Unterwerfung unter die kirchliche Autorität

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St Mary the Virgin, Oxford
„Die Welt vergeht wie ein Schatten; der Tag Christi eilt herbei.“ J. H. Newman

14. Predigt, 29. November 1829

 

„Tu von dir einen bösen Mund, und verleum­derische Lippen laß fern sein von dir. Deine Augen laß gerade schauen und deine Augenlider vor deinen Schritten hergehen. Laß gerade sein den Weg deiner Füße, so werden sicher sein alle deine Wege. Weiche weder zur Rechten noch zur Linken; wende deinen Fuß vom Bösen“ (Spr 4, 24—27).

 

Auch wenn man die Autorität der Inspiration beiseite läßt, drängen sich Vorschrif­ten wie diese wegen ihrer Wichtigkeit und prakti­schen Weisheit mit der der Wahrheit eigenen Macht selbst Geistern auf, die ihnen gern widerstehen möchten. Zu jeder Zeit und unter allen Umständen finden sie ihre Anwendung. Heutzutage, da reli­giöse Einheit und religiöser Friede so beklagens­wert mißachtet werden und neuartige Lehren und neue Maßnahmen allein volkstümlich sind, gemah­nen sie uns naturgemäß an die Gehorsamspflicht gegenüber der Kirche und an die Sünde, sich von ihr zu trennen, oder an „Häresie und Schisma“, um deren Abwendung unser Litaneigebet fleht. Es mag wenig angebracht sein, hier von dieser Sünde zu sprechen, weil jene, die sie begehen, wahrscheinlich nicht in der Kirche sind und daher aus dem, was darüber gesagt werden könnte, keinen Nutzen zie­hen; doch ihre Begehung steckt selbst jene an, die sie nicht begehen, indem sie sie dagegen gleichgültig macht. Aus diesem Grund und weil es recht ist, daß auch solche, die in ihrer Anhänglichkeit an die Kirche durchaus fest sind, wissen, warum sie ihr anhangen, will ich einige der beliebten Einwände betrachten, die gegen eine solche Anhänglichkeit von denen vorgebracht werden, die sie zwar nicht für sündhaft (obschon viele so weit gehen), aber doch für unnötig halten.

Ihr wißt, es gab eine Zeit, da bestand auf der gan­zen Welt nur eine einzige große Gemeinschaft der Christen, die Kirche heißt. Sie fand sich in jedem Land, wo der Name Christi genannt wurde; sie wurde überall in derselben Weise von Bischöfen geleitet; sie stammte überall durch die Reihenfolge der Bischöfe von den Aposteln ab; und sie lebte überall in der Fülle des Friedens und der Einheit, Zweig mit Zweig, über die ganze Welt hin. So er­füllte sie die Weissagung: „Jerusalem ist gebaut wie eine Stadt, die sich zur Gemeinschaft zusammen­fügt: denn da stehen die Stühle zum Gericht, die Stühle des Hauses David“ (Ps 121, 3. 5). Freilich gab es damals wie heute Abtrünnige und Dissiden­ten, aber so viele ihrer waren, so vielgestalt waren sie auch, nicht eine Gemeinschaft wie die Kirche; und waren kurzlebig, nahmen ihren Anfang erst nach den Aposteln und hörten wieder auf, einer nach dem anderen. Jetzt aber ist all diese Schönheit Jeru­salems kläglich entstellt. Jene große katholische Ge­meinschaft, „die heilige Kirche allüberall in der Welt“, ist durch die Macht des Teufels in viele Stücke zerbrochen; gerade so wie ein riesiges Felsen­riff, das einst kühn dem Meer trotzte, endlich von den Wogen zerwühlt, gespalten und gestürzt wurde. Einige ihrer Teile sind gänzlich verschwunden, und die übriggebliebenen sind voneinander getrennt. Wir sind die englischen Katholiken; auf dem Fest­land sind die römischen Katholiken, von denen einige auch unter uns leben; anderswo sind die griechischen Katholiken und andere. Und so stehen wir da in dieser Zeit des Vorwurfes und der Läste­rung — wir klammern uns an unseren Teil des Alten Felsens, den die Wasser umtosen und gern überfluten möchten — wir vertrauen auf Gott — wir halten Ausschau nach der Morgendämmerung, die „endlich kommen und nicht zögern wird“ (Hab 2,3), nach dem Tag, da Gott uns aus den steigenden Fluten rettet, wenn wir mutig an dem Platz ver­bleiben, auf den Er uns gestellt hat, und weder der Gewalt der Wogen nachgeben, die über uns hin­wegfegen, noch den hinterlistigen Lockungen derer lauschen, die uns eine Zuflucht anbieten in Fahr­zeugen, die nicht Gottes Hand gebaut.

