Die Wagnisse des Glaubens

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21. Februar 1836

Diese Worte der heiligen Apostel Jakobus und Johannes waren die Antwort auf eine sehr gewichtige Frage, die ihr göttlicher Meister an sie gerichtet hatte. Sie begehrten, aus edlem Ehrgeiz, der freilich bis da­hin noch unbewandert war in der höchsten Weisheit und noch nicht unterrichtet in der heiligsten Wahrheit – sie begehrten, an seiner Seite auf dem Thron seiner Herrlichkeit zu sitzen. Sie wollten sich mit nichts Geringerem begnügen als mit jener besonderen Gabe, die er sei­nen Erwählten zu gewähren gekommen war, die er bald darauf durch seinen Tod für sie erkaufte und die er auch uns anbietet. Sie bitten um die Gabe des ewigen Lebens; und er gab ihnen nicht zur Antwort, sie würden es erhalten (obwohl es ihnen tatsächlich zugedacht war), son­dern er erinnerte sie daran, was sie dafür wagen müßten. »Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, und euch mit der Taufe taufen las­sen, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Wir können es«. Hier wird uns also eine große Lehre eingeprägt, daß nämlich unsere Christenpflicht darin besteht, für das ewige Leben etwas ohne die absolute Gewißheit des Erfolges zu wagen. Erfolg und ewiger Lohn wird denen zuteil, die bis ans Ende ausharren. Daran können wir nicht zweifeln, daß die Wagnisse aller Diener Christi ihnen am Jüngsten Tage mit überreichem Gewinn vergolten werden. Es ist ein wahres Wort: Er gibt uns weit mehr zurück als wir ihm leihen, und das unfehlbar gewiß. Ich spreche jedoch hier von den einzelnen, von jedem einzelnen aus uns. Keiner von uns weiß mit Sicherheit, daß er ausharren wird; aber jeder von uns muß, um überhaupt für sich die Möglichkeit eines Erfolges zu haben, ein Wagnis unternehmen. Vom einzelnen her gesehen ist es also ganz wahr, daß jeder von uns für den Himmel sicher etwas wagen muß, ohne jedoch die Gewißheit zu ha­ben, dadurch zum Erfolg zu kommen. Das gerade ist ja die Bedeutung des Wortes »Wagnis«; denn es wäre ein sonderbares Wagnis, das nicht Angst, Risiko, Gefahr* Befürchtung, Ungewißheit in sich trüge. Ja, so ist es in der Tat; und darin liegt der Vorzug und der Adel des Glau­bens. Gerade aus diesem Grund ist der Glaube vor allen anderen Tugenden ausgezeichnet und steht als das besondere Mittel zur Recht­fertigung in Ehren; denn schon sein Dasein in uns setzt voraus, daß wir das Herz haben, etwas zu wagen. Der heilige Paulus stellt uns dies im elften Kapitel des Hebräerbriefes hinreichend vor Augen, das mit einer Begriffsbestimmung des Glaubens beginnt und danach Beispiele dafür bietet, wie um uns gegen jede Möglichkeit eines Irrtums zu schützen. Nach dem Schriftzitat: »Der Gerechte lebt aus dem Glau­ben« und der damit verbundenen klaren Ankündigung, daß er von dem reden wolle, was er in seinem Römerbrief als »rechtfertigenden Glauben« darstellt, fährt er fort: »Der Glaube ist die Substanz«, das heißt das Realisieren »dessen, was man hofft, ein Überzeugtsein«, das heißt der Beweisgrund, »von Dingen, die man nicht sieht« (Hebr 11,1). Es gehört zu seinem innersten Wesen, das Unsichtbare gegenwärtig zu machen; auf bloße Erwartung hin zu handeln, als wäre es schon der volle Besitz; etwas dafür einzusetzen, Bequemlichkeit, Glück oder sonstige Güter hienieden daranzugeben um der Erwartung des Zukünf­tigen willen. Daher sagt er in einem anderen Brief mit Nachdruck: »Wenn wir nur in diesem Leben auf Christus hofften, dann wären wir die erbarmungswürdigsten von allen Menschen« (1 Kor 15,19). Wer­den die Toten nicht auferweckt, dann haben wir in der Tat eine höchst empfindliche Fehlkalkulation gemacht in der Wahl unseres Lebens und sind völlig im Irrtum. Und was für die Lehre im ganzen gilt, das gilt auch für unseren persönlichen Anteil daran. Dies beweist er uns in sei­nem Hebräerbrief am Beispiel der alttestamentlichen Heiligen, die ihr gegenwärtiges Glück für ihr künftiges auf die Waagschale legten. Abraham »wanderte aus, ohne zu wissen, wohin er kommen werde«. Er und die anderen starben »und haben das Verheißene nicht empfan­gen, sondern es von ferne angeblickt und sich davon überzeugt und es umfangen und bekannt, daß sie Pilger und Fremdlinge auf Erden seien«. Dies war der Glaube der Patriarchen. Im Vorspruch nun er­heben die jugendlichen Apostel mit einer naiven, aber hochgemuten Einfalt den Anspruch auf denselben Glauben. Sowenig sie sich dessen, was sie sagten, in seiner Tragweite bewußt waren, so waren ihre Worte doch immerhin Ausdruck ihres Herzensgeheimnisses, Ankündi­gung ihres künftigen Verhaltens. Sie sprachen zu ihm: »Wir können es.« Sie verbürgen sich gewissermaßen, ohne es zu merken, und wer­den von einem, der mächtiger ist als sie, beim Wort genommen und sozusagen durch List seine Gefangenen. Aber schließlich war ihr arg­loses Versprechen doch von Herzen gekommen, obschon sie nicht wuß­ten, was sie versprachen. Und so wurde es angenommen. »Könnt ihr von meinem Kelch trinken und euch mit meiner Taufe taufen lassen? Sie aber sprachen zu ihm: Wir können es.« Zur Antwort gab er ihnen nicht die Verheißung des Himmels, sondern erwiderte gnädig: »Ihr werdet in der Tat den Kelch trinken, den ich trinke, und mit der Taufe getauft werden, womit ich getauft werde«. Der Herr scheint dem heiligen Petrus gegenüber genauso zu handeln: Er nahm seinen Dienst­eifer an, gab ihm jedoch zu bedenken, wie wenig er selbst begreife. Der Apostel wünschte in seinem Eifer, dem Herrn unverzüglich zu folgen. Er aber antwortete: »Wohin ich gehe, dahin kannst du mir jetzt nicht folgen, du wirst mir aber später folgen« (Joh 13,36). Ein andermal forderte er das gegebene Versprechen ein und sprach: »Folge mir!« Zugleich aber gab er dafür die Erklärung: »Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, da du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber älter geworden bist, wirst du deine.“ Hand ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst« (Joh 21,18-22).

