Der religiöse Glaube im Einklang mit der Vernunft

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15. Predigt vom 24. Mai 1829

„Er nahm nicht Anstoß aus Unglauben an der Verheißung Gottes, sondern war stark im Glau­ben und gab Gott die Ehre, da er vollkommen überzeugt war, daß Derselbe, was immer Er versprochen, auch zu tun vermöge“ (Röm 4,20-21).

Es gibt ernste Menschen, die gemeinhin den christlichen Glauben als ein Gefühl oder Prinzip beschreiben, in welches gewöhnliche Leute nicht eindringen können. Danach ist er etwas Seltsames und Sonderbares in seiner innersten Natur, ver­schieden in der Art von allem, was uns in den Dingen dieser Welt berührt und beeinflußt, und etwas, das keine Beleuchtung aus unserem Ver­halten im täglichen Leben zuläßt. Diese Menschen nehmen an, daß er als eine geistige Gabe und als himmlisch in seinem Ursprung völlig übermensch­lich ist, und daß es hieße, unwürdig von ihm zu denken, wollte man ihn mit irgend einem unserer natürlichen Prinzipien oder Gefühle vergleichen. So, verleiten sie andere, welche eine Entschuldigung für ihr eigenes unreligiöses Leben wünschen, dazu, vom christlichen Glauben als von etwas Über­spanntem und Unvernünftigem zu sprechen, wie wenn er nur eine bloße Einbildung oder ein Ge­fühl wäre, das einige haben und andere nicht und demgemäß nur von denjenigen gefühlt werden könnte und müßte, die auf diese bestimmte Weise veranlagt wären. Zunächst ist ganz wahr, daß der Gegenstand, auf den der Glaube unsere Gedanken festlegt, daß die Lehren der Schrift überaus wun­dervoll und von überschwenglicher Herrlichkeit sind, sonst unerhört und unerdacht. Ebenso wahr ist, daß keines Menschen Geist ohne den zuvor­kommenden und helfenden Einfluß der göttlichen Gnade in sich die Tugend des Glaubens formt. Jedoch ist es durchaus nicht wahr, daß der Glaube selbst, d. h. das Vertrauen, ein fremdartiges Leit­motiv unseres Handelns ist; und die Behauptung, er sei unvernünftig, ist sogar eine Torheit. Ich spreche hier von einem Glauben, wie dem im Vor­spruch erwähnten Glauben Abrahams, der ihn bewog, Gottes Wort selbst dann zu glauben, als es im Gegensatz zu seiner eigenen Erfahrung stand. Es soll nun mein Bemühen sein, das zu zeigen.

Hört man gewisse Menschen reden (ich meine Re­ligionsspötter), möchte man auf den Gedanken kommen, daß wir nie auf Treu und Glauben han­deln, außer in religiösen Dingen. In Wirklichkeit aber handeln wir in jeder Stunde unseres Lebens auf Treu und Glauben. Wenn man den Glauben ein religiöses Prinzip nennt, so gilt das nicht so sehr vom Akt des Glaubens, welcher der Religion eigen ist, sondern (ich wiederhole es) von seinem Inhalt. Wir wollen einige Beispiele anführen.

Es versteht sich von selbst, daß wir unserem Ge­dächtnis trauen. Wir sind jetzt nicht Zeuge dessen, was wir gestern sahen. Jedoch sind wir nicht dar­über im Zweifel, daß es so geschah, wie wir uns erinnern. Wir entsinnen uns deutlich der Um­stände des Morgens und Nachmittags. Unser Ver­trauen auf das Gedächtnis ist so stark, daß jemand den ganzen Tag sich mit uns abmühen könnte, ohne uns zu überzeugen, wir hätten den ganzen Tag geschlafen oder seien von einer langen Reise zurückgekehrt, wenn unser Gedächtnis es anders bezeugt. So groß ist das Vertrauen auf unser Gedächtnis. Doch was ist daran unver­nünftig?