 Nun will ich einige der falschen Beweise anführen und widerlegen, durch die die Kinder dieser Welt uns zu locken suchen.

1. Sie sagen einmal: „Warum sich so streng an eine einzige christliche Gemeinschaft halten, wenn es so viele andere Gemeinschaften gibt, so viele Bekennt­nisse, so viele Meinungen, hinter denen durchwegs Soldaten Christi stehen, ebenso vielen verschie­denen Armeen vergleichbar, die alle in ein und der­selben Sache gegen den gemeinsamen Feind mar­schieren? Sicher ist diese ausschließliche Bindung an eine einzige Partei“, so sagen sie, „unter Ausschluß der anderen Christen, die eine ähnliche Lehre be­kennen und nur in den äußeren Formen sich unter­scheiden, das Zeichen eines engstirnigen und un­duldsamen Geistes. Das Christentum ist eine Gabe für alle; warum dann seinen Besitz auf eine einzige Gruppe von Menschen und auf eine einzige Form der kirchlichen Leitung beschränken, anstatt allen, die es wollen, die Freiheit zu lassen, es in irgend­einer beliebigen Form anzunehmen?“

Aber sicherlich müßten jene, die so reden, zuerst der Schrift Antwort geben statt ihre Fragen an uns zu richten; denn die Schrift anerkennt ganz aus­drücklich nur „einen Leib“ der Christen wie „einen Geist, einen Glauben, einen Herrn und einen Gott und Vater aller“ (Eph 4, 4—6). Diesem Schrifttext widerspricht es ebenso direkt, von mehr als einem Leib zu reden wie von mehr als einem Geist. Ander­seits sieht die Schrift durchaus, daß es solche Über­zeugungen, wie sie mit Fug genannt werden, rings um diesen einen Leib gibt; denn sie spricht von ihnen; aber sie gibt nicht im geringsten zu verstehen, daß sie anerkannt werden müssen, weil sie existieren. Ganz im Gegenteil, sie sagt: „Es müssen Irrlehren unter euch sein“, d. h. persönliche Überzeugungen, eigenständige Gemeinschaften, „damit die Bewähr­ten unter euch offenbar werden“ (1 Kor 11, 19). Ferner: „Einen ketzerischen Menschen“, d.h. einen, der sich in religiösen Dingen seine eigene Meinung zulegt und Anhänger um sich sammelt, „verwirf nach einer einmaligen oder zweimaligen Zurecht­weisung“ (Tit 3,10). Und weiter: „Nehmet euch in acht vor denen, die Spaltung anrichten, und meidet sie“ (Röm 16,17). Wir aber gehören zu denen, die im Einklang mit diesen Weisungen unser Bestes getan haben, um uns von derartigen menschlichen Lehren und privaten Ansichten rein zu halten. Wir hangen der einen katholischen Gemeinschaft an, die allein durch die Apostel gebildet wurde und bis zum Ende aller Dinge dauern wird. Es ist sicher besser, so unbedingt an die Stimme Gottes in der Schrift zu glauben und ihr zu gehorchen als zu räsonieren; es ist erträglicher, von den Menschen engstirnig genannt zu werden, als von Gott für selbstweise und dünkelhaft erklärt zu werden; es ist glückseliger, mit der Bibel für übergewissenhaft gehalten zu werden, als das Lob der Welt zu ern­ten für Freisinnigkeit ohne sie.

