so hoch hinaufsteigen sollten, wie Er tief hinabstieg – könnte uns das noch über­raschen nach der Botschaft des Engels an die Hirten? Nun ist aber dies in der Tat seine Wirkung, insofern man solche Worte aussprechen darf, ohne ehr­furchtslos zu sein. Menschen bleiben wir, doch nicht bloße Menschen, sondern ausgestattet mit einem ge­wissen Maß aller jener Vollkommenheiten, die Chri­stus in Fülle besitzt. Jeder hat nach seinem Maß an Seiner göttlichen Natur so vollen Anteil, daß (sozu­sagen) der einzige Grund, warum Seine Heiligen nicht wirklich sind wie Er, nur der ist, daß dies un­möglich ist – daß Er der Schöpfer ist und sie Seine Geschöpfe. Und doch ist es so, daß sie abgesehen von Gott alles sind, alles, was sie werden können, ohne die unveräußerliche Majestät des Allerhöch­sten zu verletzen. Gewiß entspricht Seiner Herrlich­keit auch Seine Macht zu verherrlichen: Sagen, wir würden durch Ihn alles nur nicht Gott – wenn auch festzustellen ist, daß wir unendlich unter dem an­betungswürdigen Schöpfer stehen – ist immerhin auch in Wahrheit sagen, daß wir höher stehen als jedes Wesen in der Welt, höher als Engel oder Erzengel, Cherubim oder Seraphim; das heißt, nicht hier oder aus uns selbst, sondern im Himmel und in Christus. Christus, nun schon die Erstlingsfrucht unseres Geschlechtes, Gott und Mensch, ist hoch über alle Geschöpfe emporgestiegen, und auch wir streben mit Hilfe Seiner Gnade zu derselben hohen Glückseligkeit; denn das Angeld Seiner Herrlich­keit wird uns hier gegeben und (wenn wir treu erfunden werden) ihre Fülle in der jenseitigen Welt.

Trifft nun dieses alles zu, dann ist die Lehre der Freude, die die Menschwerdung an uns richtet, sicherlich genauso eindrucksvoll wie die Lehre der Demut. Der heilige Paulus gibt uns die eine Lehre in seinem Brief an die Philipper: „So sollt ihr ge­sinnt sein wie auch Jesus Christus gesinnt war, welcher, da Er in Gottes Gestalt war, es für keinen Raub hielt, Gott gleich zu sein; doch Er entäußerte Sich Selbst, nahm Knechtsgestalt an und wurde den Menschen gleich“ (Phil 2, 5-7). Der heilige Petrus gibt uns die Lehre der Freude: „Den ihr, ohne Ihn gesehen zu haben, lieb habt, und an den ihr, ohne Ihn jetzt zu sehen, glaubet, über den ihr euch freuet mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlanget, nämlich das Heil eurer Seelen“ (1 Petr 1, 8. 9).

Nehmt diese Gedanken, meine Brüder, am heutigen Festtag mit nach Hause. Sie sollen euch begleiten in eure Familie und in eure Gesellschaft. Es ist ein Tag der Freude; es ist gut, sich zu freuen – es ist falsch, es anders zu halten. Einen Tag lang dürfen wir die Last unseres befleckten Gewissens abwerfen und uns an den Vollkommenheiten unseres Hei­landes Christus erfreuen, ohne an uns zu denken, ohne an unsere eigene, beklagenswerte Unreinheit zu denken; nein, laßt uns an Seine Herrlichkeit denken, an Seine Gerechtigkeit, Seine Reinheit, Seine Majestät und Seine überströmende Liebe. Wir dürfen uns freuen im Herrn und Ihn in allen Seinen Geschöpfen sehen. Wir dürfen Seine jetzige Güte verkosten und mit Ihm in unseren Gedanken an den Segnungen der Erde teilhaben; wir dürfen um Seinetwillen über unsere Freunde uns freuen und sie ganz besonders lieben, weil Er sie geliebt hat.

„Gott hat uns nicht zum Zorn bestimmt, sondern zur Erlangung der Seligkeit durch unseren Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit wir, mögen wir nun wachen oder schlafen, zugleich mit Ihm leben“ (Thess 5, 10). Streben wir nach der Gnade eines heiteren Herzens, eines gelassenen Gemütes, nach Milde, Sanftmut und Fröhlichkeit des Geistes, als Menschen, die in Seinem Licht und Seiner Gnade wandeln. Wir wollen Ihn bitten, uns den Geist einer immerreichen, immerströmenden Liebe zu verleihen, die durch ihren Reichtum und ihre Kraft die Mühsale des Lebens besiegt und ver­jagt und die uns vor allem mit Ihm vereinigt, der der Quell und die Mitte aller Huld, Liebe, Güte und Freude ist.

aus: Deutsche Preditgten Bd VIII, 17, pp. 246-257.