Christus, ein belebender Geist

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Predigt am Fest der Auferstehung unseres Herrn, 3. April 1831

„Warum suchet ihr den Lebendigen unter den To­ten? Er ist nicht hier, sondern auferstanden“ (Lk 24, 5. 6).

Das ist die triumphierende Frage, mit der die heiligen Engel die Betrübnis der Frauen am Mor­gen der Auferstehung Christi verscheuchen. „O ihr Kleingläubigen“, die ihr weniger glaubt als liebt, mehr pflichtgetreu als verständig seid, warum kommt ihr, Seinen Leib am dritten Tag zu salben? Warum suchet ihr den lebendigen Heiland im Grab? Die Leidenszeit ist abgelaufen; der Sieg ist gekommen gemäß Seinem Wort, und ihr erinnert euch nicht daran, „Er ist nicht hier, sondern auf­erstanden! „

Das waren Taten und Worte, geschehen und ge­sprochen vor 1800 Jahren; so lange ist dies schon her, daß sie dem Bewußtsein der Welt so fern sind, als ob sie nie gewesen wären; doch sie gelten bis auf den heutigen Tag. Christus ist für uns heute gerade das, was Er in all Seinen herrlichen Vollkommenheiten am Auferstehungsmorgen war; und wir sind beglückt, es zu wissen, sogar mehr als die Frauen, die der Engel anredete, gemäß Seiner eigenen Zusicherung: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29).

An diesem höchsten der Festtage will ich versuchen, einen aus den vielen tröstlichen Betrachtungsgegen­ständen vorzulegen, die er anregt.

1. Zuerst beachtet, wie Christi Auferstehung mit der Geschichte Seiner Geburt in Einklang steht. David hatte vorausgesagt, daß Seine „Seele nicht in der Unterwelt“ (d. h. in einem unsichtbaren Zu­stand) gelassen werden, noch „der Heilige Gottes die Verwesung schauen“ sollte (Ps 15,10). Auf diese Weissagung nimmt der heilige Petrus Bezug in den Worten: Es „war unmöglich, daß Er vom Tod festgehalten werden konnte“ (Apg 2, 24); als ob eine gewisse verborgene, inwendige Kraft in Ihm wäre, die Seine Menschheit vor Auflösung be­wahrte. Die schmerzlichste und gewalttätigste Züch­tigung konnte Seine Kraft nur eine Zeitlang zu­nichte machen; aber nichts konnte sie zum Zerfall bringen. „Du wirst Deinen Heiligen nicht schauen lassen die Verwesung“; so sagt die Schrift und an­derswo nennt sie Ihn „den Heiligen Knecht Jesus“ (Apg 4, 27). Diese Ausdrücke erinnern uns an die Verkündigung Seiner Geburt durch den Engel, in der Seine unverwesliche und unsterbliche Natur miteinbegriffen ist. „Dieses Heilige“ (Lk 1, 35), das aus Maria geboren wurde, war nicht der „Sohn“ eines Menschen, sondern „Gottes“. Alle anderen sind in Sünde geboren „nach Adams Gleichnis, nach seinem Bild“ (Gn 5,3), und geboren in Sünde sind sie Erben der Verwesung. „Durch einen Menschen trat die Sünde in die Welt ein und der Tod“ und alle seine Folgen „durch die Sünde“ (Röm 5,12). Kein menschliches Wesen kommt ins Dasein, ohne daß Gott die Spuren der Sünde erkennt, die seine Geburt begleiten. Als aber das Wort des Lebens in unserem Fleisch sich offenbarte, gebrauchte der Heilige Geist jene Schöpferhand, durch die im An­fang Eva gebildet wurde, und das Heilige Kind, so empfangen durch die Macht des Höchsten, war (wie die Geschichte zeigt) unsterblich selbst in Seiner sterblichen Natur, frei von aller Ansteckung der verbotenen Frucht, so daß sie sündelos und unver­weslich war. Obgleich dem Tod unterworfen, „war es doch unmöglich, daß Er vom Tod festgehalten werden konnte“. Der Tod konnte sie überwältigen, aber er konnte sie nicht im Besitz behalten; „er hatte keine Macht über Ihn“ (Röm 6, 9). Er war nach den Worten des Vorspruches „der Lebendige unter den Toten“.