Aber ferner: wer will es wagen, zu behaupten, daß „es eine engherzige und knauserige Bestimmung wäre, wenn die Segnungen des Evangeliums für eine Gemeinschaft oder Gruppe von Menschen un­ter Ausschluß der anderen reserviert würden?“ Der möge sich ja hüten, dem allumfassenden Plan der göttlichen Vorsehung, der unseren Augen begegnet, zu widersprechen. Das Christentum ist ein Segen für die ganze Erde — einverstanden; aber es folgt (aus dem zu schließen, was wir sonst aus Gottes Walten über uns wissen) durchaus nicht, daß nie­mand in besonderer Weise beauftragt sei, den Segen auszuteilen. Die einer Gemeinschaft gegebe­nen Hulderweise sind darum nicht weniger Huld­erweise, weil sie sich aus bestimmten Quellen er­gießen müssen. Tatsächlich tragen sehr viele von den großen Anordnungen der göttlichen Güte ge­rade dieses Kennzeichen an sich, das man Ausschließlichkeit nennt. Gott teilt an alle Menschen zahlreiche Gaben aus, aber Er bedient Sich dabei weniger auserwählter Werkzeuge. Die wenigen werden begnadet zum Wohl für die vielen. Reich­tum, Macht, Geistesgaben, Gelehrsamkeit, alles zielt auf die Wohlfahrt der Gemeinschaft hin; trotz­dem werden sie jedoch nicht allen auf einmal ge­geben, sondern den vielen durch die wenigen zu­geleitet. So stehen auch die Segnungen des Evan­geliums der ganzen Welt offen als freie Gaben, wie Licht oder Feuer; doch selbst das Licht hatte vor dem vierten Schöpfungstag seine eigene Behausung, und das Feuer war im Feuerstein verborgen, als sollte uns damit gezeigt werden, daß auch das Licht und Feuer unserer Seelen nur durch den Gebrauch von Mitteln oder durch den Zustrom aus beson­deren Quellen gewonnen wird.

Weiter, wenn man die Amtsnachfolge Formsache nennt, wenn man das Festhalten daran Form­sache nennt, so kann man sie nur deshalb Formsache heißen, weil wir ihre Wirkung nicht sehen; würde etwas Sichtbares sie begleiten, dann hießen wir sie nicht länger Formsache. Folgte immer einer Taufe oder einer Rückkehr in die Kirche ein Wunder, wer würde sie noch länger Formsache nennen? Wir nennen sie nämlich nur so lange Formsache, als wir es verschmähen, im Glauben zu wandeln, der die sichtbaren Dinge nicht braucht. Der Glaube sieht die Dinge nicht als Formsache an, wenn das, was Formsache zu sein scheint, ein Geheiß ist; er wird der Wirkungen inne. Menschen, die der Natur­wissenschaften unkundig sind, würden kein Ergeb­nis aus chemischen und ähnlichen Experimenten voraussagen; sie würden sie für Formsache und Schein halten. Was ist das Gebet anderes als eine Formsache? d. h. wer sieht (allgemein gesprochen) ein Ergebnis davon? Aber wir glauben an es und werden dadurch gesegnet. In welchem Sinn ist die Treue zur Kirche eine Formsache, in dem das Gebet es nicht auch wäre? Der Vorteil weder des einen noch des andern ist sichtbar; weder das eine noch das andere wird dem weltlichen und oberflächlichen Menschen Nutzen bringen; die Schrift befiehlt das eine wie das andere. Die Aussage, daß die Einheit der Kirche eine Formsache sei, bedeutet keine Geringschätzung für sie; Formen bilden ja gerade die Nahrung des Glaubens.

2. Indes kann man einwenden: „Was auch die Ur­sache war und was auch die göttliche Vorsehung da­mit beabsichtigte, es gibt nun einmal viele Sekten; wenn Einheit eine Pflicht ist, wie die Glieder der Kirche behaupten, dann ist es für sie das beste oder der einzige Weg, sie jetzt herbeizuführen: ihre Strenge zu lockern und sich mit allen Sekten zu­sammenzuschließen, was immer dabei die Bedin­gungen sein mögen.“ Ich stelle die Gegenfrage, ob wir irgendeine Bevollmächtigung dazu haben, ir­gendeinen Auftrag, einen Teil dessen zu ändern, was Gott festgelegt hat; ob wir uns nicht genauso­gut herausnehmen könnten, die Taufe durch eine andere Einrichtung zu ersetzen, wie die Rechte der katholischen Kirche abzuschaffen und menschliche Gesellschaften und Lehrer von eines Menschen Gnaden mit ihr auf die gleiche Stufe zu stellen? Selbst Balaam fühlte, wie groß die Macht einer göttlichen Anordnung war. „Er hat gesegnet“, sagt er, „und den Segen kann ich nicht verkehren“ (Nm 23, 20). Auch der heilige Isaak konnte, so sehr er es wünschte, das Gefälle des einmal verliehenen Se­gens oder den Ratschluß Gottes nicht ändern. Er rief über Jakob aus: „Ja, und er soll gesegnet blei­ben“ (Gn 27, 33); denn „es liegt nicht an jemands Wollen oder Laufen, nicht am Geblüte, noch am Willen des Fleisches, noch am Willen des Mannes“ (Joh 1,13), „sondern an Gottes Erbarmen“ (Röm 9,16). „Gottes Gaben und Berufungen reuen Ihn nicht“ (Röm 11,29).

