Die Menschwerdung

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Fest der Geburt unseres Herrn, 25. Dezember 1834

„Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Jo 1, 14).

Mit diesen Worten verkündet uns der Lieblingsapostel und Evangelist dieses heilige Mysterium, dessen Gedächtnis wir am heutigen Tag besonders begehen: die Menschwerdung des ewigen Wortes. So kurz und einfach sind seine Worte, als fürchtete er, er möchte es an der schuldigen Ehrfurcht fehlen lassen. Wenn es je einen gab, der sich die Freiheit hätte nehmen dürfen, in einem Überschwang von Worten darüber zu reden, dann war es der Liebesjünger, der das Wort des Lebens gehört und gesehen, geschaut und mit Händen betastet hatte. Dennoch hat er entsprechend der Größe seines Vorrechtes den unbegrenzten Abstand zwischen sich und seinem Schöpfer klar gesehen. Dies war auch die Haltung der heiligen Engel, als der Vater „den Erstgeborenen in die Welt einführte“ (Hebr 1, 6): Sie beteten Ihn unwillkürlich an. So verbanden sich die Gefühle der Ehrfurcht und Liebe miteinander, die eine Zeitlang in der Kirche verblieben, nachdem Engel Sein Kommen verkündet und die Evangelisten über Seinen Aufenthalt auf der Erde und Seinen Weggang aus ihr berichtet hatten; „da war Schweigen etwa eine halbe Stunde lang“ (Offb 8, 1). Rings um die Kirche hörte man allerdings lästernde Stimmen wie damals, als Er am Kreuz hing; aber in der Kirche war Licht, Friede, Furcht, Freude und heilige Besinnung. Hemmungsloses Zweifeln, aufdringliches Forschen, dreistes Urteilen gab es da nicht. Innige Anbetung, wirksame Hingabe an den ewig gepriesenen Sohn schlössen Schwierigkeiten im Glauben aus und bewahrten die Kirche vor der Notwendigkeit, sich darüber zu äußern. Er, der den Herrn Jesus mit einem reinen Herzen gesehen hatte, der Ihm gefolgt war vom See Genesareth bis zum Kalvarienberg und vom Grab bis zum Ölberg, wo Er diesen Schauplatz Seiner Erniedrigung verließ, er, der mit der Sorge für Seine jungfräuliche Mutter betraut war und von ihr Dinge hörte, die sie allein berichten konnte über das Mysterium, dem sie gedient hatte, bedurfte keiner besonderen ausdrücklichen Erklä­rungen über Seine heilige Person; ebenso wenig war dies erforderlich für alle jene, die es aus seinem Munde gehört hatten, auch nicht für deren Schüler: die ersten Generationen der Kirche. Sehen und Hören ersetzten ein Vieles an Worten; der Glaube machte die Hilfe ausführlicher Lehrformeln und Bekenntnisse entbehrlich. Es herrschte Stille. „Das Wort ist Fleisch geworden“; „Ich glaube an Jesus Christus, Seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn.“ Sätze wie diese drückten alles aus, ohne daß sie irgendwie aufdringlich waren. Als aber das Licht Seiner Ankunft verblaßte und die Liebe erkaltete, da tat sich ein Tor auf für Einwürfe und Streitgespräche, und es ergab sich die Schwierigkeit, eine Antwort zu geben. Dann mußten Mißverständnisse geklärt, Zweifel beschwichtigt, Fragen gelöst, Neuerer zum Schwei­gen gebracht werden. Die Christen wurden gegen ihren Willen zum Sprechen gezwungen, um den Irrlehrern das Wort aus dem Munde zu nehmen.