Solcher Art waren die Wagnisse, die die Apostel im Glauben und auf das Ungewisse hin auf sich nahmen. In einem Abschnitt des Lukas­evangeliums verpflichtet der Heiland uns alle, das gleiche freiwillig zu tun: »Wer von euch, der einen Turm bauen will, wird sich nicht zuvor hinsetzen und die nötigen Kosten überschlagen, ob er auch genügend habe, um ihn zu vollenden? Damit nicht etwa, wenn er den Grund ge­legt hat und den Bau nicht vollenden kann, alle, die es sehen, an­fangen ihn zu verspotten und sagen: Dieser Mensch fing an zu bauen und konnte nicht vollenden!« Dann aber fügt er sofort hinzu: »Also kann auch keiner von euch, der nicht allem entsagt, was er besitzt, mein Jünger sein« (Lk 14, 28-33). Damit läßt er uns wissen, daß unser Opfer vollständig sein müsse. All das Unsere bringen wir ihm zum Opfer dar; er aber fordert das oder jenes an oder überläßt uns eine Zeitlang etwas davon, je nach seinem Wohlgefallen. Anderseits ist der Fall des reichen Jünglings, der betrübt hinwegging, als der Herr ihn aufforderte, alles zu verlassen und ihm zu folgen, ein Beispiel für einen, der nicht den Glauben hatte, auf sein Wort hin diese Welt für die nächste zu wagen.

