Newman wird Kirchenlehrer

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Zusammen mit vielen Newman-Freunden in aller Welt freuen wir uns sehr, dass Papst Leo XIV. am 31. Juli 2025 bekräftigt hat, dass der heilige John Henry Newman demnächst zum Kirchenlehrer erhoben wird. Seit seiner Heiligsprechung am 13. Oktober 2019 mehrten sich die Stimmen, die in dem großen englischen Theologen einen möglichen Kirchenlehrer sahen. Die Bischofskonferenz von England und Wales richtete deshalb an den Heiligen Stuhl eine entsprechende Bitte, die von vielen Bischofskonferenzen sowie zahlreichen Universitäten, Orden und Gemeinschaften – auch von unseren Newman-Zentren – unterstützt wurde. Nach einem Gutachten des Glaubensdikasteriums über die herausragende Lehre Newmans wurde am Dikasterium für die Heiligsprechungsprozesse eine „Positio“ erstellt, die einer Gruppe von Theologen und – vor wenigen Wochen – allen Mitgliedern des Dikasteriums vorgelegt wurde. Deren positives Votum hat der Heilige Vater nun bestätigt und erklärt, dass Newman bald in die Schar der Kirchenlehrer aufgenommen wird. Newman wird somit der 38. Kirchenlehrer.

Benedict XVI Unterschrift und das Kreuz von Kardinal Newman im Birmingham Oratory
Kreuz des Heiligen John Henry Newman und die Unterschrift von Papst Benedikt XVI ©FSO

Voraussetzungen für die Erhebung einer Person zum Kirchenlehrer sind die Heiligkeit des Lebens („sanctitas vitae“) und die herausragende Bedeutung der Lehre („eminentia doctrinae“). John Henry Newman (1801-1890) ist ein außergewöhnlicher Heiliger, der schon durch sein Leben vielen Menschen Licht schenkt. Sein innerer Weg ist spannend wie ein Krimi: Nach seiner ersten Bekehrung und dem Studium wurde er anglikanischer Geistlicher, Professor in Oxford, Prediger und Wegbegleiter vieler Menschen. Zusammen mit anderen Professoren bemühte er sich, die anglikanische Staatskirche im Geist der Kirchenväter zu erneuern („Oxford-Bewegung“). Nach langem Ringen wurde er 1845 in Littlemore von P. Domenico Barberi CP in die katholische Kirche aufgenommen, im damaligen England eine winzig kleine und in der Öffentlichkeit verachtete Gruppe. Nach seiner Priesterweihe in Rom gründete er das erste Oratorium in Birmingham. Er wirkte in der Pfarrseelsorge, gründete eine Schule und eine Universität und verfasste zahlreiche Schriften zu aktuellen Fragen. Er setzte sich für die Förderung der Laien ein und begleitete unzählige Menschen. Oft wurde er nicht verstanden, ja zeitweise sogar der Häresie verdächtigt, weil er über neue Fragen nachdachte und seiner Zeit weit voraus war. Als Leo XIII. ihn 1879 zum Kardinal erhob, wurde er endgültig rehabilitiert. Newman war ein Mann Gottes, ein mutiger Künder der Wahrheit, ein begnadeter Erzieher, ein herausragender Theologe und Schriftsteller.

Die tiefe, kraftvolle und ganz in der Schrift und in den Vätern verwurzelte Lehre Newmans wurde im 20. Jahrhundert von großen Theologen, wie etwa Romano Guardini, Erich Przywara, Edith Stein, Theodor Haecker, Henri de Lubac und Yves Congar, entdeckt und schließlich von den Päpsten in ihrer Bedeutung gewürdigt. „Eines Tages wird Newman Kirchenlehrer sein“, sagte schon Pius XII. zu Jean Guitton. Johannes XXIII. zitierte Newman in seiner Antrittsenzyklikavom 29. Juni 1959 und verwies auf dessen Bedeutung im Ringen um die Einheit der Christen.Paul VI. sagte in einer Ansprache am 7. April 1975, dass Newman „heute ein immer hellerer Leuchtstern für alle wird, die eine klare Orientierung und eine sichere Führung in den Ungewissheiten der modernen Welt suchen – einer Welt, die er selbst prophetisch vorausgesehen hat“. Johannes Paul II. stellte bei einer Begegnung mit Newman-Freunden am 27. April 1990 fest: „Das Geheimnis der Kirche blieb immer die große Liebe von John Henry Newmans Leben.“ Benedikt XVI. konnte Newman am 19. September 2010 in England zur Ehre der Altäre erheben. Bei einer Gebetsvigil am Vorabend der Seligsprechung sagte er: „Wenn heutzutage ein intellektueller und moralischer Relativismus die wahren Fundamente unserer Gesellschaft zu untergraben droht, erinnert uns Newman daran, dass wir Menschen erschaffen wurden, um die Wahrheit zu erkennen und in dieser Wahrheit unsere höchste Freiheit und die Erfüllung unserer tiefsten menschlichen Sehnsucht zu finden.“ Auch Papst Franziskus brachte seine Wertschätzung für den englischen Kardinal in wichtigen Dokumenten zum Ausdruck und verwies wiederholt auf die Aktualität seines Denkens.

