GEISSLER H., “Zehntausend Schwierigkeiten machen keinen Zweifel”. Der Glaubensweg von John Henry Newman und sein Weg von der anglikanischen in die katholische Kirche.

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Die Tagespost, 22 (Samstag 21. Februar 2009), p. 13.

„Zehntausend Schwierigkeiten machen keinen Zweifel”:

der Glaubensweg von Kardinal John Henry Newman

„Zehntausend Schwierigkeiten machen keinen Zweifel”: Dieses Wort hat John Henry Newman nicht nur geschrieben, er hat es auch gelebt. Auf seinem Glaubensweg war er mit unzähligen Schwierigkeiten und Prüfungen konfrontiert. Er konnte sie bestehen, weil Gott in seinem Herzen ein Licht entzündet hatte. Dieses „milde Licht” führte ihn voran und leuchtete ihm auch in dunklen Zeiten.

1. Der Bekehrte

John Henry Newman wurde am 21. Februar 1801 in London geboren. Er wuchs im Haus seiner anglikanischen Eltern auf. Die Mutter machte ihn und seine fünf Geschwister schon früh mit der Bibel vertraut. Das Maßgebliche war dabei aber nicht der Glaube, sondern das Gefühl. Darum konnte Newman später sagen, er habe als Kind „keine eigentlichen religiösen Überzeugungen” gehabt. Im Alter von sieben Jahren wurde er in eine Privatschule geschickt. Und es zeigte sich bald, dass er nicht nur ein eifriger Schüler war, sondern auch Begabung hatte für Musik – er lernte Geige spielen -, für Organisation – er wurde Vorsitzender eines Schülerklubs – und für Journalistik – er gab eine Schülerzeitschrift mit dem Titel „Der Spion” heraus.

In religiöser Hinsicht hatte der jugendliche Newman aber kein Fundament. In seinem Tagebuch schrieb er über diese Zeit: „Ich erinnere mich… des Gedankens, ich möchte wohl tugendhaft sein, aber nicht religiös. Es lag etwas in der Vorstellung des letzteren, das ich nicht mochte. Auch hatte ich nicht erkannt, was es für einen Sinn hätte, Gott zu lieben”. Die große Versuchung des jungen Newman bestand also darin, ein guter Mensch zu werden, aber Gott und damit die Quelle alles Guten zu verlieren. Klopft diese Versuchung nicht auch heute an die Tür vieler Menschen, vielleicht an unser Herz?

Inmitten dieser dunklen Stürme kam es zur ersten Wende im Leben Newmans. Er selbst nannte diese Wende oft seine „erste Bekehrung”. „Als ich 15 Jahre alt war”, so schreibt er, „ging in meinem Denken eine große Änderung vor sich. Ich kam unter den Einfluss eines bestimmten Glaubensbekenntnisses, und mein Geist nahm dogmatische Eindrücke in sich auf, die durch Gottes Güte nie mehr ausgelöscht und getrübt wurden”.

Wie kam es zu dieser großen Änderung im Denken des 15-Jährigen? Die Familie Newman war unerwartet in eine finanzielle Notlage geraten, da die Bank des Vaters bankrott ging. Deshalb musste der erkrankte John Henry während der Sommerferien 1816 im Internat der Schule bleiben. In dieser Zeit las er auf Anregung eines Lehrers ein Buch über „Die Macht der Wahrheit”. Dieses Buches traf den Studenten ins Herz. Er fand zu einem lebendigen Glauben an Gott und erkannte zugleich die Vergänglichkeit der irdischen Dinge. Im Geist der heiligen Augustinus schreibt er darüber: „Ich… ließ mich in dem Gedanken Ruhe finden, dass es zwei und nur zwei Wesen gebe, die absolut und von einleuchtender Selbstverständlichkeit sind: ich selbst und mein Schöpfer”.