Ist also der Glaube das Wesen des christlichen Lebens und entspricht er meiner oben gegebenen Schilderung, dann ergibt sich daraus für uns die Pflicht, auf Christi Wort hin das, was wir haben, aufs Spiel zu setzen für das, was wir nicht haben. Das aber heißt, es auf noble und großherzige Weise zu tun, zwar fürwahr nicht unüberlegt oder leicht­fertig, jedoch ohne genau zu wissen, was wir tun, ohne zu wissen, was wir aufgeben oder was wir wiederum dabei gewinnen; im ungewissen gelassen über unseren Lohn, im ungewissen über die Grenzen unseres Opfers, in jeder Hinsicht auf ihn uns verlassend und auf ihn wartend; darauf vertrauend, daß er seine Verheißung erfüllen werde, ver­trauend, daß er uns zur Einlösung unseres Versprechens befähige, und so in jeder Hinsicht weiterschreitend, ohne Sorge oder Befürchtung für die Zukunft.

Das bisher Gesagte dürfte nun wohl den meisten meiner Zuhörer klar und vollgültig erscheinen. Wenn ich nun aber im folgenden die prak­tische, unmittelbar sich ergebende Anwendung mache, werden sicher­lich manche im Innersten des Herzens, wenn nicht gar in offenem Widerspruch, zurückschrecken. Die Menschen gestatten uns Dienern Christi in unserer Predigt fortzufahren, solange wir uns auf allgemeine Wahrheiten beschränken – bis sie erkennen, daß es sie persönlich an­geht und sie danach zu handeln haben; dann aber halten sie plötzlich inne. Sie besinnen sich und ziehen sich zurück, indem sie sagen: Das sähen sie nicht ein; und jenes könnten sie nicht billigen. Und obwohl sie den Grund nicht angeben können, warum die Folgerungen sich nicht aus dem ergeben sollten, was sie bereits zugestanden haben und was sich kraft unserer Darlegungen ergeben muß, beharren sie noch immer auf der Behauptung, daß sie die tatsächliche Konsequenz nicht einsähen. So halten sie Ausschau nach Entschuldigungen und werfen uns Exaltiertheit und Überspanntheit vor und meinen, wir müßten unsere Worte einschränken und mildern; wir würden nicht mit der Zeit und der Mode und ähnlichem rechnen. Dies alles schützen sie vor. Und es heißt nicht zu Unrecht: »Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.« Denn es gibt keine Wahrheit, und wäre sie noch so überwältigend klar, der ein Mensch nicht ausweichen könnte, indem er die Augen vor ihr verschließt; es gibt keine Pflicht, und sei sie noch so dringend, gegen deren Erfüllung man nicht tausend gute Gründe zu eigenen Gunsten erfinden kann. Und mit Sicherheit halten sie uns entgegen, wir über­trieben die Sache, wenn wir sie ihnen zur Pflicht machen. Diese trau­rige Schwäche von Menschen, die sich Christen nennen, wird in dem unmittelbar vorliegenden Gegenstand veranschaulicht. Wer gestünde nicht sofort zu, daß der Glaube darin bestehe, auf Christi Wort hin blindlings etwas zu wagen? Aber darf man nicht trotzdem im Ernst fragen, ob die Menschen im allgemeinen, selbst die Besseren, auf seine Wahrheit hin tatsächlich etwas wagen?