Leute, die sich von der Kirche getrennt haben, drän­gen manchmal in der folgenden Weise auf eine Vereinigung unter allen Christen hin; sie sagen: „Wir weichen von euch ab; doch wir wollen unsere Formen aufgeben, wenn ihr eure aufgebt. So kom­men wir einander entgegen. Was bedeuten For­men, wenn nur unsere Herzen eins sind?“ Indessen, der Natur der Sache nach gibt es zwischen uns und ihnen nicht ein Herz und einen Geist, kann es nicht geben, weil Gehorsam gegen die Kirche ein Teil unseres Geistes ist. Jene, die, wie wir, viel auf die Unterwerfung unter ihre Autorität geben, unter­scheiden sich eindeutig im Geist von denen, die wenig davon halten. So gut es solche Menschen mei­nen, tatsächlich verlangen sie doch von uns, daß wir etwas aufgeben, während sie selbst nichts auf­geben; denn es heißt nicht viel, etwas aufzugeben, worauf man keinen Wert legt. Alles, was sie auf­geben, ist das, was sie selbst dadurch herabsetzen, daß sie es eine Formsache nennen. Sie nennen unsere Kirchenzucht ebenfalls eine Formsache, wir aber nicht; und sie ist keine bloße Formsache in unserem Urteil, obwohl sie es in ihrem sein mag. Sie nennen sie eine menschliche Erfindung, gerade wie ihre eigene; aber solange wir sie nicht auch so nen­nen, solange sie uns nicht davon überzeugt haben, daß es so ist, muß ihre Preisgabe für uns ein Opfer bedeuten, das sie gar nicht bringen können. Sie können nämlich ein solches Opfer nicht bringen, weil sie oder ihre Väter vor ihnen es bereits ge­bracht haben, als sie die Kirche verließen. Sie kön­nen es nicht bringen, denn sie haben keine liebe Anhänglichkeit zu opfern; wir dagegen hängen mit unserer Frömmigkeit, unserer Ehrfurcht, unserem Glauben und unserer Liebe an der Kirche der Apo­stel und könnten (wäre Fahnenflucht möglich, was Gott verhüte) von ihr nicht losgerissen werden ohne viele Wunden und viel Seelenqual. Gewiß also ist diese Art zu reden entweder Heimtücke oder über­große Einfalt bei denen, die sich von uns unter­scheiden. Sie berauben sich dessen, was wir als das Wesentliche der Heiligkeit betrachten, nämlich der Ehrerbietung und Schuldigkeit gegenüber der alt­überlieferten Ordnung. Wenn sie aber entblößt sind, müssen sie sich notgedrungen in neue Formen und Riten hüllen, so gut sie können, und diese Neu­heiten, die ihre eigenen Hände zusammengenäht haben, um sich damit zu bedecken, auf die sie nie geachtet haben und die bald zerfallen müssen, be­absichtigen sie (immerhin) uns zuliebe aufzugeben, vorausgesetzt, daß wir unsererseits des Herrn eigene Kleidung von uns werfen, jene Heiligkeit und Besonnenheit der Ordnung, die die Gabe Christi ist, das Unterpfand Seiner uns angerech­neten Verdienste, das Sinnbild und das tatkräftige Werkzeug Seines Wirkens in unseren Herzen. Das hieße wahrhaftig Feingold für Erz eintauschen; oder gleich dem undankbaren Esau unser dauern­des Erstgeburtsrecht um einen nichtigen und ver­gänglichen Vorteil verschachern.