Weiter, sogar wenn wir uns der Beweisführung bedienen und von etwas überzeugt sind auf Grund der Beweisführung, was heißt das anderes, als daß wir uns auf die allgemeine Richtigkeit unserer Urteilskraft verlassen? Von der Kenntnis einer Sache aus glauben wir, einer anderen sicher wer­den zu können, auch dann, wenn wir sie nicht sehen. Wer von uns möchte zweifeln, wenn er scharfe Schatten auf dem Boden sieht, daß die Sonne scheint, obwohl unser Antlitz zufällig in eine andere Richtung blickt? Das ist Glaube ohne Schau. Darin liegt aber nichts gegen die Vernunft, es sei denn, daß die Vernunft gegen sich selbst sein könnte.

Worauf ich euch aber besonders aufmerksam machen möchte, ist die Tatsache, daß wir uns so dauernd auf unser Gedächtnis oder unsere Ver­standeskräfte verlassen, obwohl sie uns oft täu­schen. Das ist beachtenswert, weil man manchmal sagt, wir könnten nicht sicher sein, daß unser reli­giöser Glaube nicht ein Irrtum sei. Ich sage, unser Gedächtnis und unsere Vernunft täuschen uns oft; jedoch niemand behauptet, daß es deshalb un­sinnig und unvernünftig ist, unser Vertrauen auf sie fortzusetzen. Der einfache Grund dafür ist, weil sie im großen ganzen wahre und zuverlässige Zeugen sind; denn nur bisweilen leiten sie uns irre. Somit ist es wahrscheinlich, daß sie richtig sind in diesem oder jenem Fall, der gerade vor uns liegt. Ein weiterer Grund ist der, daß wir in allen praktischen Dingen Gewicht legen müssen nicht auf das, was vielleicht möglich, sondern wahrscheinlich ist. In den Fragen des täglichen Lebens haben wir für ausgesuchte und wunder­liche Vorstellungen über die unbedeutende Mög­lichkeit einer etwaigen Täuschung keine Zeit. Wir müssen ohne Zögern handeln oder wir würden aufhören zu leben. Es besteht die Möglichkeit (es kann nicht geleugnet werden), daß unsere Nahrung heute vergiftet sein kann – wir können darüber keine volle Sicherheit haben -, aber sie sieht aus wie sonst und schmeckt wie sonst und gute Freunde umgeben uns. Wiewohl diese Möglichkeit wirklich besteht, verschmähen wir sie nicht. Diese Notwen­digkeit, sofort zu handeln, ist unser Glück in den weltlichen Geschäften. Wo es sich jedoch um das zukünftige Leben handelt, haben wir leider Zeit, fleischliche und ruhelose Gedanken anzustellen über Möglichkeiten. Und darin besteht unsere Prüfung; und es wird unsere Verdammung be­deuten, wenn wir einerseits die Unsinnigkeit solcher müßigen Einbildungen über Möglichkeiten in Dingen dieses Lebens erfahren haben, anderer­seits ihnen dennoch nachgeben hinsichtlich des künftigen. Behauptet man, daß wir manchmal un­serer Urteilskraft tatsächlich mißtrauen, wenn sie uns z. B. zu einer unerwarteten Folgerung führt, oder auch unserem Gedächtnis, wenn das Gedächt­nis eines anderen ihm widerspricht, so zeigt das nur, daß es Dinge gibt, die zu glauben Schwäche oder Übereilung bedeutete; alles das ist ganz wahr. Ohne Zweifel gibt es einen Fehler der Leichtgläubigkeit, d. h. zu schnell und zu viel zu glauben (auf dem Gebiet der Religion nennen wir das Aberglauben). Das beweist aber weder, daß alles Vertrauen unvernünftig ist, noch anderer­seits, daß das Vertrauen notwendig unvernünftig ist, wenn es nur auf Wahrscheinlichkeit beruht und daher ohne tatsächliche Ungereimtheit geleugnet werden kann. Wenn wir in der Tat an die Prü­fung der Frage herangehen, dann zeigt es sich, daß wir, genau gesprochen, wenig mehr wissen, als daß wir existieren und es eine unsichtbare Macht gibt, der wir zu gehorchen verpflichtet sind. In allem Weiteren bedarf es des Vertrauens; zu­erst auf unsere Sinne, unser Gedächtnis und die Urteilskraft und dann auf andere Autoritäten. Auf diese Weise beruht tatsächlich beinahe alles, was wir in unserem täglichen Leben tun, auf Ver­trauen, d. h. auf Glauben.