Seit dieser ersten Bekehrung hatte Newmans Glaube ein festes Fundament: „Von meinem fünfzehnten Lebensjahr an”, so schreibt er, „war das Dogma das Fundamentalprinzip meiner Religion; eine andere Religion kenne ich nicht…; Religion als bloßes Gefühl ist für mich Traum und Blendwerk. Man könnte ebenso gut von Kindesliebe ohne Eltern sprechen, als von Frömmigkeit ohne die Tatsache eines höchsten Wesens”. Die erste Bekehrung führte Newman zu dem hin, der das wahre Licht ist. Und auf diese erste Bekehrung folgten viele weitere Schritte der Läuterung und der Reifung, die dieses Licht immer mehr zum Strahlen brachten. Wer zum Licht kommen will, muss bereit sein, sich zu bekehren. Er muss seine Ich-Welt hinter sich lassen und sich öffnen für Gott. Auch heute ist die Bekehrung der Weg zum Licht.

2. Der Seelsorger

Erst 16 Jahre alt, begann Newman das Universitätsstudium in Oxford. Er widmete sich intensiv seinen Aufgaben als Student und versuchte treu jenem inneren Licht zu folgen, das er als die Mitte seines Lebens erkannt hatte. Bereits nach drei Jahren machte er die Abschlussprüfung und wurde kurz darauf Professor.

In dieser Zeit entschloss er sich, sein Leben ganz in den Dienst Gottes und der Menschen zu stellen. Als er 1824 zum anglikanischen Diakon geweiht wurde, notierte er in seinem Tagebuch die Worte: „Ich trage Verantwortung für die Seelen bis zum Tag meines Todes”. Nach seiner ersten Bekehrung hatte Newman noch gewisse individualistische Züge an sich: „ich selbst und mein Schöpfer”, so hatte er geschrieben. Nun kam die Dimension der Verantwortung für die anderen hinzu. Er erkannte, dass er dem Licht Gottes nur treu bleiben konnte, wenn er bereit war, dieses Licht anderen weiterzugeben, ein Diener der Menschen zu sein. Besonders wichtig war ihm dabei der persönliche Kontakt. Als Diakon in einer ärmlichen Pfarrei in Oxford begann er deshalb neben der traditionellen Predigttätigkeit mit Hausbesuchen – damals eine ganz neue und ungewohnte Art der Seelsorge.

Kurze Zeit später wurde Newman neben seiner akademischen Tätigkeit auch Pfarrer der Universität Oxford. Jeden Sonntag Abend hielt er eine Predigt, um die Gewissen der Studenten und auch der Professoren wach zu rütteln. Er besaß eine große Gabe für die Predigt. Er legte die christlichen Wahrheiten klar dar, er rief zu einem Leben nach den Grundsätzen des Evangeliums auf, er gab dem Wort durch sein Lebenszeugnis innere Autorität.

Newman wollte die Studenten nicht nur in ihrer intellektuellen Ausbildung begleiten. Er war vielmehr darauf bedacht, ihnen auch Wegbegleiter zu sein und sie zu einem Leben nach dem Evangelium anzuspornen. Aus diesem Grund bekam er bald Schwierigkeiten mit seinen liberalen Vorgesetzten. Dabei kann Newman in keiner Weise der Engstirnigkeit bezichtigt werden. Er veranstaltete häufig Abende für Studenten. Er lud zu den Mahlzeiten regelmäßig Freunde und Bekannte ein. Dabei wurde nicht nur über religiöse Themen gesprochen, sondern auch über Literatur, Geschichte, Mathematik und vieles mehr. Hier zeigt sich ein Grundprinzip von Newmans Wirken, das er einmal so formulierte: „Ich möchte, dass der denkende Laie religiös sei und der fromme Geistliche ein denkender Mensch”.

Newman war ein Erzieher durch und durch. Er hatte stets die Gewissen der anderen vor Augen und wusste um seine Verantwortung für die Seelen. Er wollte immer aufbauen, nicht niederreißen. Er bezeugt: „Nichts war mir verhasster, als Zweifel auszustreuen und die Gewissen unnötigerweise zu verwirren”. Newman war ein Vater der Gewissen, dem die Verantwortung für das Heil der Seelen klar vor Augen stand. Er war ein Vollblut-Seelsorger. Er konnte das Licht, das er gefunden hatte, nicht für sich behalten, er musste davon Zeugnis geben. Solche Zeugen des Lichtes braucht die Welt auch heute. Jesus lädt uns ein, „Salz der Erde” und „Licht der Welt” zu sein.