John Henry Newman

In welchen Themenbereichen ist Newmans Lehre von eminenter Bedeutung? Wichtig ist seine Erkenntnis, dass das Christentum eine lebendige Wahrheit darstellt, die göttlichen Ursprungs ist und sich in der Gemeinschaft der Kirche im Laufe der Geschichte organisch entfaltet. Seine Ausführungen über die Entwicklung der Glaubenslehre und über die Kriterien zur Unterscheidung zwischen echten und falschen Lehrentwicklungen sind wegweisend und können auch in den gegenwärtigen Debatten Orientierung schenken.

Newman trug die feste Überzeugung in sich, dass die Weitergabe des Glaubens der ganzen Kirche anvertraut ist. Deshalb unterstrich er, dass es neben der klaren Verkündigung durch die Hirten auch des intellektuellen Dienstes der Theologen und des mutigen Zeugnisses der Laien bedarf. Seine Gedanken über den Konsens der Gläubigen bleiben inspirierend, gerade auch im Blick auf die von ihm ersehnte neue Konspiration von Hirten und Laien und die Gespräche über die rechte Einbeziehung aller Gläubigen in das Leben und die Sendung der kirchlichen Communio.

Den Weg seiner eigenen Bekehrung legte Newman in der Apologia pro vita sua eindrucksvoll dar. Dieser Klassiker der modernen Literatur, der manchmal mit den Bekenntnissen des heiligen Augustinus verglichen wird, hat ebenfalls bleibende Bedeutung. Denn der Glaube an Gott und die Liebe zur Kirche werden vor allem durch das persönliche Zeugnis vermittelt. Zudem sind Umkehrbereitschaft, Gebet und Suche nach der Wahrheit grundlegende Prinzipien für die ökumenische Bewegung.

Newman kann uns auch helfen, die genuine Bedeutung des Gewissens zu erfassen und von einseitigen oder falschen Auffassungen zu unterscheiden. Seine Lehre über dieses zentrale Thema unterstreicht die Würde und den Primat des Gewissens, zugleich aber auch die unerlässliche Bedeutung der Kirche und des Papstes. Für Newman ist das Gewissen der Anwalt der Wahrheit im Herzen des Menschen, der ursprüngliche Statthalter Christi: eine faszinierende Sichtweise.

Newmans Ausführungen über Glauben und Vernunft, seine Bemühungen um eine ganzheitliche Formung in Schule und Universität, seine von den Vätern inspirierte Lehre über Maria, die zweite Eva, seine Vorlesungen über die Rechtfertigung und seine personalistische Eschatologie im „Traum des Gerontius“ bleiben ebenfalls von großer Aktualität.

Das ganze Leben lang bemühte sich Newman, den Liberalismus in der Religion zurückzuweisen und das Christentum als Wahrheit verständlich zu machen. Seine Predigten, Romane, Briefe und Gebete zeigen, dass er diesen Dienst an der Wahrheit mit großem Einfühlungsvermögen und aufrichtiger Liebe ausübte. Cor ad cor loquitur: Entsprechend diesem Motto, das er sich als Kardinal aneignete, wandte er sich an das Herz seiner Mitmenschen und versuchte sie in persönlicher Weise anzusprechen. Eine derartige Verkündigung kann die Menschen auch heute berühren.

Benedikt XVI. trifft Newman
Benedikt XVI. trifft Newman. Gemälde von Timothy McLaughlin.

„Das Kennzeichen des großen Lehrers in der Kirche scheint mir zu sein, dass er nicht nur durch sein Denken und Reden lehrt, sondern mit seinem Leben, weil Denken und Leben sich in ihm gegenseitig durchdringen und bestimmen. Wenn es so ist, dann gehört Newman zu den großen Lehrern der Kirche, weil er zugleich unser Herz berührt und unser Denken erleuchtet.“ Kardinal Joseph Ratzinger brachte mit diesen Worten schon 1990 zum Ausdruck, was nun offiziell bestätigt wurde: Newmans Leben und Denken sind von eminenter Bedeutung. Er wird bald zu den Kirchenlehrern gezählt. Dass unser Newman-Zentrum an der Förderung und Verbreitung der Lehre Newmans mitwirken durfte, erfüllt uns mit tiefer Dankbarkeit. Wir sind davon überzeugt, dass Newman und seine Lehre ein strahlendes Licht im Dunkel dieser Zeit sein werden.

P. Hermann Geißler
Über den Autor

P. Hermann Geißler FSO

P. Hermann Geißler FSO, geboren am 12. Juni 1965 in Hall in Tirol (Österreich), studierte an der philosophisch-theologischen Hochschule Heiligenkreuz bei Wien und promovierte an der päpstlichen Lateranuniversität in Rom mit einer Studie über „Gewissen und Wahrheit bei John Henry Kardinal Newman“. Seit 1988 gehört er zur geistlichen Familie „Das Werk“, 1991 wurde er zum Priester geweiht. Von 1993 bis 2019 arbeitete er an der Kongregation für die Glaubenslehre, zehn Jahre lang als Leiter der Lehrabteilung. Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge über Leben, Spiritualität und Theologie von John Henry Newman, über Mutter Julia Verhaeghe (Gründerin der geistlichen Familie „Das Werk“) sowie über aktuelle Fragen des kirchlichen Lebens. Er ist Direktor des Internationalen Zentrums der Newman-Freunde in Rom, Ausbilder in der Priestergemeinschaft des „Werkes“ und Dozent an verschiedenen theologischen Instituten in Italien und Österreich.