Überlegt einen Augenblick! Jeder meiner Hörer möge sich die Frage vorlegen, was er auf die Wahrheit der Verheißung Christi hin eingesetzt. hat. Wäre er auch nur im geringsten schlechter daran, einmal angenommen (was zwar unmöglich ist), es wäre ein Fehlschlag? Wir wissen, was es heißt, in irgendeinem Unternehmen dieser Welt einen Einsatz zu wagen. „Wir riskieren unser Eigentum bei Plänen, die Er­folg versprechen; bei Plänen, die uns verheißungsvoll erscheinen, an die wir glauben. Was haben wir für Christus gewagt? Was haben wir ihm gegeben aufgrund unseres Glaubens an seine Verheißungen? Der Apostel sagte, er und seine Brüder seien die elendesten von allen Men­schen, wenn die Toten nicht auferweckt würden. Können wir dies in irgendeinem Grad auf uns selbst anwenden? Vielleicht denken wir ge­rade, wir hätten einige Hoffnung auf den Himmel; diese würden wir natürlich verlieren; aber inwiefern wären wir schließlich, was unsere gegenwärtige Lage anbelangt, schlechter daran? Ein Geschäftsmann, der etwas von seinem Vermögen in ein Unternehmen steckt, das aber fehlschlägt, verliert nicht nur seine Aussicht auf Gewinn, sondern auch etwas von seinem Vermögen, das er in der Hoffnung auf Gewinn ge­wagt hatte. Das ist unsere Frage: was haben wir gewagt? Ich hege tat­sächlich die Befürchtung, bei einer etwaigen Überprüfung wird sich her­ausstellen, daß es nichts gibt, zu dem wir uns entschließen, nichts, was wir tun, nichts, was wir unterlassen, nichts, was wir meiden, nichts, was wir wählen, nichts, was wir aufgeben, nichts, was wir unternehmen, zu dem wir uns nicht entschließen würden, was wir nicht täten, nicht unter­ließen, vermieden, wählten, aufgäben und unternähmen, wenn Christus nicht gestorben und der Himmel uns nicht verheißen wäre. Ich fürchte wirklich, daß die meisten der sogenannten Christen, wie bereitwillig sie sich auch zum Glauben bekennen mögen, was immer sie an Gefühlen zu haben glauben, was immer an Wärme und Erleuchtung und Liebe sie für sich in Anspruch nehmen mögen, dennoch fast ebenso wandeln, wie sie auch wandeln würden – weder viel besser noch viel schlechter -, wenn sie das Christentum für eine Fabel hielten. In jungen Jahren überlassen sie sich ihren Lüsten oder jagen wenigstens den Eitelkeiten der Welt nach. Mit fortschreitenden Jahren arbeiten sie sich in das Ge­schäftsleben ein oder betreten einen anderen Weg, um Geld zu verdie­nen. Dann heiraten sie und gründen eine Familie; und da bei ihnen Interesse und Pflicht zusammenfallen, scheinen sie ehrsame und reli­giöse Menschen zu sein und halten sich auch dafür. Ihre Anhänglich­keit an die Verhältnisse, wie sie sind, wird größer. Sie beginnen, Eifer gegen Laster und Irrtum zu entwickeln, und sind bestrebt, mit allen Menschen im Frieden zu leben. Solches Verhalten ist natürlich an sich recht und lobenswert. Nur behaupte ich, daß es mit Religion nicht notwendigerweise etwas zu tun hat. Es enthält nichts, was in seinen Trägern irgendwie von dem Vorhandensein eines religiösen Prinzips zeugte; es gibt nichts, was sie nicht auch weiterhin tun würden, wenn sie keinen anderen Gewinn davon hätten, als den, welchen sie jetzt Wünsche, sie führen ein ruhiges und geordnetes Leben, denn das ent­spricht ihrem Interesse und ihrem Geschmack. Aber sie wagen nichts, riskieren nichts, opfern nichts, geben nichts auf um des Glaubens wil­len an Christi Wort.

Ein Beispiel: Der heilige Barnabas hatte ein Gut auf Cypern: er gab es hin für die Armen Christi. Hier sehen wir ein deutliches Opfer. Er tat etwas, was er nicht getan hätte, außer das Evangelium wäre wahr. Würde es sich herausstellen, daß das Evangelium eine Fabel sei (Gott bewahre, aber) gesetzt den Fall, es wäre so, dann hätte er, das ist klar, sehr ungeschickt gehandelt; er befände sich in einem großen Irrtum und hätte einen Verlust erlitten. Er würde einem Kaufmann gleichen, dessen Handelsschiffe in Trümmer gegangen sind oder den seine Geschäftsfreunde im Stich gelassen haben. Der Mensch vertraut dem Mitmenschen und verläßt sich auf den guten Ruf des anderen. Chri­sten hingegen riskieren nichts Großes auf das Wort ihres Heilandes hin; und gerade das ist es, was sie tun sollten. Christus selbst sagt uns: »Macht euch Freunde mittels des ungerechten Mammons, damit, wenn es mit euch zu Ende geht, sie euch in die ewigen Wohnungen aufnehmen.« (Lk 16, 9); das heißt, kauft euch einen Anteil in der kommenden Welt mit dem Reichtum, den die Welt hier so ungerecht vertut; speist die Hungrigen, kleidet die Nackten, tröstet die Kranken, und ihr wer­det einen »Beutel haben, der nicht veraltet, einen Schatz im Himmel, der nicht abnimmt« (Lk 12, 33). So sind also Almosen ein deutliches Wagnis und ein Erweis des Glaubens.

