P. Hermann Geißler FSO

Im Heiligen Jahr 1975 organisierte die geistliche Familie „Das Werk“ ein erstes akademisches Symposium über John Henry Newman in Rom. Kurz darauf wurde auf Wunsch von Kardinal Luigi Raimondi, dem damaligen Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, ein Zentrum errichtet, in dem Studenten, Professoren und einfache Gläubigen Hinweise über Literatur und nützliche Informationen über den englischen Theologen finden konnten. Seit nunmehr 50 Jahren setzt sich das Internationale Zentrum der Newman Freunde, das heute Niederlassungen in Rom, Littlemore/Oxford, Bregenz und Budapest hat, auf vielfältige Weise dafür ein, dass Menschen den großen englischen Theologen kennenlernen, studieren, lieben und verehren. Mittlerweile ist Newman eine wahre Leuchte für die Kirche: 2010 wurde er von Benedikt XVI. seliggesprochen, 2019 von Franziskus heiliggesprochen und am 1. November wird er von Leo XIV. in die erlesene Schar der Kirchenlehrer aufgenommen.
Um dem Herrn für das 50-jährige Bestehen des Newman Zentrums zu danken, fand am Vormittag des 11. Oktober 2025 ein Spaziergang auf den Spuren Newmans in Rom statt. Am Nachmittag folgte eine feierliche Dankmesse in San Giorgio in Velabro.
Newman Walk
Mehr als sechzig Personen nahmen an dem Newman Walk teil, darunter ältere Menschen, Familien und Kinder, Laien, Gottgeweihte, Priester und auch ein Bischof. An jeder der neun Stätten, die wir besuchten, wurde die Verbindung zu Newman erklärt, ein Gebet gesprochen und ein Lied gesungen. Unterwegs tauschten wir uns aus und knüpften vielfältige Kontakte untereinander.

Der Spaziergang begann vor dem Palazzo di Propaganda Fide. Dort befand sich früher das Collegio Urbano, in dem sich Newman auf die Priesterweihe in der katholischen Kirche vorbereitete. Er lebte zusammen mit Seminaristen aus vielen Ländern der Welt und machte die beglückende Erfahrung, dass die Kirche wirklich katholisch ist: „Ich war glücklich in Oriel (Oxford), glücklicher in Littlemore (wo er konvertierte), am glücklichsten bin ich hier“.
Dann besuchten wir die Kirche Sant‘Andrea delle Fratte neben dem Palazzo di Propaganda Fide. Dort war die Gottesmutter einige Jahr vor dem Kommen Newmans dem ungläubigen Juden Marie Alphonse Ratisbonne erschienen, der hierauf ein gläubiger Katholik wurde. Für Newman war diese Kirche ein Ort, der ihn an seine enge Verbindung mit Maria und an ihre Rolle in der Heilsgeschichte erinnerte.
Anschließend machten wir Halt vor dem Collegio Romano, dem ursprünglichen Sitz der Päpstlichen Universität Gregoriana. Dort führte Newman, ein leidenschaftlicher Wahrheitssucher, viele Gespräche mit P. Giovanni Perrone SJ, dem Theologen von Papst Pius IX. In diesen Begegnungen sprachen die beiden vor allem über das Thema der Entwicklung der Glaubenslehre.


Die nächste Station war der Palazzo Maffei Marescotti, wo Newman eine berühmte Rede hielt, als ihm die Urkunde mit der Kardinalsernennung überreicht wurde. In dieser „Biglietto-Speech” sagte er, dass er sein Leben lang gegen den „Liberalismus in der Religion” gekämpft hatte. Dieser „religiöse Relativismus”, den Newman prophetisch voraussah, ist heute eine der größten Herausforderungen für die Kirche.
Anschließend besuchten wir die Chiesa Nuova, wo Newman den heiligen Filippo Neri, den Gründer der Kongregation des Oratoriums, kennen und lieben gelernt hatte. Pius IX. erlaubte ihm, die Regel der Oratorianer der englischen Mentalität anzupassen und nach einem „Express-Noviziat” mit seinen Freunden ein Oratorium in Birmingham zu gründen.
Mit Blick zur Kuppel des Petersdoms dachten wir an Newman als Sohn der katholischen Kirche. Während er bei seinem ersten Besuch als Anglikaner (1833) „gemischte Gefühle” in seinem Herzen hatte – Rom war für ihn die Mutter der Kirche Englands, aber auch der Sitz des Antichristen –, wurde ihm bei seinem zweiten Besuch (1846) nach seiner Konversion eine besondere Gunst zuteil: Er traf den Papst persönlich im Petersdom, während dieser privat die Messe zelebrierte.
Vor dem Venerable English College, das für Newman ein Ort der Begegnung mit Freunden war, lasen wir einen seiner schönen Texte über die Freundschaft und dachten an sein Kardinalsmotto: „Cor ad cor loquitur” – „Das Herz spricht zum Herzen”.