Man kann aber einwenden, daß das Vertrauen auf diese Boten, nämlich auf unsere Sinne und der­gleichen nicht das ist, was man gewöhnlich unter Glaube versteht; – daß das Vertrauen auf unsere Sinne und auf die Vernunft tatsächlich nichts mehr ist als das Vertrauen auf uns selbst; – und ob­wohl diese uns manchmal irre führen, sind sie dennoch so beständig um uns und so zu unserer Verfügung, daß wir sie zu gegenseitiger Berichti­gung gebrauchen können. Auf diese Weise ge­winnen wir im großen ganzen aus ihnen die Wahr­heit der Dinge, die für unser Handeln völlig hin­reichend ist. Außerdem sagt man, daß hingegen das Vertrauen auf einen anderen etwas davon ganz Verschiedenes ist und daß Glaube nach dem Wortsinn der Heiligen Schrift Vertrauen auf einen anderen heißt. Daher sei seine Vernünftigkeit nicht durch die vorangehenden Erklärungen erwiesen. Wir wollen also das Wort Glaube in dem Sinn von „Vertrauen auf die Worte eines anderen“ verstehen, im Gegensatz zum Vertrauen auf sich selbst. Das ist, ich gestehe es zu, die gewöhnliche Bedeutung des Wortes, insofern wir es dem Schauen und Denken gegenüberstellen. Was ich eben gesagt habe, ist aber doch nützlich, um jene Menschen, die auf dem Gebiet der Religion auf Beweisführung versessen sind, daran zu erinnern, daß es auch Schwierigkeiten in der Sinnes- und Vernunfterkenntnis gibt. Aber ich will meinen Gedanken weiterführen. Es ist leicht zu zeigen, daß Glaube kein unvernünftiges oder fremdartiges Prinzip in den Belangen dieses Lebens ist, sogar wenn wir unter Glauben das Vertrauen auf einen anderen verstehen.

Erwägen wir die Frage aufmerksam. Wie wenige Dinge gibt es, über die wir durch unsere eigenen Sinne und unsere Vernunft Gewißheit erlangen können! Wie viel wissen wir schließlich ohne das Vertrauen auf andere? Wir wissen, daß wir uns in einem bestimmten Gesundheitszustand befinden, an einem bestimmten Ort weilen, eine bestimmte Anzahl von Jahren gelebt haben, bestimmte Grundsätze und Neigungen haben, bestimmte Personen um uns haben, und vielleicht in unserem Leben zu gewissen fernen Orten gereist sind. Aber was wissen wir mehr? Gibt es nicht Städte (wir wollen sagen) im Umkreis von fünfzig und sechzig Meilen von uns, die wir nie gesehen haben und die, wie wir glauben, nichtsdestoweniger völlig der Beschreibung entsprechen, die wir über sie ge­hört haben? Dehnen wir unser Blickfeld aus; – wir wissen, daß von uns aus gesehen nach jeder Richtung hin bis zu einer bestimmten Anzahl von Meilen sich Land erstreckt und dann überall Meer ist; daß wir also auf einer Insel sind. Wer aber hat das ganze Land ringsum gesehen und sich selbst davon überzeugt, daß es tatsächlich so ist? Was überzeugt uns denn davon? Die Aussage an­derer, – dieses Vertrauen, diesen Glauben an das Zeugnis möchte der stolze und sündige Mensch dann und nur dann, wenn Religion in Frage steht, unvernünftig nennen.

Was ich als Beispiel für eine Tatsachenreihe, die wir glauben, angeführt habe, gilt in gleicher Weise auch von zahllosen anderen, von beinahe allen jenen, die wir zu wissen glauben.