Ein anderes Beispiel: Es steht einer auf der Höhe seines Glückes in der Welt. Da gibt er seine Erwartung auf Reichtum oder Ansehen auf, um Christus näher zu sein, einen Platz in seinem Tempel zu gewin­nen, mehr Muße für Gebet und Lobpreis zu haben – dieser bringt ein Opfer.

Oder: Wer, von edlem Streben nach Vollkommenheit erfaßt, das Ver­langen nach weltlicher Bequemlichkeit abtut und gleich Daniel oder Paulus in vieler Arbeit und Mühe steht, und das mit einsamem Her­zen – auch dieser wagt etwas auf die Gewißheit der kommenden Welt hin.

Oder: Wer nach dem Fall in die Sünde durch Werk und Wort bereut, seinem Nacken ein Joch auferlegt, sich der Strafe unterwirft, hart ist gegen sein Fleisch, sich unschuldige Freuden versagt, sich öffentlicher Beschämung aussetzt – auch dieser beweist, daß sein Glaube das Inne­werden der zu erhoffenden Dinge ist, die Bürgschaft für das Un­sichtbare. Und wiederum: Wer sich wenigstens zum Gebet aufschwingt entgegen dem, nach welchem die Masse verlangt, und das umfängt, wovor das Herz von Natur aus zurückschreckt; wer, da Gottes Wille ihn mit zeit­lichem Übel zu bedrohen scheint, ihn zwar um Abwendung anfleht, aber es dennoch über sich bringt, von Herzen zu sprechen: »Dein Wille geschehe« – auch dieser ist nicht ohne sein Opfer. Wer bei Aussicht auf Reichtum ehrlich Gott bittet, er möge ihn nie reich werden lassen; wer Aussicht auf eine hohe Stellung hat und im Ernst bittet, daß er sie nie erlangen möge; wer Freunde oder Verwandte hat und sich aus gan­zem Herzen in die Trennung von ihnen ergibt, zu einer Zeit, da diese noch in Frage steht, und beten kann: »Nimm sie mir, wenn es Dein Wille ist; Dir übergebe ich sie, Dir vertraue ich sie an«, und bereit ist, beim Wort genommen zu werden – auch dieser setzt etwas ein und ist Gott wohlgefällig.