3. Aber der Einwand geht weiter. „Gut“, kann man sagen, „selbst zugegeben, daß Gehorsam gegen die Kirche im Sinne der Bibel eine Pflicht ist, immerhin, wenn es irrende Lehrer in ihr gibt, ist es gewiß eine höhere Pflicht, sie wegen ihres Irrtums zu ver­lassen, als an ihnen festzuhalten um der Formsache willen“. Bevor man jedoch diese Frage beantwor­ten kann, muß der Irrtum genau bezeichnet werden, an dem dieser oder jener Lehrer festhält. Die ein­fache und praktische Frage, die wir zu entscheiden haben, lautet, ob sein Irrtum derart ist, daß er seine Vollmacht, die Sakramente zu spenden, aufhebt. Er muß todbringend und ungeheuer sein, um das zu bewirken; und gewiß ist die Spendung der Sakra­mente, nicht einer Formel — des Geistes, nicht des Buchstabens — seine ureigene Vollmacht und unser ureigenes Bedürfnis. Es ist unser Nutzen, es ist der Nutzen unserer Seele, daß wir uns an die halten, die göttliche Wohltaten spenden, selbst wenn „sie in vielen Dingen fehlen“(Jak 3, 2). Und es ist offenkundig auch unsere Pflicht. Wenn sie im Irr­tum sind, dann wollen wir für sie beten, nicht sie verlassen. Wenn sie sich an uns versündigen, wol­len wir uns nicht an ihnen versündigen. Vergelten wir Böses mit Gutem! So handelte David auch gegen Saul, seinen Verfolger. Er „benahm sich klug auf allen seinen Wegen; und der Herr war mit ihm“ (1 Sam 18,14). Die Grausamkeit Sauls war ein extremer Fall; und doch ließ David seine „Augen gerade schauen“, und „er wich weder zur Rechten noch zur Linken“. Er ehrte Saul trotz allem, weil er von Gott über ihn gestellt war. So müssen wir nach den Worten des heiligen Paulus „den Vorstehern gehorchen und ihnen Untertan sein“ (Hebr 13,17) . Die Vorstellung, daß Irrtümer bei einem einzelnen Lehrer die Trennung von der Kirche selbst recht­fertigen, gründet (wie man es ansehen kann) in einer Verkennung gerade des eigentlichen Zweckes, um dessentwillen ihr die Unterweisung anvertraut wurde. Wenn die einzelnen Lehrer unfehlbar wä­ren, dann bedürfte es überhaupt keiner Ordnung und Vorschrift. Hätten wir ein lebendes Haupt auf Erden, das, wie einst unser Heiland unter Seinen Aposteln weilte, uns in allem belehrte und leitete, dann könnte man insoweit die sichtbare Kirche ent­behren. Da wir es aber nicht haben, ist eine Lehr­form, ein System von Gesetzen, ein Band der Unter­ordnung, das alle zur Einheit verbindet, der nächstbeste Weg, die Beständigkeit der heiligen Wahr­heit zu sichern. Die ganze Gemeinschaft der Chri­sten wird so zum Treuhänder, um ein Wort der Welt zu gebrauchen, und tatsächlich hat so Zeitalter auf Zeitalter sie uns vermittelt. So wurden die Lehrer verpflichtet, in einer bestimmten Weise zu lehren, die Hörer, es in einer bestimmten Weise zu hören, und nicht anders. Da wir also Anteil an dem Vorzug haben, wollen wir uns nicht beklagen über den Anteil an Verpflichtung; da wir dank der Strenge derer, die vor uns lebten, im Genüsse der Wahrheit sind, wollen wir nicht davor zurück­schrecken, uns dem zu unterziehen, wodurch wir sie ererbt haben. Wenn die Hörer die Ordnung der Kirchenzucht verletzen, warum sollten nicht die Lehrer die Ordnung des Glaubens verletzen? Und wenn wir unseren Lehrer tadeln, selbst wo er durch die Ordnung der Kirche gebunden ist, wieviel größer wäre unsere Klage, wenn er nicht so gebun­den wäre? Seien wir also über eine Bestimmung, die eine so große Wirkung hat, nicht ungeduldig, darum weil sie nicht alles bewirkt. Vergessen wir nicht, daß Regeln die Gefahr des Irrtums voraus­setzen, aber laßt uns noch lieber darüber nachden­ken, ob sie nicht mehr nützen als schaden. Seien wir weniger selbstsüchtig und denken wir nicht nur an uns. Schauen wir auf die ganze Gemeinschaft, auf die Armen, Unwissenden, Schwankenden und Ir­renden. Bedenken wir, ob es klug von uns wäre, uns für das endgültige Verschwinden der Kirche aus unserem Land verantwortlich zu machen, was einträte (soweit es an uns liegt), wenn wir von ihr abfielen.