Die drei Säulen neben dem Theater des Marcellus, die vorletzte Station, boten die Gelegenheit, an die Verbindung von Mutter Julia, der Gründerin der geistlichen Familie „Das Werk”, und Newman zu erinnern: In einer Zeit der Prüfung fand sie in Newman einen „geistlichen Bruder”, der sie in der Liebe zur Kirche stärkte. Und die drei Säulen im Zentrum Roms wurden für sie zum Symbol für Glauben, Hoffnung und Liebe (vgl. 1 Kor 13,13), dem Fundament jeder christlichen Berufung.
Die letzte Station, San Giorgio in Velabro, lud uns ein, an die Erhebung Newmans zum Kardinal im Mai 1879 zu erinnern. Leo XIII. wollte die Kirche in England ehren, indem er Newman ehrte. Liebevoll nannte er ihn „il mio Cardinale”. Hier vertrauten wir unsere Anliegen im „Lead kindly light“ der Fürsprache Newmans an.
Dankmesse

Der feierliche Gottesdienst wurde von Kardinal Marcello Semeraro, dem Präfekten des Dikasteriums für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, geleitet. Fast dreißig Priester konzelebrierten, viele Gläubige aus verschiedenen Ländern nahmen an der Eucharistie teil. Mitglieder der geistlichen Familie „Das Werk” schmückten die Kirche, stellten ein großes Portrait von Newman auf und verschönerten die Liturgie mit Flöten- und Orgelstücken und mit festlichem Gesang, darunter auch die berühmten Lieder von Newman.

In seiner Homilie (➞ link) sagte Kardinal Semeraro unter Hinweis auf das Goldene Jubiläum des Newman-Zentrums: „Wir freuen uns, dass Newman bald der Titel eines Kirchenlehrers verliehen wird. Die ungeteilte Zustimmung, die diese Ankündigung hervorgerufen hat, zeigt uns, wie richtig die Entscheidung von Papst Franziskus war, diese Causa zu eröffnen, die nach dem vorgeschriebenen kirchlichen Verfahren beim Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse geführt und von Papst Leo XIV. bestätigt wurde“. Anschließend kommentierte er das Evangelium über die Heilung der zehn Aussätzigen, von denen nur einer „gerettet” wurde, weil er gläubig wurde, zurückkehrte und Jesus dankte. Newman hätte unterstrichen – so fuhr der Kardinal fort –, dass „der Glaube nicht rettet, wenn er bloße intellektuelle Zustimmung bleibt: Er muss zu einem inneren Akt des Herzens und des Willens werden, der sich in Gehorsam und Vertrauen auf Gott zeigt”.
Anschließend zitierte Kardinal Semeraro ein Wort, das Paul VI. in der Ansprache an die Teilnehmer des ersten Newman-Symposiums 1975 ausgesprochen hatte: „Heute ist die Stunde Newmans“.

Er erinnerte dann an die Aktualität des englischen Heiligen im Bereich der Entwicklung der Lehre, im richtigen Verständnis der Stimme des Gewissens und in der Frage des Verhältnisses zwischen Glauben und Vernunft. Abschließend zitierte er eines der vielen schönen Gebete Newmans: „Herr, nur du kannst das Herz des Menschen erfüllen, und du hast versprochen, dies zu tun. Du bist die lebendige Flamme und brennst immer vor Liebe zum Menschen. Komm zu mir und entzünde in mir deine Flamme, damit ich vor Liebe brenne.“
Nach der feierlichen Eucharistie fand ein Empfang statt, der von den Schwestern der geistlichen Familie „Das Werk“ vorbereitet worden war. So konnte bei den Teilnehmern die Freude dieses Goldenen Jubiläums im Geist des heiligen John Henry Newman im herzlichen Beisammensein nachklingen.

Über den Autor
P. Hermann Geißler FSO
Pater Dr. Hermann Geißler FSO ist Direktor des Internationalen Zentrums der Newman Freunde, Ausbilder in der Priestergemeinschaft des „Werkes“ und Dozent an verschiedenen theologischen Instituten in Italien und Österreich.