3. Der Wahrheitssucher

Im Sommer 1828 begann Newman die Kirchenväter zu lesen – die großen Heiligen und Theologen der ersten christlichen Jahrhunderte. Diese Lektüre wurde für ihn zum Schlüssel, um die christliche Offenbarung in ihrer Fülle zu entdecken. Die Heilige Schrift hatte er gründlich studiert und große Teile davon auswendig gelernt; nun eröffnete sich ihm auch der Zugang zur Überlieferung, deren besondere Zeugen die Kirchenväter sind. Man kann den Einfluss der Väter auf die religiöse Entwicklung Newmans kaum überschätzen. Er selbst bezeugt später: „Die Väter haben mich katholisch gemacht”.

Bald veröffentliche Newman seine erste große Studie über „Die Arianer des 4. Jahrhunderts” (1832). Doch während er nach der Wahrheit forschte und sich mehr und mehr von den Vätern inspirieren ließ, sah er mit großer Sorge, dass der Einfluss liberaler Strömungen in Oxford und in ganz England wuchs. Diese Erfahrung bewog ihn, zusammen mit anderen Geistlichen die Oxford-Bewegung ins Leben zu rufen (1833). Die Grundüberzeugung dieser Bewegung war, dass England vom Glauben der Alten Kirche abgefallen ist und es einer „zweiten Reformation” bedurfte, um die anglikanische Gemeinschaft im Geist des Urchristentums zu erneuern. Die führenden Männer der Bewegung wirkten vor allem durch eine intensive Predigttätigkeit und die Veröffent-lichung sogenannter Tracts, das waren Flugschriften, die in Oxford und später in vielen anderen Städten verteilt wurden und wie Blitze aus heiterem Himmel einschlugen. Drei Prinzipien leiteten die Bewegung: erstens das dogmatische Prinzip, nach dem der christliche Glaube die Wahrheit ist; zweitens das kirchlich-sakramentale Prinzip, gemäß dem Christus eine sichtbare Kirche mit Sakramenten gestiftet hat; und drittens das anti-römische Prinzip, durch das der Vorwurf des Papalismus abgewehrt werden sollte. Newman selbst schrieb über die katholische Kirche im Tract 20: „Ihre Gemeinschaft ist von der Häresie angesteckt, wir müssen uns davor hüten wie vor der Pest”.

In der Folge bemühte er sich, den Anglikanismus auf festeren Boden zu stellen und entwickelte die Theorie der „Via Media”. Nach dieser Theorie haben die Protestanten Wahrheiten des ursprünglichen Glaubens verworfen, die Katholiken sich durch Zusätze und Irrtümer vom Glauben der Alten Kirche entfernt, die Anglikaner hingegen als „Via Media” das Erbe der Väter treu bewahrt. Bei diesen Studien ließ sich Newman nicht von persönlichen Interessen leiten. Er schreibt: „Mein Wunsch war es, die Wahrheit zu meinem engsten Freund zu haben und keinen anderen Feind als den Irrtum”.