Bedenkt, wie Menschen in Geschäften des täg­lichen Lebens, ja, wie wir alle, vertrauen und ver­trauen müssen auf Leute, die wir nie sahen oder nur flüchtig kennen. Ja, wir vertrauen auf ihre Handschrift, die möglicherweise gefälscht sein kann, wenn wir daran gehen, auszudenken und uns vorzustellen, was sein könnte. Wir handeln hier stillschweigend auf Treu und Glauben, weil der gesunde Menschenverstand uns sagt, daß mit gehöriger Vorsicht und Klugheit Vertrauen auf andere vollkommen sicher und vernünftig ist. Die Schrift also gebietet uns, hinsichtlich eines zukünf­tigen Lebens nur so zu handeln, wie wir täglich handeln im gegenwärtigen. Oder ferner, welche Gewißheit haben wir alle (wenn wir an die Frage denken), daß wir früher oder später sterben müs­sen. Keiner glaubt im Ernst, er könne dem Tod entfliehen. Die Menschen verfügen daher über ihr Eigentum und bringen ihre Angelegenheiten in Ordnung, mit dem ruhigen Blick, zwar nicht auf die genaue Zeit ihres Todes, jedoch auf die Tat­sache, daß der Tod früher oder später über sie kommen wird. Das ist ganz natürlich. Es wäre sehr unvernünftig von ihnen, ihn nicht zu erwarten. Beachtet jedoch, welchen Beweis hat irgend einer von uns dafür, daß er sterben wird? Ist es, weil andere Menschen sterben? Wie weiß er das? Hat er sie sterben sehen? Er kann nichts von dem wissen, was vor seiner Geburt geschah noch was in anderen Ländern geschieht. Wie wenig weiß er darüber überhaupt, ausgenommen, daß es eine überkommene Tatsache ist und ausgenommen, daß es wahrhaftig müßig wäre zu bezweifeln, was die Menschheit als Ganzes bezeugt, obwohl der ein­zelne nur seinen begrenzten Anteil am allgemeinen Zeugnis hat! Weiter glauben wir beständig an Dinge, sogar gegen unser eigenes Urteil, d. h. dann, wenn wir meinen, unsere Gewährsleute wüßten wahrscheinlich mehr über den in Betracht kommenden Punkt als wir selbst. Und das ist ge­rade der Fall in der Frage des religiösen Glau­bens. Auf diese Weise gewinnen wir aus dem Ver­laß auf andere alle möglichen Erkenntnisse und gehen alsdann daran, zu überlegen, zu urteilen, zu entscheiden, zu handeln und Pläne zu machen für die Zukunft. Bei all diesen Vorgängen bildet (wenn ich so sagen darf) Vertrauen den Untergrund. Die Welt nennt das (und mit Recht) Klugheit; dagegen nicht zu vertrauen und nicht auf Vertrauen hin handeln, Unklugheit oder (vielleicht) halsstarrige Torheit oder Irrsinn.

Aber es ist nutzlos, die Sache weiter zu verfolgen. Die Welt könnte nicht bestehen ohne Vertrauen. Das Betrüblichste, das einem Staat zustoßen kann, ist (wie wir wissen) der um sich greifende Mangel an Vertrauen von Mensch zu Mensch. Mißtrauen, Mangel an Glauben, zerreißt die wesentlichen Bande der menschlichen Gesellschaft. Sollen wir es nur dann für vernünftig halten, wenn ein Un­wissender seinem Nebenmenschen glaubt, ja, so­gar dem Urteil eines anderen sich beugt, das er für besser ansieht als das eigene, und es dennoch für unvernünftig halten, wenn man wie Abraham dem Wort Gottes das Ohr leiht und die Ver­heißung Gottes über seine eigene kurzsichtige Er­wartung stellt? Es ist wahr, Abraham hoffte gegen alles Hoffen, er hoffte auf Grund einer göttlichen Verheißung, die über jede natürliche Hoffnung hinausging. Er hatte in der Vorstellung gelebt, daß er nie einen Sohn haben würde, und doch verhieß ihm Gott einen Sohn. Könnte er also sich nicht mit Recht in Worten begründeten Tadels an jene selbstweisen Menschen wenden, die es unter­lassen, in den Spuren seines Glaubens zu wandeln? „Wenn wir der Menschen Zeugnis annehmen“ (könnte er wohl mit dem Apostel vorbringen), „so ist das Zeugnis Gottes größer“ (1 Joh 5, 9). Des­halb „nahm er nicht Anstoß aus Unglauben an der Verheißung Gottes, sondern war stark im Glauben und gab Gott die Ehre, da er vollkom­men überzeugt war, daß Derselbe, was immer Er verheißen hat, auch zu tun vermöge“.