Ein solcher wird beim Wort genommen, während er vielleicht nicht versteht, was er sagt. Aber er wird Gott wohlgefällig, da er doch etwas gemeint hat und viel wagt. Edelmütige Herzen, wie Jakobus, Johannes, Petrus, ergehen sich oft zum voraus in großzügigen und zu­versichtlichen Worten bezüglich alles dessen, was sie für Christus tun wollen, und sind dabei nicht unlauter, jedoch unwissend; und zum Lohn für ihre Lauterkeit werden sie beim Wort genommen, obwohl sie erst noch erfahren müssen, wie ernst dieses Wort ist. »Sie sprachen zu ihm: Wir können es«, und ihr Gelöbnis wird im Himmel zur Kenntnis ge­nommen. Wir alle befinden uns bei vielen Gelegenheiten in der glei­chen Lage. Zuerst bei der Firmung; da geloben wir, was andere bei der Taufe für uns gelobten, ohne schon imstande zu sein, den Umfang des Gelöbnisses zu verstehen. Wir verlassen uns vielmehr darauf, daß Gott es schrittweise offenbaren und uns Kraft geben wird, wie der Tag es fordert. Wiederum versprechen die, welche die Weihen empfangen, sie wissen nicht, was; verpflichten sich, sie wissen nicht, wie ernst; tren­nen sich von den Wegen der Welt und wissen nicht, wie empfindlich. Sie entdecken vielleicht wohl, sie müßten sich die rechte Hand ab­schlagen, das Gelüste des Auges und die Regung des Herzens am Fuß des Kreuzes opfern, und zugleich denken sie in ihrer Einfalt, sie hätten sich das ruhige, leichte Leben erwählt von »stillen Männern, die in Zelten wohnen« (Gen 25, 27). Ebenso nötigen die Zeitumstände die Menschen auf verschiedene Art, zu bestimmten Anlässen um der Reli­gion willen diesen oder jenen Weg zu wählen. Sie wissen nicht, wohin es sie verschlägt. Sie sehen das Ende des Weges nicht ab; sie wissen nur, daß ihr jetziges Tun richtig ist; und sie vernehmen im Inneren ein Flüstern, das ihnen gleich den beiden Apostelbrüdern versichert, daß sie allen Folgen, die sich aus ihrem jetzigen Verhalten für die Zukunft ergeben, mit Gottes Gnade gewachsen sein werden. Die beiden begna­deten Apostel sagten: »Wir können es«; und wahrhaftig, sie wurden befähigt, zu tun und zu leiden, was sie sagten. Der heilige Jakobus er­hielt die Kraft, auszuhalten bis zum Tod, zum Martyrertod; in Jeru­salem tötete man ihn mit dem Schwert. Sein Bruder Johannes hatte noch mehr zu ertragen, da er als letzter der Apostel starb, während Jako­bus der erste war. Zuerst hatte er die Trennung von seinem Bruder, dann die von den übrigen Aposteln zu ertragen. Eine lange Reihe von Jahren hatte er Einsamkeit, Verbannung und Gebrechlichkeit zu er­leiden. Er hatte die Trübsal der Vereinsamung zu kosten, nachdem alle, die er liebte, abberufen waren. Er mußte ohne vertrauten Freund den eigenen Gedanken nachleben, da ja alle seine Gefährten einer jün­geren Generation angehörten. Von ihm wurde durch seinen gütigen Herrn als Pfand des Glaubens alles gefordert, was sein Auge liebte und woran sein Herz hing. Er glich einem, der sein Hab und Gut beim Umzug in ein fremdes Land in Abständen und in Teilen vor­ausschickt, bis endlich sein gegenwärtiger Wohnort beinahe aller Dinge beraubt ist. Er schickte seine Freunde auf die Reise voraus, in­des er zurückblieb, damit er im Himmel jemanden habe, der an ihn denke, nach ihm ausschaue und ihm, wenn der Herr ihn rufe, ent­gegenkomme. Er sandte voraus auch andere, noch viel mehr frei-gewollte Unterpfänder und Wagnisse seines Glaubens – den Wandel in Selbstverleugnung, den Eifer für die Erhaltung des Glaubens, Fa­sten und Gebet, Werke der Liebe, jungfräuliches Leben, Schläge durch die Heiden, Verfolgung und Verbannung. Ein so großer Heiliger kann am Ende des Lebens mit Recht sagen: »Komm, Herr Jesus!« (Offb 22, 20), wie einer, der müde ist von der Nacht und sich nach dem Morgen sehnt. Alle seine Gedanken, all sein Sinnen, seine Sehnsucht und Hoffnung, alles wurde für ihn in der unsichtbaren Welt hinter­legt; und als der Tod kam, brachte er ihm den Anblick alles dessen zu­rück, was er in den längst entschwundenen Jahren angebetet, was er geliebt hatte und womit er umgegangen war. Und nachdem er in die Gegenwart alles dessen, was er verloren hatte, zurückversetzt war, wie durfte die Erinnerung wieder aufblühen, welch teure Gedanken, die längst begraben schienen, durften wieder zum Leben erwachen! Wer kann es wagen, die Seligkeit all derer zu beschreiben, die sich wieder im sicheren Besitz aller ihrer Unterpfänder wissen und alle ihre Wag­nisse überreich und über die Maßen belohnt sehen! Wie bitter, daß wir, meine Brüder, nicht mehr von diesem hohen und überirdischen Geist besitzen! Wie kommt es, daß wir mit dem gegenwärtigen Zustand der Dinge so zufrieden sind; daß wir es so gern haben, in Ruhe gelassen zu werden und das Leben zu genießen; daß wir so viele Entschuldigungen haben, wenn einer uns von der Notwen­digkeit überzeugen will, zu Höherem aufzusteigen, von der Pflicht, unser Kreuz zu tragen, wenn wir die Krone unseres Herrn Jesus Chri­stus erlangen wollen?

Ich wiederhole: Welches sind unsere Wagnisse und Einsätze auf die Wahrheit seines Wortes hin? Denn ausdrücklich sagt er: »Und wer immer Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib und Kind oder Äcker um meines Namens willen verläßt, wird Hundertfältiges dafür erhalten und das ewige Leben besitzen. Viele aber, die die ersten sind, werden die letzten sein, und die letzten werden die ersten sein« (Mt 19,29. 30).

„The Ventures of Faith“ – dt. Übersetzung in: Deutsche Predigten Bd IV, 329 ff.