Daher kann man sagen, daß die Auferstehung von den Toten Seinen göttlichen Ursprung erwiesen hat. Er wurde „erklärt als der Sohn Gottes in Kraft, ge­mäß dem Geist der Heiligkeit“, d. h. Seiner wesen­haften Gottheit, „durch die Auferstehung von den Toten“ (Röm 1, 4). Er war als ein Gotteslästerer von den jüdischen Vorstehern verurteilt worden, „weil Er Sich zum Sohne Gottes machte“ (Joh 19, 7). Er wurde dem Tod am Kreuze überliefert nicht nur zur Strafe, sondern zur praktischen Widerlegung Seines Anspruches. Er wurde aus diesem Grund von Seinen Feinden herausgefordert: „Wenn Du der Sohn Gottes bist, so steige herab vom Kreuz“ (Mt 27,42). So war Seine Kreuzigung gleichsam ein Versuch, eine neue Probe von Seiten Satans, der Ihn vorher versucht hatte, ob Er wie andere Men­schen sei oder der Sohn Gottes. Beachtet den Aus­gang. Er war gehorsam bis zum Tod und erfüllte das Gesetz jener enterbten Natur, die Er ange­nommen hatte. Er wollte dadurch, daß Er Sich ihm unterwarf, für unsere Sünden sühnen. Soweit ließ es Gott „in Seinem vorherbestimmten Ratschluß und in Seinem Vorherwissen“ geschehen (vgl. Eph 1,11J; aber hier endete der Triumph Seiner Feinde, um diesen Ausdruck zu gebrauchen – endete mit dem, was zu unserer Erlösung notwendig war. Er rief aus: „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30), denn Er war auf der Stufe der tiefsten Erniedrigung an­gelangt, als Er Seinen Geist aushauchte. Unmittel­bar darauf verkünden gewisse erste Zeichen, daß der wirkliche Sieg auf Seiner Seite war; zuerst das Erdbeben und andere Wunder am Himmel und auf Erden. Schon diese waren nach dem Urteil des heidnischen Hauptmannes hinreichend, Seinen An­spruch zu rechtfertigen; denn er sagte sogleich: „Wahrlich, dieser war Gottessohn“ (Mk 15,39). Dann folgte Sein Abstieg zur Unterwelt und Sein Triumph in der unsichtbaren Welt, wie dieser auch gewesen sein mag. Endlich schloß sich am dritten Morgen jene herrliche Machttat an, deren Gedächt­nis wir jetzt begehen. Der Tote erhob sich. Das Grab konnte Den nicht festhalten, der „das Leben in Sich Selbst hatte“ (Joh 5, 26). Er erstand gleich einem Manne, der am Morgen erwacht, wenn der Schlaf wie eine Selbstverständlichkeit ihn flieht. Die Verwesung hatte keine Macht über jenen heiligen Leib, die Frucht einer wunderbaren Empfängnis. Die Bande des Todes wurden wie „neue Stricke“ (Richt 16, 11) zerbrochen und sie bezeugten durch ihre Schwäche, daß Er der Sohn Gottes war. Das ist der Zusammenhang zwischen Christi Ge­burt und Auferstehung; und noch mehr könnte über Seine unverderbte Natur gesagt werden, wäre es nicht besser, alle Gefahr einer Verletzung jener Ehrfurcht zu vermeiden, mit der wir diese betrach­ten sollten. Manches könnte über Seine persönliche Erscheinung gesagt werden, die jederzeit die Merk male eines Menschen getragen zu haben scheint, der nicht mit der Erbsünde befleckt war. Die Menschen konnten sich kaum zurückhalten, Ihn anzubeten. Als die Pharisäer hinsandten, Ihn zu ergreifen, fielen alle Schergen bei Seinem bloßen Bekenntnis, daß Er es sei, den sie suchten, rückwärts vor Ihm auf den Boden. Sie wurden erschreckt, wie Tiere durch die Menschenstimme erschreckt zu werden pflegen. Auf solche Weise war Er geschaffen nach dem Bild Gottes, Er war der zweite Adam; und viel mehr als Adam war Er in Seiner geheimnisvollen Natur, die Sein fleischliches Zelt mit ehrfurchtgebietender Reinheit und Helle selbst in den Tagen Seiner Er­niedrigung durchstrahlte. „Der erste Mensch aus der Erde war irdisch; der zweite war der Herr vom Himmel“ (1 Kor 15, 47).