So unterscheidet sich unsere eigene Lage von der der Urkirche. Das kommt uns am heutigen Festtag besonders zum Bewußtsein. Im Neuen Testament finden wir die Lehre von der Menschwerdung zwar klar, aber in ehrfurchtsvoller Kürze ausgesprochen. „Das Wort ist Fleisch geworden.“ „Gott ward ge­offenbart im Fleische“ (1 Tim 3, 16). „Gott war in Christus“ (2 Kor 5,19). „Uns ist ein Kind geboren, – der mächtige Gott“ (Is 9, 6). „Christus über alles, Gott, gepriesen in Ewigkeit“ (Röm 9,5). „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28). „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende – der Allmächtige“ (Offb 1, 8). „Der Sohn Gottes, der Abglanz Seiner Herrlichkeit und das Ebenbild Seines Wesens“ (Hebr 1, 2. 3). Wir aber sind ge­nötigt, in unseren Glaubensbekenntnissen und in unserer Belehrung ausführlicher zu sprechen, um dem verkehrten Scharfsinn derer entgegenzutreten, die nach dem Tode der Apostel ungestraft den Buchstaben ihrer Schriften schmähen und miß­deuten konnten.

Ja weiter noch, wir befinden uns in einer solchen Lage, daß wir nicht nur genötigt sind, auf diese Weise die Wahrheit zu schützen, sondern sogar Rechenschaft zu geben, warum wir sie beschützen. Denn jene, die den Herrn uns rauben möchten, be­gnügen sich nicht damit, uns zu Schutzmaßnahmen zu zwingen, sie wollen sogar uns dahin bringen, daß wir Rechenschaft ablegen, weshalb wir uns ihrer bedienen. Noch mehr, sie fordern von uns die Entfernung all dessen, was zwischen jenen Maßnahmen und ihren häretischen Absichten steht. Da­her müssen wir die Gründe klarlegen, wie ich es bereits getan habe, warum die Kirche ihre For­mulierungen über den christlichen Glauben erwei­tert hat. Ein anderer Grund für diese Formulie­rungen ist der: Die Zeit ist weitergeschritten, und die genauen Überlieferungen über die Wirk­samkeit unseres Herrn sind uns verlorengegangen. Der Gegenstand unseres Glaubens spiegelt sich nur schwach in unserem Geist wider, verglichen mit dem lebendigen Bild, das Seine Gegenwart den ersten Christen einprägte. Wahr ist, wenn wir die Evangelien in Glaube und Liebe überdenken, wer­den sie uns eine große Hilfe sein, der Menschwer­dung des Sohnes Gottes inne zu werden. Die Glau­bensbekenntnisse aber bilden eine zusätzliche Hilfe dafür. Die in ihnen gegebenen Erläuterungen, die Unterscheidungen, die Sicherungen und dergleichen, gestützt und erleuchtet von der Schrift, ziehen so­zusagen das Bild Dessen vom Himmel herab, der zur rechten Hand Gottes ist. Sie bewahren uns vor einer Leichtfertigkeit im Gebrauch von Worten, deren Sinn wir noch nicht erfaßt haben. Sie er­wecken in uns jene vereinten Gefühle von Ehr­furcht und Vertrauen, von Liebe und Hingabe gegen Ihn, die der Glaube an eine persönliche An­kunft Gottes in unserer Natur mit einschließt und die der Kirche ursprünglich aus der Schau Seiner Selbst zuflossen.

Wir können noch weiter sagen, diese Formulie­rungen – wie sie uns zum Beispiel im Te Deum und im athanasianischen Glaubensbekenntnis be­gegnen – sind für den Gottesdienst besonders ge­eignet, weil sie die religiösen Gefühle entflammen und erhöhen. Sie sind Lobes- und Dankeshymnen; sie verherrlichen Gott, wie Er im Evangelium ge­offenbart ist, genauso wie die Psalmen Davids Seine in der Natur sich entfaltenden Vollkommen­heiten preisen, Seine Wunderwerke bei der Welt­schöpfung und Seine Gnadenerweise gegen das Haus Israel.

Im Zusammenhang mit diesen Gedanken mag es also nützlich sein, am heutigen Festtag unsere Auf­merksamkeit auf die katholische Lehre der Mensch­werdung zu lenken.