4. Aber man kann sagen: „Der Glaube ist keine Sache der Worte, sondern des Herzens. Was falsch ist, ist mehr als die formale Lehre, es ist die Gesin­nung und der Geist dieses oder jenes Lehrers. Sein Bekenntnis mag rechtgläubig sein, aber seine Reli­gion ist nicht lebendig; und sicher darf äußere Ord­nung nicht wie eine Last auf uns liegen, die die wahre innere Bruderschaft zwischen Christ und Christ erstickt und zerstört.“ Ich darf mit aller Vor­sicht bemerken, daß, da die Ordnung durchaus ge­wahrt werden muß, dies geschehen muß selbst um den Preis dessen, was von größerer Wichtigkeit zu sein scheint, nämlich um den Preis der sogenannten Herzensgemeinschaft unter den Christen. Daß dies sich so verhält, liegt geradezu im Wesen der Ord­nung beschlossen; und gewiß wußte das unser Hei­land, als Er sie auferlegte. Denken wir einen Au­genblick darüber nach. — Echtes, geistliches Gefühl, eine von Herzen kommende Hingabe, lebendiger Glaube und dergleichen lassen keine Beschreibung, Bestimmung und Vergewisserung in einer fest­gelegten Weise zu, wie es eben in dem vorliegenden Einwand tatsächlich geschieht. Wie immer wir unser Urteil darüber bilden, es kommt zustande auf Grund einer Anzahl von kleinen Umständen in Sprache, Lebensart und Verhalten, auf Grund von Dingen, die nicht in Worte zu fassen sind, die nie zwei Beobachtern genau gleich erscheinen, um so weniger, weil jeder zu seiner vollen Genüge die Möglichkeit haben muß, sich selbst als Maß zu neh­men. Wenn nun aber jeder seiner eigenen Auffas­sung von Gemeinschaft folgt, wie soll da noch „ein Leib “ möglich sein, und in welchem Sinn sollen dann diese Worte des Apostels verstanden werden?

Ferner kann dieser oder jener in seiner Sprech­weise und in seinem Verhalten mehr oder weniger religiös sein; wie sollen wir die Grenzen ziehen, ganz nach unserem eigenen persönlichen Maßstab, und sagen, welche in unserer Kirche sein sollen und welche nicht? Ärgerniserregende Sünder freilich und offene Häretiker könnten sofort ausgeschlos­sen werden; aber es wäre weit leichter zu bestim­men, wen man ausschließen als wen man zulassen soll, außer wir lassen alle zu. Für das menschliche Auge kann von den treuesten Gläubigen bis zum Ungläubigsten eine Reihe mehr oder weniger reli­giöser Menschen einbezogen werden, die stufen­weise den ganzen Abstand ausfüllen. Selbst wenn wir unfehlbar zwischen Guten und Schlechten schei­den könnten, so wäre es das Werk eines Lebens; was aber in Wirklichkeit unser Erfolg sein würde, kann aus den Beispielen derer vorausgesagt wer­den, die es versuchen und die nicht selten Menschen, die fast ungläubig sind, mit hochbegnadeten Chri­sten verwechseln. Aber zugegeben, wir besäßen eine außerordentliche Unterscheidungsgabe, dann könnten wir doch auf keinen Fall mehr sehen, als Der sieht, Der gerade durch den Aufschub des End­gerichtes zu sagen scheint, daß unser aller Glaube nur unreif ist und in seinen Anfängen steckt; — so daß überhaupt ein Abgrenzen und doch ein Ein­schließen all derer, die religiös scheinen, notwen­digerweise einen Widerspruch darstellt. Anderseits sind Formen genau und bestimmt. Haben sie einmal einen Bruch, brechen sie völlig auseinander. Man kann sie nicht nach und nach zerbrechen; entweder werden sie beachtet oder nicht. Es scheint also im großen ganzen, daß wir mit Gewißheit ein Gebot verletzen, aber uns keine gewissen Vorteile sichern, wenn wir die Kirche ver­lassen, um uns einer anderen Religion anzuschließen, die ein weniger formelles, dagegen mehr geistiges Gesicht zeigt.