Die Theorie der „Via Media” hatte jedoch einen Haken. Liegt die Wahrheit wirklich immer in der Mitte? Bei der Beschäftigung mit der Alten Kirche erkannte Newman, dass diese Frage mit Nein zu beantworten ist. Zwischen den Arianern und Rom gab es im vierten Jahrhundert eine „Via Media”: die Semi-Arianer. Die Arianer leugneten die Gottheit Jesu. Rom lehrte, dass Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Die Semi-Arianer behaupteten, dass Jesus nicht Gott gleich, aber Gott ähnlich ist. Die Wahrheit lag nicht bei den Semi-Arianern, sondern auf der Seite Roms. Die Theorie der „Via Media” brach wie ein Kartenhaus zusammen. Zudem musste Newman erleben, wie sein Tract 90 – ein Versuch, den anglikanischen Glauben katholisch zu interpretieren -, von der Universität Oxford verurteilt und von den anglikanischen Bischöfen zurückgewiesen wurde. So entschloss er sich, zusammen mit einigen Freunden nach Littlemore zu übersiedeln. In diesem kleinen Dorf unweit von Oxford wollte er durch Gebet, Fasten und Studium Klarheit über seine Zukunft finden. Er wusste damals nicht, wohin sein Weg führen würde. Er war aber entschieden, dem Licht der Wahrheit unbedingt zu folgen. Er liebte die Wahrheit. Er führte unzählige Menschen zur Wahrheit – bis heute.

4. Der Gehorsame

Newman war davon überzeugt, dass Gott ihm das nötige Licht schenken werde, wenn er nur geduldig warte, eifrig bete und sich weder vom reinen Gefühl noch von der bloßen Vernunft, sondern vom Gewissen leiten lasse. Während seiner Jahre in Littlemore hielt er sich an den Grundsatz: „Tue, was deine gegenwärtige Ansicht unter dem Gesichtspunkt der Pflicht verlangt, und lass dieses Tun sprechen; sprich durch Taten”. 1843 widerrief er alle Anklagen gegen die römisch-katholische Kirche, die er bis zu diesem Zeitpunkt für eine mit dem Antichrist verbündete Gemeinschaft gehalten hatte. Weiter legte er schweren Herzens seine Aufgaben als Professor und Universitätspfarrer in Oxford nieder. Wie sehr Newman im Gewissen um seine Zukunft rang, geht aus einem Brief hervor, den er damals schrieb: „Die Frage heißt einfach: Kann ich (ganz persönlich, nicht ein anderer, sondern kann ich) in der englischen Kirche selig werden? Könnte ich noch in dieser Nacht ruhig sterben? Ist es eine Todsünde für mich, nicht einer anderen Gemeinschaft beizutreten?”.

Die große Schwierigkeit für Newman bestand darin, ob die „neueren” römischen Lehren – etwa über das Fegefeuer, über Maria, über die Heiligen – den reinen Glauben der Väter entstellten oder nicht. Deshalb entschloss er sich, eine Studie über die Entwicklung der Glaubenslehre (1845) zu verfassen. Das Ergebnis dieser Studie war für seinen weiteren Lebensweg entscheidend. Er berichtet darüber: „Je weiter ich voranschritt, desto mehr klärten sich meine Schwierigkeiten auf, so dass ich aufhörte, von römischen Katholiken zu sprechen und sie ohne Bedenken einfach Katholiken nannte. Ehe ich zu Ende kam, entschloss ich mich zum Übertritt, und das Buch blieb in dem Zustande, in dem es damals war, unvollendet”. Hier sehen wir die innere Konsequenz Newmans: Wenn er etwas in seinem vom Glauben erleuchteten Gewissen erkannte, unternahm er sofort die notwendigen Schritte, ohne sich durch menschliche Ängste davon abbringen zu lassen. Er gehorchte dem Ruf des Gewissens, er gehorchte Gottes Licht.

Seinen engsten Bekannten schrieb er damals einen Brief mit folgendem Inhalt: „Littlemore, 8. Oktober 1845. Liebe(r) … Ich muss dir etwas mitteilen, was dich sehr schmerzen wird, aber ich will es so kurz machen, wie du es dir wünschen würdest. In dieser Nacht schläft P. Dominik, ein Passionist, hier. Er weiß noch nichts von meiner Absicht, aber ich will ihn bitten, mich in die Kirche aufzunehmen, von der ich glaube, dass sie die eine Herde des Erlösers ist. Der Brief wird nicht abgesandt, bevor alles vorbei ist. Dein immer verbundener John Henry Newman”.