Das Wort war im Anfang: der Eingeborene Sohn Gottes. Ehe alle Welten geschaffen waren, als es noch keine Zeit gab, war Er da im Schoß des Ewi­gen Vaters, Gott von Gott und Licht vom Licht, im höchsten Maße glückselig, da Er Ihn erkannte und von Ihm erkannt wurde und alle göttlichen Voll­kommenheiten von Ihm empfing, und doch immer eins mit Seinem Vater war. So heißt es zu Beginn des Evangeliums: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Wenn wir eine Mutmaßung wagen dürfen, so wird Er Wort Gottes genannt, da Er Vermittler ist zwi­schen dem Vater und allen Geschöpfen, sie ins Da­sein ruft, ihnen Gestalt verleiht, der Welt ihre Ge­setze gibt, den Geschöpfen einer höheren Ordnung Vernunft und Gewissen zuteilt und ihnen zur rech­ten Zeit die Erkenntnis des göttlichen Willens offenbart. Für uns Christen ist Er besonders das Wort in diesem großen heute gefeierten Geheim­nis, in dem Er Fleisch wurde und uns aus dem Sündenzustand erlöste.

Er hätte zwar nach dem Fall des Menschen in der Herrlichkeit bleiben können, die Er beim Vater besaß, bevor die Welt war. Jene unerforschliche Liebe aber, die sich bei unserer ursprünglichen Erschaffung offenbarte, gab sich nicht zufrieden mit einem vereitelten Werk, sondern führte Ihn wie­der aus dem Schöße des Vaters hinab, um Dessen Willen zu tun und das durch die Sünde verursachte Übel wieder gutzumachen. Und in wunderbarer Herablassung stieg Er hernieder, nicht wie zuvor in Macht, sondern in Schwachheit, in Knechtsgestalt, jener gefallenen Schöpfung ähnlich, die Er wieder­herzustellen gedachte. So erniedrigte Er Sich Selbst. Er erduldete alle Schwächen unserer Natur in Ge­stalt des sündigen Fleisches. Er war alles, nur kein Sünder – rein von jeder Sünde, unterworfen je­doch jeglicher Versuchung. Und am Ende wurde Er gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuze.

Ich habe gesagt, daß der Eingeborene Sohn, als Er Sich herabließ, unsere Natur anzunehmen, keine Gemeinschaft mit der Sünde hatte. Das war un­möglich. Da seit Adams Fall unsere Natur ver­dorben war, kam Er deshalb nicht auf natürlichem Weg. Er bekleidete Sich nicht mit diesem verderb­ten Fleisch, das das Adamsgeschlecht erbte. Durch ein Wunder trat Er in die Welt ein, um so unsere Unvollkommenheit auf Sich zu nehmen, ohne an unserer Sündigkeit einen Anteil zu haben. Er wurde nicht geboren wie andere Menschen; denn „was aus dem Fleisch geboren wird, ist Fleisch“ (Jo 3, 6). Alle Adamskinder sind Kinder des Zornes. Daher kam unser Herr als Menschensohn, aber nicht als Sohn des sündigen Adam. Er hatte keinen irdischen Vater; Er lehnte es ab, einen zu haben. Es ist ein unerträglicher Gedanke, daß Er der Sohn der Schande und der Schuld gewesen sein sollte. Er kam auf neue und lebendige Weise, zwar nicht aus Erde gebildet wie Adam erstmals war, sondern wählte und heiligte Sich aus der vorhandenen Natur ein Zelt, um nicht der Teilnahme an unserer Natur entbehren zu müssen. Wenn am Anfang das Weib durch die allmächtige Kraft aus dem Mann gebildet wurde, so wurde jetzt durch ein ähnliches Ge­heimnis, aber in umgekehrter Ordnung, der neue Adam aus dem Weib gebildet. Er war nach der Weissagung der unbefleckte „Same des Weibes“ (Gn 3, 15), da Er Seine Menschheit aus dem Leib der Jungfrau Maria hernahm. So heißt es in den Artikeln des Credo, „empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus Maria, der Jungfrau“.