5. Endlich kann man fragen: „Sollen wir uns dann von jenen fernhalten, die wir für gute Menschen halten, und zugeben, daß es besser wäre, sie wären in der Kirche?“ Wir brauchen uns nicht fernzuhal­ten, wir dürfen es nicht. Wir sind zwar nicht ver­pflichtet, uns um ihre Gesellschaft zu bemühen, aber wir dürfen uns ihnen nicht versagen, wenn wir mit ihnen zusammentreffen, außer freilich, sie wären die wirklichen Anstifter und Förderer einer Spal­tung. — Wir müssen sie lieben und für sie beten; wir dürfen nicht abstoßend gegen sie sein, oder sie schmähen oder verachten, sondern wir müssen freundlich sein, geduldig, bereit, sie zu belehren, gütig sein, Rücksicht üben und ihr Verhalten im besten Sinn auslegen. Wir möchten, wenn wir könn­ten, eins mit ihnen sein im Herzen und in der Form, da wir Liebesgemeinschaft für die Herrlichkeit und die Krone christlichen Glaubens halten; und wir wollen alle Mittel versuchen, um das zu erreichen; aber wir fühlen, und wir können es nicht verheim­lichen, wir fühlen, daß sie zu uns herüberkommen müssen, wenn wir eins sein sollen. Wir möchten zusammentreffen, aber es muß in der Kirche sein, nicht auf neutralem oder gar feindlichem Boden, nicht in der grenzenlosen, ungastlichen Wüste die­ser Welt, sondern innerhalb jenes geschützten Er­bes, dessen Grenzpfähle vor langem aufgestellt worden sind. Wenn Christus eine heilige Gemein­schaft gestiftet hat (was Er tat); wenn Seine Apostel sie geordnet haben (was sie taten) und uns aus­drücklich befohlen haben (wie sie es in der Schrift taten), nicht aufzulösen, was sie begonnen haben; und wenn (tatsächlich) ihr so geordnetes und so gesegnetes Werk noch heute wirklich unter uns lebt und wir an ihm teilnehmen, wäre es Verrat von uns, diese Gemeinschaft zu verlassen, es zeugte von undankbarer Verachtung gegen jene, die sie durch so viele Jahrhunderte bewahrt haben, von harter Rücksichtslosigkeit gegen jene, die nach uns kom­men werden, ja gegen die jetzt Lebenden, die außer ihr stehen und sonst in sie geführt werden könnten. Wir müssen weitergeben, was wir emp­fangen haben. Wir haben die Kirche nicht erbaut, wir dürfen sie nicht abbrechen. Im Maße wie wir sie für eine göttliche Einrichtung halten, müssen wir immer einer Trennung von ihr widerstehen als einer Sünde. Es gibt keinen Dissidenten, der nicht, insofern und insoweit er sich abtrennt, in einer Sünde ist. Es mag in diesem oder jenem Fall eine Sünde der Schwachheit oder der Nachlässigkeit, ja der Unwissenheit sein; es mag eine Sünde der Ge­meinschaft sein, zu der einer gehört, nicht seine eigene, eine soziale Sünde, keine persönliche, immerhin ist die Trennung in ihrem Wesen sünd­haft. Sie mag mit viel Gutem vermischt sein; sie mag auf eine Verdrehung des Gewissens oder auch auf einen persönlichen Zwiespalt zurückzuführen sein; sie mag mehr oder weniger mit Pietät gegen die Vorfahren verbunden sein; doch an sich betrach­tet kann sie nur ein Makel und ein Nachteil sein, und wenn einer gerettet wird, wird er nicht durch sie, sondern trotz ihrer gerettet. Soweit er sich abtrennt, befindet er sich unter einer Wolke. Und obwohl auch wir möglicherweise ebenso große Sünden zu verantworten haben, wenn wir bei ihm den schwer­sten Fall von Sünde annehmen, und obwohl wir beten, Christus möge in einer hervorragenden, Ihm Selbst nur bekannten Weise gewähren, alle „zu vollenden, zu stärken und auf einen festen Grund zu stellen“ (1 Petr 5,10), „die Ihn aufrichtig lieben“ (Eph 6, 24), selbst wenn sie von den Herrlichkeiten Seiner Kirche auf Erden getrennt sind, so wollen wir doch und müssen wir der Trennung an sich wider­stehen und das freiwillige Verharren in ihr als böse ansehen, als ebenso schlimm wie „der Aufruhr Kores“ (Jud 11) und als das echte Kind jener Sünde, die uns des Paradieses verlustig machte.