Die anglikanische Gemeinschaft zu verlassen, fiel Newman nicht leicht. Er liebte seine Gemeinschaft, er liebte Oxford und seine Aufgaben, er liebte seine Familie und seine Freunde. Aber der Ruf des Gewissens war stärker als alle menschlichen Bindungen. In diesem Ruf erkannte er den Willen Gottes. Seine Konversion ist kein „ökumenischer Unfall”. Er erinnert uns vielmehr daran, dass es bei der Suche nach der Einheit darum geht, dem Licht der Wahrheit in Treue zu folgen. Deshalb ist er eine eminent wichtige Gestalt für die Ökumene.

5. Der Leidende

Nach seiner Aufnahme in die katholische Kirche am 9. Oktober 1845, fast genau in der Mitte seines Lebens, zog Newman nach Rom, wo er ein paar Monate studierte und dann zum katholischen Priester geweiht wurde. In Rom lernte er die Gemeinschaft der Oratorianer kennen. Er trat in diese Gemeinschaft ein und gründete dann in Birmingham das erste englische Oratorium. Bis zu seinem Lebensende weilte er fast immer in Birmingham, wo er eine reiche seelsorgliche Tätigkeit unter den Armen entfaltete, Tausende von Menschen begleitete und seine theologische Tätigkeit fortsetzte. Seine Seele hatte „nach stürmischer Fahrt den sicheren Hafen erreicht”. Etwa zwanzig Jahre nach seiner Konversion schrieb er: „Von der Zeit an, dass ich katholisch wurde, habe ich in vollkommenem Frieden und ungestörter Ruhe gelebt, ohne je von einem einzigen Zweifel heimgesucht zu werden”.

Nach vielen Jahren hatte Newman endlich den inneren Frieden gefunden. Aber die Schwierigkeiten und Prüfungen, die auf ihn einstürmten, wurden nicht weniger. Im Gegenteil: Sie nahmen zu. Viele Anglikaner betrachteten ihn als Verräter und brachen den Kontakt mit ihm ab. In der katholischen Kirche Englands, zu der damals fast ausschließlich arme irische Arbeiter gehörten, wurde er nicht immer richtig verstanden. Innerhalb des Oratoriums kam es bald zu Spannungen, weil einige Mitbrüder mit der Linie Newmans nicht einverstanden waren und schließlich in London ein eigenes Oratorium gründeten. Newman litt sehr unter dieser Spaltung.

1851 wurde Newman von den irischen Bischöfen mit der Gründung einer katholischen Universität in Dublin beauftragt und zum ersten Rektor ernannt. Mit Freude nahm er die Herausforderung an. Er hoffte, nun seine Erfahrungen als Professor in Oxford fruchtbar machen zu können. Er widmete dem Aufbau der Universität viel Kraft und Zeit. Die Vorträge, die er 1852 in Dublin über „Das Wesen der Universität” hielt, gehören zum Besten, das zu diesem Thema geschrieben worden ist. Newman wandte sich gegen einseitige Spezialisierungen auf Kosten der Allgemeinbildung. Echte Bildung hat seiner Ansicht nach immer drei Dimensionen: Wissenschaft, Tugend und Religion. Weil Newman aber auch Laien in den Professorenstab aufnehmen und Christen aus der Welt und für die Welt ausbilden wollte, kam es bald zu Spannungen mit den Bischöfen. Diese brachten letztlich das gesamte Projekt zum Scheitern.

Nach diesem Fehlschlag wurde Newman gebeten, eine neue englische Übersetzung der Bibel anzufertigen. Wiederum ging er mit Eifer und Entschiedenheit ans Werk. Er suchte geeignete Helfer für die Übersetzung und gab für die Arbeit persönlich viel Geld aus. Doch bereits nach einem Jahr musste er zur Kenntnis nehmen, dass die Verantwortlichen das Projekt nicht länger unterstützten, ihn jedoch nicht davon informiert hatten.