Auf diese Weise wurde der Gottessohn zum Men­schensohn; sterblich, aber kein Sünder; Erbe unserer Schwachheiten, aber nicht unserer Schuld; ein Sproß des alten Geschlechtes, jedoch „der Anfang“ der neuen „Schöpfung Gottes“ (Offb 3, 14). Maria, Seine Mutter, war eine Sünderin* wie die anderen und geboren von Sündern; aber sie wurde „als ein wohlverwahrter Garten, ein verschlossener Brun­nen, ein versiegelter Quell“ (Hl 4,12) dazu ausge­sondert, eine geschaffene Natur Dem zu schenken, der ihr Schöpfer war. So kam Er in diese Welt, nicht auf den Wolken des Himmels, sondern in sie hineingeboren, geboren vom Weibe; Er, der Sohn Marias, und sie (wenn man so sagen darf), die Mutter Gottes. So kam Er, erwählte und sonderte für Sich die Elemente Leib und Seele aus. Dann vereinigte Er sie mit Sich vom ersten Beginn ihres Daseins ab, Er durchdrang sie, heiligte sie durch Seine Gottheit, vergeistigte sie und erfüllte sie mit Licht und Reinheit, während sie menschlich blieben und eine Zeitlang sterblich und der Schwachheit ausgesetzt waren. Als sie in ihrer heiligen Einheit Tag für Tag wuchsen, da war Seine ewige Wesenheit beständig eins mit ihnen, erhöhte sie, handelte in ihnen, offenbarte Sich durch sie, so daß Er wahrhaft Gott und Mensch war, eine Person; – wie wir aus Seele und Leib bestehen, aber doch ein einziger Mensch sind, so wahrhaft sind Gott und Mensch, nicht zwei, sondern ein Christus. So trat der Sohn Gottes in diese sterbliche Welt ein. Als Er das Mannesalter erreicht hatte, begann Er Seine Wirksamkeit, predigte das Evangelium, erwählte die Apostel, litt am Kreuz, starb und wurde be­graben, Er stand wieder auf und stieg zur Höhe empor, um dort zu herrschen bis zu dem Tag, da Er wieder kommt, die Welt zu richten. Das ist das allergnadenreichste Mysterium der Menschwer­dung; heilsam, es zu erwägen, heilsam, es anzu­beten; gemäß dem Schriftwort: „Das Wort ist Fleisch geworden – und hat unter uns gewohnt.“ Die vorangehende kurze Darstellung der katho­lischen Lehre von der Menschwerdung des Ewigen Wortes kann deutlicher gemacht werden, wenn man auf die in der Schrift erwähnten Erscheinun­gen verweist, in denen Gott Sich verschiedentlich herabließ und in Seinen Geschöpfen offenbarte. Diese Erscheinungen standen aber hinter der Menschwerdung zurück.

1. Gott war in den Propheten, aber nicht so, wie Er in Christus war. Die göttliche Autorität und in einem gewissen Sinn der Name können Seinen Dienern beigelegt werden, wenn man sie als Seine Vertreter betrachtet. Moses sagt zu den Israeliten: „Euer Murren ist nicht gegen uns gerichtet, sondern gegen den Herrn“ (Ex 16, 8). Und der heilige Pau­lus: „Wer also nicht darauf achtet, der verachtet nicht einen Menschen, sondern Gott“ (1 Thess 4, 8). In diesem Sinn werden die Herrscher und Richter manchmal Götter genannt, wie unser Herr Selbst sagt.