Aber es bleibt nicht bei der Sünde der Trennung. Nehmt nie an, meine Brüder, was immer die Welt sagen mag, daß jemand weder besser noch schlech­ter in seinem Glauben und Lebenswandel ist, wenn er sich von der Kirche trennt. Natürlich können wir nicht „die Herzen und Nieren erforschen“ (Ps 7, 10) oder über einzelne ein Urteil fällen; doch scheint es ganz klar zu sein, daß im allgemeinen überlegte Unbotmäßigkeit das Anzeichen, ja oft Ursache und Ursprung eines unbußfertigen, eigen­willigen, selbstherrlichen, streit- und eifersüchtigen Geistes ist; und soweit einer sich entsprechendem Tun hingibt, soweit trägt einer die Merkmale des Stolzes oder der Herzenskälte an sich, die voran­gehen oder nachfolgen. Nun wissen wir leider zu gut, daß Kälte und Stolz nicht allein denen eigen sind, die uns verlassen. Wir alle tragen ihren Sa­men in uns, und es gereicht uns zur Schande und Verdammung, wenn wir sie nicht unterdrücken. Aber zwischen uns, wenn wir kalt und stolz sind, und denen, die sich willentlich von der Kirche tren­nen, besteht dieser klare Unterschied: jenes stolze Selbstvertrauen oder jene kalte Förmlichkeit, die auch in der Kirche vorkommen können, diese sind, obwohl in ihr vorhanden, nicht ihre Früchte, ent­stehen nicht im Zusammenhang mit ihr, sondern sind unvereinbar mit ihr. Denn gehorchen heißt sanftmütig, nicht stolz sein; und gehorchen um Christi willen heißt eifrig, nicht kalt sein; dagegen sind freiwillige Trennung und aufrührerisches Be­nehmen, das seine eigenen religiösen Versammlun­gen abhält, das sein persönliches Urteil denen entgegenstellt, die die Leitung über uns haben, ferner Abneigung gegen diese und ähnliche Gefühle und Einstellungen die eigentlichen Wirkungen oder die sicheren Vorboten von Stolz oder Ungeduld oder Ruhelosigkeit oder Eigenwillen oder Lauheit. Es ist demnach so, daß diese Sünden an den Gliedern der Kirche sich finden trotz der Kirche, aber bei Abtrünnigen durch ihre Trennung mitgegeben sind.

„Tue von dir einen bösen Mund, und verleumde­rische Lippen laß fern sein von dir. Dein Auge laß gerade schauen und deine Augenlider vor deinen Schritten hergehen. Laß gerade sein den Weg dei­ner Füße, so werden sicher sein alle deine Wege. Weiche weder zur Rechten noch zur Linken; wende deinen Fuß vom Bösen.“ Was haben wir als schlichte Christen zu tun mit irdischer Hoffnung und Furcht, mit umstürzlerischen Plänen, mit Neue­rungssucht oder mit Reformträumen? Die Welt vergeht wie ein Schatten; der Tag Christi eilt her­bei. Es ist sicher weise von uns, auszunutzen, was uns zubereitet ist, anstatt nach dem zu gelüsten, was wir nicht haben, indem wir verlangen Fleisch zu essen und sehnsüchtig nach Ägypten zurückschauen oder nach den Heiden ringsum. Der Glaube hat keine Zeit, den geschäftigen Politiker zu spielen, die Sprache der Welt in eine heilige Hürde zu brin­gen oder weltliche Eifersüchteleien in einem gött­lichen Gemeinwesen anzuwenden, Rechte zu fordern, der Menge zu schmeicheln oder den Mäch­tigen den Hof zu machen. Welches ist der höchste Wunsch und Genuß des Glaubens? Ein sterbender Heiliger soll antworten. Es wird berichtet, daß ein sanftmütiger und heiligmäßiger Bekenner aus un­seren Reihen, kurz vor seinem Dahinscheiden, nach vielem Leiden auf die Frage eines Freundes: „Was er besonders für ein ganzes Leben empfehlen würde?“ kurz zur Antwort gab: „Gleichförmigen Gehorsam“, womit er sagen wollte, wie sein Bio­graph berichtet, der glücklichste Lebensstand sei der, in dem wir nicht zu befehlen oder zu leiten haben, sondern allein zu gehorchen; in welchem wir nicht selbst zu wählen haben, sondern in wel­chem der Weg unserer Pflicht, unsere Lebensweise und unser Los uns vorgezeichnet wird[1]. Dieses Los kann natürlich nicht das Los aller sein; aber es ist das Los der vielen. So gießt Gott Seine Segnungen reichlich aus, und Er schickt die Prüfung nur den wenigen; aber die Menschen verstehen ihren eige­nen Vorteil nicht und laufen in Prüfungen hinein, als wären sie unfähig, sich der Segnungen ruhig zu erfreuen. Möge Er uns die Gnade verleihen, in uns einen weiseren Geist zu nähren, unser Gnadenvor­recht hochzuschätzen, wenn wir es besitzen, nämlich zu dienen und still zu sein; und wenn wir es nicht haben, danach zu trachten und pflichtgetreu, nur als das Mißgeschick eines Sünders, jenes Freisein von Einschränkung zu tragen, dessen die Welt sich wie eines höchsten Gutes rühmt!

Newman John Henry, Pfarr- und Volkspredigten, DP III, 14, Schwabenverlag, Stuttgart 1951, 208-225.

 

 

 

[1] Fell`s „Life of Hammond“