Man könnte wohl einwerfen, „es ist wahr, wenn wir mit Sicherheit wüßten, daß Gott zu uns ge­sprochen hätte wie zu Abraham, dann wäre es allerdings ein Irrsinn von uns, nicht an Ihn zu glauben; aber es ist nicht Seine Stimme, die wir hören, sondern eines Menschen Wort in Seinem Namen. Die Kirche lehrt uns, daß Gott Seinen Willen dem Menschen geoffenbart hat, und die Diener der Kirche weisen auf ein Buch hin, wel­ches, sagen sie, heilig sei und Gottes Wort enthalte. Wie können wir wissen, ob sie die Wahrheit sagen oder nicht? Ist der Glaube daran vernunft­gemäß oder gegen die Vernunft?“

Dieser Einwurf führt uns zu einer umfangreichen und gewichtigen Frage, obwohl ich nicht annehme, daß sie, allgemein gesprochen, eine sehr praktische ist, nämlich zur Frage, welches unsere Gründe sind für unseren Glauben, daß die Bibel von Gott kommt? Wenn einer danach in spöttischer Weise fragt, so verdient er keine Antwort; denn er ist ein Lästerer und setzt sich dem Fluch aus, den der heilige Paulus über die Hasser des Herrn Jesus aussprach. Wenn dagegen einer aufrichtig sucht, mit dem Wunsch, die Wahrheit zu finden, Gott in Demut dienend, jedoch unsicher ist, da er die Taten der Spötter und der dreisten Lästerer kennt und Zeuge davon ist, ihre eitlen Gedanken hört und nicht weiß was er von ihnen denken und sagen soll, so soll er die folgenden Ausführungen erwägen, mit denen ich schließe.