Weiter, die Propheten waren vom Geist erleuchtet. So hören wir, daß Johannes der Täufer vom Mutter­schoß an mit dem Heiligen Geist erfüllt war. Zacharias war mit dem Heiligen Geist erfüllt und weissagte. In gleicher Weise kam der Heilige Geist am Pfingstfest und zu anderen Zeiten auf die Apostel herab. Der heilige Paulus war mit einer solchen Wundergabe ausgestattet, daß „man die Schweißtücher und Schürzen, die er getragen hatte, den Kranken auflegte und die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren“ (Apg 19, 12). Nun war das besondere Merkmal die­ser wunderbaren Geistesgaben, daß diese Gegen­wart Gottes kam und ging. So lesen wir in den zu­vor erwähnten und ähnlichen Erzählungen, daß der Prophet oder Apostel bei besonderen Anlässen mit dem Geist erfüllt wurde; wiederum, daß „der Geist des Herrn von Saul wich“ (1 Sam 16,14) und ein böser Geist ihn quälte. So lief dieser göttliche Geist­besitz ganz parallel zu der dämonischen Besessen­heit. In den Evangelien finden wir, wie der Teufel durch die Stimme seines Opfers spricht, so daß man den Quäler vom Gequälten nicht zu unterscheiden vermochte. Sie schienen ein und derselbe zu sein, obwohl sie es nicht waren, wie es ersichtlich wurde, als Christus und Seine Apostel den Teufel aus­trieben. So war ferner der jüdische Tempel in einem bestimmten Sinn von der Gegenwart Gottes bewohnt, die ihn auf Salomons Gebet hin erfüllte. Das war ein Vorbild für die Menschheit unseres Herrn, in der das Wort Gottes wie in einem Tempel wohnte; jedoch mit diesem wesentlichen Unter­schied, daß der jüdische Tempel vergänglich war und die göttliche Gegenwart sich wieder von ihm zurückziehen konnte. Es bestand hier keine wirk­liche Einheit zwischen beiden; sie waren trennbar. Christus aber sagt zu den Juden von Seinem eigenen Leib: „Zerstöret diesen Tempel, und Ich will ihn in drei Tagen wieder aufbauen“ (Joh 2,19); mit diesen Worten deutete Er eine solche Einheit zwischen der Gottheit und der Menschheit an, daß weder eine wirkliche Trennung noch eine Auflösung möglich war. Sogar als Sein Leib tot war, blieb die göttliche Natur eins mit ihm; in gleicher Weise war sie eins mit Seiner Seele im Paradies. Seele und Leib waren wirklich eins mit dem Ewigen Wort – nicht eins nur dem Namen nach -, eins, um sich nie mehr zu trennen. Daher sagt die Schrift, daß Er auferstand „gemäß dem Geist Seiner Heiligkeit“ – und „daß Er unmöglich vom Tod festgehalten werden konnte“ (Röm 1, 4; Apg 2, 24).

