Der Mai als Monat der Verheißungen

Veröffentlicht in: Gebete u. Meditationen | 0

Warum ist gerade der Monat Mai in ganz besonderer Weiser der Verehrung der allerseligsten Jungfrau gewid­met? Weil nach langem Eis und Schnee, nach der drückenden Witterung des Winters, nach den Frühlingsstürmen und Regenschauern die Erde im Monat Mai sich mit neuem Grün und frischem Blätterschmuck bekränzt; weil überall in Feld und Garten, auf Bäumen und an Fenstern die Blumen erstehen, die Tage länger werden und den Sonnenschein uns immer länger öffnen. Dieser stumme Jubel der Natur ist der natürliche Aus­druck unserer Verehrung für diejenige, die da genannt wird „mystische Rose“, „goldenes Haus“.

Vielleicht wendet jemand dagegen ein, in unseren Breitengraden sei der Mai oft genug rauh und kalt; aber das beweist nichts dagegen, daß dieser Monat der Monat der Hoffnungen und Verheißungen ist. Mag das Wetter noch so trübe sein, so verheißt der Monat doch den Sommer, ja er ist sein Herold und öffnet ihm die Bahn. Mag der Himmel mit düsteren Wolken und kal­tem Nebel noch so verhangen sein, wir wissen, daß früher oder später doch die Sonne durchbrechen und helles Licht die Natur und unsere Seelen erleuchten wird. Sagt doch der Prophet: „Der Glanz der Schönheit wird einst aufsteigen und uns nicht täuschen; wenn er zögert, dann nur Geduld! Denn er wird sicher kom­men und unsere Hoffnung nicht zuschanden werden lassen.“

Wenn also der Mai nicht die Zeit der Erfüllung ist, so ist er doch der Monat der Verheißungen (und die Verheißung ist, wie nun einmal das Leben sich gestal­tet, immer näher als die Erfüllung, und unser Erwarten immer beseligender denn das Erreichen). Als die Fülle der Erwartung müssen wir aber gerade die allerseligste Jungfrau Maria betrachten; darum ist der Monat Mai ihr in besonderer Weise geweiht. Der Prophet sagt: „Ein Reis wird hervorgehen aus der Wurzel Jesse, und eine Blume aus der Pflanze sich erheben.“ Das Reis, die Blume, ist unser gebenedeiter Herr selber; der Wur­zelstock aber und die schöne Pflanze, aus der die Blume hervorbricht, ist Maria, die Mutter des Herrn und auch unsere Mutter.

Es war prophezeit, daß Gott auf der Erde erscheinen werde, und die Erfüllung wurde angekündigt mit den Worten des Engels: „Gegrüßet seist Du, voll der Gnade! Der Herr ist mit Dir, und Du bist gebenedeit unter den Weibern.“ Die Jungfrau selbst ist also die sichere Ver­heißung des kommenden Erlösers, und der Monat der Verheißungen, des Sprießens und Sprossens in der Na­tur sowie der freudigen Erwartung in den Menschen­seelen muß darum ihr geweiht sein.

Ein weiterer Grund, warum dieser Monat der aller-seligsten Jungfrau geweiht wurde, ist der, daß der freudigste und an feierliehen Festen reichste Teil des Kirchenjahres in diesen Monat fällt. Wer möchte wün­schen, daß der Februar, März oder April, die Zeit des Fastens und der Buße, oder der Dezember, die Zeit des Adventes – zwar der Hoffnung, aber auch der Einkehr und Reue – als Marienmonat erwählt worden wäre? Weihnachten selbst dauert keinen Monat, und obwohl der Januar das Hochfest der Epiphanie mit den fol­genden Sonntagen bringt, so ist die Zeit durch das frühe Eintreten der Vorfasten (Septuagesima) doch meist recht kurz bemessen.

Der Mai aber gehört zur Osterzeit, die 50 Tage währt, und so umfaßt dieser Monat gewöhnlich ganz oder doch sicher die erste Hälfte dieser Gnadenzeit. Die Hoch­feste der Himmelfahrt und der Geistsendung haben fast immer, mit ein oder zwei Ausnahmen in 40 Jahren, ihren Platz im Maimonat und ebenso die Feste der Heiligsten Dreifaltigkeit und des Allerheiligsten Sakra­mentes. Darum wird im Monat Mai so oft das Halleluja gesungen, daß man ihn die Zeit der Hallelujas nennen könnte, weil der Herr aus dem Grabe hervor­gegangen und zum Himmel aufgestiegen ist, um uns an Seiner Stelle den Heiligen Geist zu senden.

Das ist also einer der Gründe, warum der Mai auf die besondere Verehrung der allerseligsten Jungfrau abgestimmt und ihr geweiht ist. Sie ist die erste der Krea­turen, das schönste und liebste aller Gotteskinder und am nächsten dem göttlichen Throne. Der Monat muß darum mit Fug und Recht ihr gehören, da wir die großen Feste der Erbarmung Gottes, unserer Erlösung und Heiligung in den drei göttlichen Personen feiern. Aber Maria ist nicht nur die treue Dienerin ihres Herrn, sondern auch die Mutter ihres Sohnes und die Königin aller Heiligen. Die Kirche hat darum in ihrem Monat einige Feste der größten Heiligen wie ein könig­liches Gefolge festgesetzt: Das Fest des Heiligen Kreu­zes, an dem wir das kostbare Blut, das am Kreuze für uns geflossen ist, verehren; das Fest der Kreuzauf­findung am 3. Mai; ferner das Fest des hl. Michael und dreier Apostel, des Lieblingsjüngers Johannes, des hl. Philipp und des hl. Jakobus; sieben Päpste, insbeson­dere Gregor VII., Pius V. und zwei der größten Kir­chenlehrer, Athanasius und Gregor von Nazianz; ferner zwei von Gott besonders begnadete Jungfrauen, die hl. Katharina von Siena, deren Fest in England im Mai gefeiert wird, und Magdalena von Pazzi; ferner eine heilige Frau, deren Name in der Geschichte der Kirche alle anderen überstrahlt, die hl. Monika, die Mutter des hl. Augustinus; und schließlich auch, besonders für das Oratorium (dem Newman angehörte) das Fest unseres hl. Vaters Philipp Neri, das mit seiner Novene und Oktav den halben Monat Mai erfüllt. Das sind einige der herrlichsten Früchte der göttlichen Gnade, einige der erhabensten Gestalten, welche die Kirche in ihrer charakteristischen Eigenart zum Hofstaat ihrer Königin bestellt hat.

aus: John Henry Newman, Der Maimonat. Betrachtungen über die Lauretanische Litanei und andere Gebete, Greven Verlag Köln, pp 13-16.