Es könnten solche ehrfurchtslose Menschen über ihre Glaubensbereitschaft vieles vorbringen, falls sie dafür eine Begründung zu finden vermöchten. Es mag durchaus sein, sie lassen sich zu dem Zu­geständnis herbei, daß wir täglich Dinge auf Treu und Glauben hinnehmen, und daß das Handeln auf Grund des Glaubens in sich ein ganz vernünf­tiges Verfahren ist. Auch könnten sie vorschützen, sie zankten nicht über die Forderung zu glauben, sondern sie bezeichneten es nur als eine Härte, daß ihnen kein besserer Beweis geboten sei für den Glauben daran, was sie unzweifelhaft glauben müssen, nämlich die göttliche Autorität der Bibel. Trotz all dieser Beteuerungen könnt ihr euch dar­auf verlassen, daß sie (in sehr vielen Fällen) tatsächlich über die Forderung zu glauben murren, da sie es tatsächlich widerlich finden, ohne Ein­sicht zum Handeln verpflichtet zu sein, daß sie so tatsächlich das Selbstvertrauen dem Gottvertrauen vorziehen, obwohl es ihnen doch klar bewiesen werden könnte, daß Gott wirklich zu ihnen sprach. Würden sie Gott sehen, würde Er sich ihnen zei­gen, wie Er am Jüngsten Tag erscheinen wird, dann würden sie sich dennoch auf ihr eigenes elendes und nichtswürdiges Ich verlassen und praktisch die Autorität Gottes ablehnen. Ihr Be­nehmen zeigt das. Warum anders verspotten sie so häufig religiöse Menschen als ängstlich und eng­herzig, nur weil sie fürchten zu sündigen? Weshalb verlachen sie solche Gewissenhafte, die nicht fluchen noch unanständige Scherze machen oder liederlich leben wollen? Es ist unzweideutig, daß sie deren Glauben selbst verlachen, nicht weil sie auf falsche Gründe hin glauben, sondern weil sie überhaupt glauben. Hier verraten sie, was sie im Innersten beherrscht. Sie hassen jede religiöse Bindung, sie hassen Abhängigkeit. Auf einen an­deren zu vertrauen, und gar ohne Vorbehalt auf ihn vertrauen, heißt sich als unterlegen aner­kennen. Das aber kann die stolze menschliche Natur nicht ertragen. Ein solcher ist geneigt, es für unmännlich zu halten und darüber sich zu schämen. Er verheißt sich Freiheit, wenn er die Kette zerbricht (so wie er es ansieht), die ihn an seinen Schöpfer und Erlöser bindet. Ihr werdet sagen, warum trauen dann solche Menschen ein­ander, wenn sie so stolz sind? Ich erwidere euch, daß sie es nicht umgehen können. Ferner, während sie Vertrauen schenken, vertraut man ihnen eben­falls und dieses bringt sie in eine Art Gleichheit mit anderen. Es ist wahr, wenn diese gegenseitige Abhängigkeit nicht vorhanden ist, können sie es nicht ertragen verpflichtet zu sein, auf einen an­deren zu vertrauen, d. h. von ihm abhängig zu sein. Aus diesem Grund verursachen solche Men­schen gern Aufruhr und Empörung in nationalen Dingen. Sie machen sich ein gewissen Bild von Freiheit in ihren Köpfen zurecht, eine Freiheit von den Fesseln der Abhängigkeit, welche sie für ihr natürliches Recht halten und für sich zu gewinnen suchen. Dies ist eine Freiheit, die sehr ähnlich ist jener, nach welcher der Satan bei seiner Aufleh­nung gegen Gott strebte. So laßt diese Menschen bekennen, was sie wollen, über die Tatsache, daß sie nicht den Glauben tadeln um seiner selbst willen. Die Wahrheit ist, sie verabscheuen ihn. Daher ist es gar sehr zweckdienlich, unseren Geist an die Wahrheiten zu gewöhnen, auf die ich sol­chen Nachdruck gelegt habe, daß fast all unser Tun auf das bloße Vertrauen in andere gegründet ist. Wir sind von unserer Geburt an abhängige Geschöpfe, völlig abhängig; – unmittelbar ab­hängig von den Menschen. Diese sichtbare Ab­hängigkeit erinnert uns wirksam an unsere wahrere und vollere Abhängigkeit von Gott.

Weiter möchte ich bemerken, daß diese ungläu­bigen Menschen, die sich in abfälligen Worten gegen die Schrift ergehen, sich aus ihrem eigenen Mund verurteilen; – das kommt so. Es ist ein Irrtum anzunehmen, daß unser Gehorsam gegen Gottes Willen lediglich auf dem Glauben an das Wort jener gegründet ist, die uns sagen, die Schrift komme von Gott. Wir gehorchen Gott in erster Linie, weil wir wirklich Seine Gegenwart fühlen in unserem Gewissen, das uns gebietet, Ihm zu gehorchen. Diese Tatsache, möchte ich sagen, schlägt die Gegner auf ihrem eigenen Feld. Der eigentliche Grund ihres Unglaubens ist der Umstand, daß sie ihrem eigenen Blick und Ver­stand, weil es ihre eigenen sind, mehr als den Worten der Diener Gottes vertrauen. Nun laßt mich fragen, wenn sie ihren Sinnen und ihrer Ver­nunft trauen, warum trauen sie nicht auch ihrem Gewissen? Ist es denn nicht ihr eigenes Ge­wissen? Ihr Gewissen ist ebenso ein Teil ihrer selbst wie die Vernunft. Der allmächtige Gott hat es in sie hineingelegt, um dem Einfluß der Sinne und der Vernunft das Gleichgewicht zu halten. Und dennoch wollen sie nicht darauf acht haben, aus dem einfachen Grund – sie lieben die Sünde -, sie lieben es, ihr eigener Herr zu sein und daher wollen sie nicht merken auf jenes leise Flüstern in ihrem Herzen, das ihnen bedeutet, sie seien nicht ihre eigenen Herren und Sünde sei etwas Hassenswertes und Verderbliches.