1859 wurde an Newman die Bitte herangetragen, die Herausgabe der katholischen Zeitschrift “The Rambler” zu übernehmen. Er sah darin eine Chance, zur Bildung der katholischen Laien beizutragen. Er wollte auch bewusst auf die Stellung der Laien in der Kirche hinweisen und veröffentlichte den Aufsatz „Über das Zeugnis der Laien in Fragen der Glaubenslehre”. In dieser Studie legte er dar, dass die Glaubenslehre in der Kirche durch verschiedene Kanäle weitergegeben wird: durch den Mund der Bischöfe, durch das Zeugnis der Theologen, durch das gläubige Volk, das einen instinktiven Sinn für die Wahrheit besitzt. Newman verwies dabei auf die Auseinandersetzung mit den Arianern im vierten Jahrhundert. Damals waren es vor allem die gläubigen Laien, die das Bekenntnis zur Gottheit Christi bewahrt und überliefert hatten. Newman wollte damit nicht die besondere Stellung der Bischöfe als Lehrer des Glaubens abschwächen, sondern lediglich darauf hinweisen, dass die Laien als Getaufte eine eigene Sendung in der Kirche haben. Sein Anliegen stieß jedoch in gewissen Kreisen auf Missfallen, so dass er auf Bitten seines Bischofs bereits nach kurzer Zeit die Tätigkeit als Herausgeber des „Rambler” aufgeben musste. Trotz großer Enttäuschung kam er dieser Bitte nach, denn er widersetzte sich nie dem Willen seines Bischofs.

Damit war die Angelegenheit aber noch nicht beendet. Newman wurde sogar, völlig zu Unrecht, der Häresie verdächtigt. Ein einflussreicher Monsignore meinte: „Dr. Newman ist der gefährlichste Mann in England”. Mehrere Jahre lang hatte Newman unter diesen Anschuldigungen zu leiden. Am meisten schmerzte ihn, dass die Vorwürfe aus den eigenen Reihen kamen. Was gab ihm die Kraft, diese Prüfungen und Kreuze zu tragen? Der Blick auf den gekreuzigten Herrn. Die Verbundenheit mit dem Leiden Christi schenkte ihm Gelassenheit, Trost und unerschütterliches Vertrauen. Das gilt auch für uns: Wir müssen Schwierigkeiten und Leiden nicht allein tragen. Wir dürfen sie immer zum Herrn bringen, der gesagt hat: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht” (Mt 11,28-30). Newman hatte unzählige Schwierigkeiten und Lasten zu tragen. Sie wurden ihm aber nicht zum Zweifel an Gott, weil er innig mit Christus verbunden war, weil er treu an der Gemeinschaft mit der Kirche – und vor allem mit dem Nachfolger Petri – festhielt, weil er sich inmitten aller Dunkelheiten nie vom wahren Licht abwandte.

6. Der Kardinal

Zu Beginn des Jahres 1864 schien Newman vergessen. Dies sollte sich aber binnen weniger Monate schlagartig ändern. Ein anglikanischer Professor behauptete in einem Artikel, dass Wahrhaftigkeit nie eine Tugend des katholischen Klerus gewesen sei und Dr. Newman das beste Beispiel dafür biete. Diesen Vorwurf konnte Newman nicht stillschweigend hinnehmen. Es ging hier nämlich nicht allein um seine Person, sondern um den ganzen katholischen Klerus. In wenigen Wochen legte er dar, wie Gottes Licht ihn geführt hatte – bis hin zur Konversion. Dieses Buch, die „Apologia pro vita sua”, wird oft mit den Bekenntnissen des Augustinus verglichen und ist ein echtes Meisterwerk. Nach seiner Veröffentlichung wurde Newman von den Katholiken erneut als Verfechter ihrer Sache geschätzt. Mehr als die Hälfte der englischen Priester dankte ihm persönlich für die Verteidigung ihres guten Rufes. Aber auch bei den Anglikanern gewann Newman wieder Ansehen. Viele erneuerten ihre Freundschaft mit ihm. Allgemein war man in England von seiner Lauterkeit überzeugt und ließ viele Vorurteile gegenüber Rom fallen. Noch mehr: Zum ersten Mal seit der Reformation hatte das Buch eines Katholiken die englische Volksseele erobert. Es wurde deutlich, dass man ganz Engländer und ganz Katholik sein kann, was bis zu diesem Zeitpunkt unmöglich schien. Damit hat Newman der katholischen Kirche in England und weit darüber hinaus einen unschätzbaren Dienst erwiesen.