2. Ferner lehrt uns das Evangelium eine andere Weise, in der von einer Vereinigung des Menschen mit Gott die Rede sein kann. Es ist das beson­dere Glück des Christen, wie der heilige Petrus uns sagt, „Teilnehmer an der göttlichen Natur“ zu sein (2 Petr 1, 4). Wir glauben und freuen uns dieses Glaubens, daß die Gnade Christi unsere sündige Seele erneuert und die Folgen von Adams Fall wieder gutmacht. Dort, wohin Adam Unreinheit und Unglauben gebracht hat, gießt die Kraft Gottes Glaube und Heiligkeit ein. So sind uns aufs neue Vollkommenheiten Gottes mitgeteilt, und weil wir unter dem unmittelbaren Einfluß des Himmels stehen, kann man uns als eins mit Gott bezeichnen. Weiterhin ist uns die Zusicherung von einer wirklichen, wenn auch mystischen Gemeinschaft mit dem Vater, Sohn und Heiligen Geist zu dem Zweck ge­geben, daß Gott sowohl durch Seine wirkliche Ge­genwart in der Seele, wie auch durch die Früchte der Gnade mit jedem Gläubigen eins ist, in ihm wohnend, wie in einem geweihten Tempel. Wie unaussprechlich aber diese Gabe des göttlichen Er­barmens auch ist, es wäre doch eine Gotteslästerung zu leugnen, daß die Einwohnung des Vaters im Sohn unendlich darüber steht, da sie der Art nach ganz verschieden ist; denn Er ist nicht nur göttlicher Natur, göttlich durch Teilnahme an der Heiligkeit und Vollkommenheit, sondern das Leben und die Heiligkeit selbst geradeso wie der Vater – der gleichewige, menschgewordene Sohn, Gott, mit unse­rer Natur bekleidet, das fleischgewordene Wort. 3. Endlich lesen wir in der Geschichte der Patriar­chen von verschiedenen, so bedeutsamen Engels­erscheinungen, daß wir kaum zögern können, sie als huldvoll gewährte Erscheinungen des Ewigen Sohnes zu betrachten. Es heißt z. B., daß „der Engel des Herrn dem Moses in einer Feuerflamme in­mitten eines Dornbusches erschien“ (Ex 3, 2); doch sofort wird diese übernatürliche Gegenwart „der Herr“ genannt, und nachher offenbart Sie Moses Ihren Namen als „Gott Abrahams, Isaaks und Ja­kobs“. Anderseits spricht der heilige Stephanus von Ihm „als dem Engel, der dem Moses im Dorn­busch erschien“. Ferner sagt er ein wenig später, daß Moses „bei der Gemeinde in der Wüste mit dem Engel war, der am Berg Sinai mit ihm redete“ (Apg 7, 3538). Doch im Buch Exodus lesen wir: „Moses ging hinauf zu Gott und der Herr rief ihm vom Berg aus zu“ (Ex 19, 3); und „Gott sprach alle diese Worte“ (Ex 20,1) und dergleichen. Wenn wir nun annehmen – und es scheint genügend Grund für diese Annahme da zu sein -, daß wir hierin eine Offenbarung des Sohnes Gottes erkennen, der in Engelsgestalt den Patriarchen, Moses und an­deren Gnadenerweise spendete, erhebt sich die Frage, was das Wesen dieser Erscheinung war? Wir sind darüber nicht in Kenntnis gesetzt, noch dürfen wir darüber eine Entscheidung wagen. Für alle Fälle war der Engel nur die vorübergehende äußere Form, die das Ewige Wort annahm, sei sie nun stofflicher Natur gewesen oder eine Erschei­nung. Ob es wirklich ein Engel war oder nicht oder eine Erscheinung, die nur für den unmittelbaren Zweck da war, wir können auf alle Fälle nicht eigentlich sagen, daß unser Herr „die Natur eines Engels annahm“.