Nichts beweist das klarer als ihr Benehmen, wenn ihr je einmal zugunsten eurer Ansicht in irgend einer Frage an ihr Gewissen appelliert. Ange­nommen, sie bedienten sich einer würdelosen Sprache, sie murrten oder spotteten über Religion und angenommen, jemand sagte ihnen, „ihr wißt in eurem Herzen, daß ihr das nicht tun sollet“, wie werden sie antworten? Sie geraten sofort in Zorn; oder sie versuchen das Gesagte ins Lächer­liche zu ziehen. Sie werden alles tun, nur nicht eine vernünftige Antwort geben. Ja, ihre prahle­rische Beweisführung läßt sie im Stich. Diese flieht wie ein Feigling vor der schwachen Regung des Gewissens, und ihre Leidenschaften sind die ein­zigen Kämpfer, die ihnen zu ihrer Verteidigung bleiben. Sie sagen durch ihre Tat, „wir handeln so, weil es uns so gefällt“; vielleicht gestehen sie das auch in vielen Worten. „Er nährte sich von Asche; ein betörtes Herz hat ihn verführt. Er kann sein Leben nicht retten und sagt sich nicht: ist nicht Lüge in meiner rechten Hand?“ (Jes 44, 20). Sind das nun die Menschen, auf die ein Christ auch nur im geringsten sich verlassen kann? Sicher wäre Glaube an sie von allen denkbaren Arten des Vertrauens die unvernünftigste, die unange­brachteste. Sollen wir verwirrt und erschreckt sein bei den Worten solcher, welche die Merkmale ihrer Zwiespältigkeit an sich tragen, das Mal Kains? Sicher nicht; und wie jenes erste Mal dem Rebellen aufgedrückt wurde, „damit nicht jeder, der ihn fände, ihn töte“ (Gn 4,14), in gleicher Weise erinnert uns damit schon ihre Gegenwart, mit Liebe auf sie zu schauen, wiewohl mit großer Betrübnis, und eifrig zu beten und unser Äußerstes zu tun (wenn etwas getan werden kann), daß sie vom zweiten Tod verschont werden mögen; – auf sie mit Schaudern zu blicken, wie auf ein von Gott verfluchtes Land, die Ebene von Siddim oder die Ruinen von Babel, welche Er aber immer noch um unseres Erlösers willen erneuern und fruchtbar machen kann.

Was uns selbst angeht, so laßt uns Gottes Stimme in unseren Herzen gehorchen, und ich will die Behauptung wagen, daß wir keine im Ernst zu fürchtenden Zweifel an der Wahrheit der Schrift hegen werden. Zeigt mir den Menschen, der ge­wissenhaft dem Gesetz in seinem Innern gehorcht und doch an die Bibel nicht glaubt, dann ist noch Zeit genug, um alle jene verschiedenen Beweise zu betrachten, durch die uns die Wahrheit der Bibel gesichert wird. Das ist für uns keine Unter­suchung von praktischer Bedeutung. Es wird sich erweisen, daß unsere Zweifel, wenn wir solche haben, erst nach dem Ungehorsam auftauchen. Schlechte Gesellschaft und verderbte Bücher sind es, die zum Unglauben führen. Die Sünde ist es, welche den Heiligen Geist auslöscht. Wenn wir nur Gott gewissenhaft gehorchen, wird mit der Zeit der Glaube (dank Seines Segens) wie Schau werden; das Gottgefällige herauszufinden, wird uns keine größere Schwierigkeit machen, als unsere Glieder zu bewegen oder die Unterhaltung mit unseren vertrauten Freunden zu verstehen. Das ist der Segen eines gefestigten Gehorsams. Laßt uns dieses Ziel erstreben und im Maße, wie wir uns jetzt an ihm erfreuen, Gott preisen und benedeien für Seine unaussprechliche Gabe.

John Henry Newman, Deutsche Predigten (vol 1, 15), Schwabenverlag Stuttgart 1948, pp. 213-227).