Bis ins hohe Alter setzte Newman seine theologische und seelsorgliche Tätigkeit unvermindert fort. 1878 wurde Leo XIII. zum Papst gewählt. Es scheint, dass dieser Papst selbst die Idee hatte, Newman zum Kardinal zu erheben. Denn er nannte ihn bei einer Audienz schlicht und einfach „il mio Cardinale”, und er fügte hinzu: „Ich war entschlossen, die Kirche zu ehren, indem ich Newman ehrte”.

Diese Ernennung war die von Gott gefügte Rechtfertigung für Newmans Wirken. Nun war er von der katholischen Kirche nicht nur voll anerkannt. Der Papst hatte ihm die höchste Auszeichnung verliehen, die er ihm geben konnte. Als Newman in Rom die Bulle mit der Kardinalernennung in Empfang nahm, hielt er eine berühmt gewordene Rede, in der er den Kampf gegen den religiösen Liberalismus als sein eigentliches Lebensprogramm bezeichnete. Unter dem religiösen Liberalismus verstand er die Haltung, dass alle Religionen doch eigentlich gleich viel wert wären, dass es keine wahre Religion gäbe, dass Religion reine Privatsache wäre und das öffentliche Leben deshalb nicht bestimmen dürfte. Diese Haltung, die Papst Benedikt XVI. immer wieder „Relativismus” nennt, ist heute weithin zum allgemeinen Zeitgeist und zu einer der größten Herausforderungen für den christlichen Glauben geworden. Mit prophetischem Weitblick sah Newman diese Gefahr auf die Kirche zukommen. Und er wies darauf hin, dass wir – trotz aller Schwierigkeiten – nicht entmutigt oder verzagt sein dürfen: Denn das Licht Gottes ist stärker als die Mächte der Finsternis. Diesem Licht müssen wir vertrauen, dieses Licht müssen wir den Menschen bringen.

7. Der Heilige?

War Newman ein Heiliger? Seit seinem Tod am 11. August 1890 wird er von den Menschen wie ein Heiliger verehrt. 1991 unterzeichnete Papst Johannes Paul II. das Dekret über seine heroischen Tugenden. Vor einigen Jahren wurde in der Erzdiözese Boston in den USA ein Mann auf die Fürsprache Newmans geheilt. Die Prüfung dieses Wunders durch die römische Heiligsprechungskongregation ist knapp vor dem Abschluss, so dass Newman sehr bald zur Ehre der Altäre erhoben werden könnte. Dann würde das Licht seines Glaubens noch mehr in aller Welt leuchten!

Über das Licht, das seinen Weg erleuchtet hat, schrieb er in einem seiner wunderbaren Gebete: „Bleibe bei mir! Dann werde ich selber leuchten. Wie du geleuchtet hast, werde ich anderen ein Licht sein. All dieses Licht ist von dir, o Jesus. Nichts kommt von mir oder ist mein Verdienst. Du bist es, der durch mich andern leuchtet. O gib, dass ich dich so verherrliche, wie es dir am besten gefällt, indem ich allen um mich leuchte! Gib ihnen Licht, so gut wie mir! Erleuchte sie durch mich und mit mir! Lehre mich, dein Lob, deine Wahrheit und deinen Willen kundzutun! Gib, dass ich dich verkünde, auch ohne zu predigen – nicht durch Worte, sondern durch mein Beispiel, durch die weiterwirkende Kraft und den gewinnenden Einfluss dessen, was ich tue – durch meine sichtbare Ähnlichkeit mit deinen Heiligen und die offenbare Fülle der Liebe, die mein Herz für dich bewegt!”

Der Autor ist Direktor des Internationalen Zentrums der Newman-Freunde in Rom