Diese Beispiele einer Einwohnung Gottes in einem geschaffenen Wesen, die ich als Gegenüberstellung zu jener unendlich höheren und geheimnisvollen Vereinigung, eben der Menschwerdung, gegeben habe, bieten tatsächlich die Anschauungen, in denen Häretiker zu verschiedenen Zeiten unsere heilige und tröstliche Lehre verdreht und uns genötigt haben, unsere Zuflucht zu Glaubens- und Bekennt­nisformeln zu nehmen. Da sie die Lehre der Kirche verwarfen und mit dem Wort Gottes ehrfurchtslos verfuhren, haben sie zu leugnen gewagt, daß „Jesus Christus im Fleisch gekommen ist“ (1 Joh 4, 2). Sie gaben vor, Er habe Sich bloß als Erscheinung oder als Phantom gezeigt. Oder sie haben gesagt, daß das Wort Gottes nur im Menschen Christus Jesus wohne wie die Schechinah im Tempel, so daß Er keine reale Vereinigung mit dem Sohn Marias habe (wie wenn da zwei verschiedene Wesen wären, das Wort und Jesus, genauso wie der Heilige Geist von der Seele eines Menschen verschieden sei). Oder sie behaupteten, daß Christus wegen Seiner großen geistigen Vollkommenheit Gott genannt wurde und Er sie stufenweise durch lange Übung erreichte. Alle diese Worte sollten nur in den Mund ge­nommen werden, um die wahre Lehre und den Sinn der kirchlichen Sprechweise zu zeigen. Zum Beispiel erklärt das athanasianische Glaubensbekenntnis, daß Christus „Gott aus der Wesenheit des Vaters ist, gezeugt vor der Welt, vollkommener Gott“, damit wir nicht Seine göttliche Natur wie die unsere betrachten, nämlich als eine Natur, die der Heilig­keit Gottes nur ähnlich ist. Ferner, daß Er „Mensch aus der Wesenheit Seiner Mutter ist, geboren auf der Welt, vollkommener Mensch“, damit wir nicht glauben, Er sei nicht „im Fleische gekommen“, son­dern als eine bloße Erscheinung eines Engels. Wei­ter, daß Er, „obwohl Gott und Mensch, nicht aus zwei Wesen besteht, sondern ein Christus“ ist, da­mit wir uns nicht einbilden, das Wort Gottes trete in Ihn ein und verlasse Ihn dann wieder, wie es der Heilige Geist bei den Propheten tut. Wir sind gezwungen, in derartigen Ausdrücken von unserem Heiland und Erlöser zu sprechen we­gen der List Seiner Feinde und unserer eigenen Schwäche; und wir bitten Ihn, dies tun zu dürfen. Wir bitten darum, nicht als ob wir vergäßen, daß ehrfurchtsvolles Schweigen über einen so heiligen Gegenstand das Beste wäre; aber da der Bösen und Verführer auf allen Seiten übergenug sind und unsere eigene Kraft, diese Wahrheit zu fassen, schwerfällig ist, machen wir uns den Ausspruch des eifernden David zu eigen, „ist da nicht ein Grund“ für Worte? Wir flehen darum und bitten voll De­mut, daß die Dinge, die uns anfänglich zur Abwehr gegen Stolz und Lässigkeit dienten, zur Quelle der Frömmigkeit werden mögen, ein Mittel zur Gottes­verehrung. Ja, wir haben das feste Vertrauen, daß Er gnädig annehmen wird, was wir im Glauben anbieten, „indem wir tun, was wir können“ (Mk 14, 8J; obwohl die Salbe aus Nardenöl, die wir aus­gießen, nichts ist gegenüber jener wahren göttlichen Herrlichkeit, die sich in Ihm offenbarte, als der Heilige Geist Ihn vor den anderen Menschen aus­wählte und des Vaters Stimme Ihn als Seinen viel­geliebten Sohn anerkannte. Sicher, Er wird es huld­voll annehmen, wenn der Glaube opfert, was der Verstand bietet, wenn die Liebe das Opfer ent­flammt, Eifer für Gott es anfacht und Ehrfurcht es hütet. Er wird unsere irdischen Worte mit Seiner eigenen göttlichen Heiligkeit erleuchten, bis sie für die Seelen, die auf Ihn vertrauen, zu Heilswahr­heiten werden. Er, der Wasser in Wein verwan­delte, und (wäre das Sein Wille) Brot aus hartem Stein machen könnte, wird uns eine kurze Zeit lang mit dieser sterblichen Speise ernähren. Während wir uns ihrer bedienen, wollen wir ihre Unvollkommenheit nie derart vergessen, daß wir nicht be­ständig Ausschau hielten nach der wahren, seligen Anschauung; nie wollen wir ihre Unvollkommenheit derart verkehrt uns vor Augen halten, daß wir darob die Erfordernisse unserer gegenwärtigen Not zurückweisen. Die Zeit wird kommen, da wir, die wir jetzt in einem Spiegel dunkel sehen, unseren Herrn und Heiland von Angesicht zu Angesicht schauen, wenn wir für würdig befunden werden. Wir werden Sein Antlitz schauen, wie es in der Fülle der göttlichen Vollkommenheiten strahlt und für Seine Gottessohnschaft Zeugnis ablegt. Wir werden Ihn sehen, wie Er ist.

Laßt uns also entsprechend dem uns gegebenen Licht Ihn loben und preisen In der Kirche hienieden, den die Engel im Himmel sehen und an­beten. Laßt uns Ihn ob Seiner alles übersteigenden Liebe und Güte preisen, mit denen Er um unserer Erlösung willen unsere Schwachheiten auf Sich nahm, Er, der im Liebesschoße des Ewigen Vaters wohnte, in der Herrlichkeit, die Er bei Ihm besaß, ehe die Welt war. Er kam in Niedrigkeit und Armut; geboren inmitten des Lärmes einer bunt zusammengewürfelten und geschäftigen Menge, hinausgedrängt in den Stall eines überfüllten Wirtshauses, zu Seiner ersten Ruhe mitten unter das unvernünftige Vieh gebettet. Er wuchs auf wie der Einheimische einer verachteten Stadt und wurde in einem niedrigen Handwerk ausgebildet. Er nahm es auf Sich, in einer Welt zu leben, die Ihn verachtete, denn Er lebte in ihr, um zur be­stimmten Zeit für sie zu sterben. Er kam als der berufene Priester, das Opfer für jene darzubringen, die an Seinem Akt der Gottesverehrung keinen Anteil nahmen. Er kam, um für Sünder jenes kost­bare Blut zu opfern, das durch die Kraft Seiner göttlichen Salbung verdienstvoll war. Er starb, um am dritten Tag wieder aufzuerstehen, Er, die Sonne der Gerechtigkeit, entfaltete die Fülle jenes Glan­zes, der bisher von den Morgenwolken verschleiert worden war. Er erstand von den Toten, um zur rechten Hand Gottes aufzusteigen, dort Seine hei­ligen Wunden zum Zeichen unserer Versöhnung fürbittend sprechen zu lassen, Sein erlöstes Volk zu leiten und zu führen und von Seiner durchbohrten Seite Seine kostbarsten Segnungen über uns auszu­gießen. Er stieg hinauf, um von dort wieder in der festgesetzten Zeit herabzusteigen, die Welt, die Er erlöst hat, zu richten. Groß ist unser Herr und groß ist Seine Macht, Jesus der Gottessohn und Menschensohn. Vieltausendmal stärker ist der blen­dende Glanz unseres Herrn und Christus als der des höchsten Erzengels. Von Geburt ist Er der Ein­geborene und das Ebenbild Gottes; durch die An­nahme unseres Fleisches wurde Er nicht befleckt, sondern Er erhob mit Sich die menschliche Natur, da Er von der niedrigen Krippe zur Rechten der Kraft aufstieg. Dabei erhob Er auch die mensch­liche Natur, denn als Mensch hat Er uns erlöst, als Mensch ist Er über alle Geschöpfe gesetzt, da Er mit dem Schöpfer eins ist. Als Mensch wird Er Menschen am Jüngsten Tage richten. So hoch wird diese Erde geehrt, daß kein Fremder uns richten wird, sondern Er, der unser Mitmensch ist, der unsere Interessen vertreten wird und volles Ver­ständnis für alle unsere Unvollkommenheiten hat. Er, der uns geliebt hat, so sehr, daß Er für uns in den Tod ging, ist in Gnaden dazu bestellt, für Sein eigenes Werk das endgültige Maß und den Preis zu bestimmen. Er, der am besten durch Schwachheit die Sache des Schwachen zu vertreten weiß, Er, der die vollen Früchte Seines Leidens ernten möchte, wird den Weizen von der Spreu sondern, so daß kein Korn zu Boden fallen wird. Er, der uns Anteil an Seiner eigenen geistigen Natur gegeben hat, Er, aus dem wir das Lebensblut unserer Seelen ge­schöpft haben, wird als unser Bruder über Seine Brüder entscheiden. Möge Er bei jener Seiner zwei­ten Ankunft in Seiner Gnade und in Seinem lie­benden Erbarmen unser eingedenk sein, Er, unsere einzige Hoffnung, unsere einzige Rettung!