2. Wenn Seine sichtbare Majestät so groß war, während Er noch der Versuchung, Schwachheit und Pein unterworfen blieb, so war die Offenbarung Seiner Gottheit noch überfließender, als Er von den Toten auferstanden war. Da strömte die göttliche Wesenheit (sozusagen) allseits hervor und umgab Seine Menschheit wie eine Wolke der Herrlichkeit. So verklärt war Sein heiliger Leib, daß Er, der Sich herabließ, von einem Weib geboren zu werden und am Kreuz zu hangen, wie ein Geist die verborgene Kraft in Sich trug, durch die verschlossenen Türen zu Seinen versammelten Jüngern hineinzutreten. Er ließ Sich sogar herbei, ihren Sinnen eine Probe zu gestatten, und zeigte, daß Er kein bloßer Geist war, sondern daß Er Selbst es war, der zu ihnen sprach, der gleiche wie zuvor, mit verwundeten Händen und durchbohrter Seite. Er offenbarte Sich ihnen in diesem erhöhten Zustand, damit sie Seine Zeugen vor dem Volk sein konnten; Zeugen jener beiden verschiedenen Wahrheiten, die menschliche Vernunft nicht zusammenreimen kann, daß Er nämlich einen wirklichen menschlichen Leib besaß, daß dieser Leib teilhatte an den Eigenschaften Seiner Seele und daß er vom Ewigen Wort be­wohnt war. Sie berührten Ihn – sie sahen Ihn kommen und gehen bei verschlossenen Türen -, sie fühlten, was sie nicht sehen konnten, aber sie konn­ten es sogar bis in den Tod bezeugen, daß Er „ihr Herr und ihr Gott“ war (Joh 20, 28). Es war ein dreifacher Beweis, einmal Seiner Sühne, dann Sei­ner eigenen Auferstehung zur Herrlichkeit und schließlich Seiner göttlichen Macht, sie sicher zu derselben zu führen. Nachdem Er Sich so als voll­kommener Gott und vollkommener Mensch in der Fülle Seiner Herrschaft und unsterblichen Heilig­keit geoffenbart hatte, stieg Er auf zur Höhe, um von Seinem Reich Besitz zu nehmen. Dort bleibt Er bis zum Jüngsten Tag, „Wunderbarer, Ratgeber, Allmächtiger Gott, Vater der Zukunft, Friedens­fürst“ (Is 9, 6).

3. Er stieg zum Himmel auf, damit Er beim Vater unsere Sache vertreten könnte; wie es heißt: „Er lebt allezeit, um für uns zu bitten“ (Hebr 7, 25). Doch wir dürfen nicht annehmen, daß Er mit Sei­nem Weggang die Heilsordnung Seiner Mensch­werdung abschloß und dieMittlerrolle Seiner unver­weslichen Menschheit Seinem Werk der liebevollen Barmherzigkeit gegen uns entzog. Der „Heilige Gottes“ (Mk 1, 24; Lk 4, 34) wurde dazu bestimmt, nicht nur für uns zu sterben, sondern auch in unse­rem sündigen Geschlecht „der Anfang“ einer neuen „Schöpfung“ (Offb 3,14) zur Heiligkeit zu sein; Seele und Leib nach Seinem eigenen Bild neu zu ge­stalten, damit sie „auferweckt mit ihm und in den Himmel versetzt werden könnten in Christus Jesus“ (Eph 2,6). Gepriesen sei allezeit Sein heiliger Name. Bevor Er wegging, gedachte Er unserer Not und vollendete Sein Werk, indem Er uns eine besondere Weise der Begegnung mit Ihm vermachte, ein hei­liges Mysterium, in dem wir (wir wissen nicht wie) die Kraft jenes himmlischen Leibes empfangen, der das Leben aller Glaubenden ist. Dies ist das heilige Sakrament der Eucharistie, in dem unter uns „Chri­stus klar als der Gekreuzigte dargestellt wird“ (1 Kor 2, 2); damit wir, wenn wir das Opfer feiern, „Teil­haber der göttlichen Natur“ sein könnten. Geben wir acht, damit wir nicht unter der Zahl derer sind, die „den Leib des Herrn“ (1 Kor 11, 29) und die „überaus großen und kostbaren Verheißungen nicht unterscheiden“ (2 Petr 1, 4), die den daran Teil­nehmenden gegeben werden. Da hierin eine ge­wisse Gefahr besteht, will ich einige kurze Hin­weise über dieses große Geschenk geben und Gott bitten, daß unsere Worte und Gedanken Seiner unaussprechlichen Heiligkeit würdig seien. Christus sagt: „Gleich wie der Vater das Leben in Sich hat, so hat Er auch dem Sohn gegeben, das Leben in Sich Selbst zu haben“ (Joh 5,26); und später sagt Er: „Weil Ich lebe, werdet auch ihr leben“ (Joh 14,19). Es scheint daher, daß wie Adam der Urheber des Todes für das ganze Menschenge­schlecht so Christus der Ursprung der Unsterblich­keit ist. Als Adam von der verbotenen Frucht aß, war sie wie ein Gift, das sich über seine ganze Natur, Seele und Leib, ergoß; und hinfort über jeden seiner Nachkommen. Es wurde ihm gesagt, als er in den Garten versetzt ward: „An dem Tag, da du davon ißt, sollst du sterben“ (Gn 2,17); und es wird uns ausdrücklich verkündet, „in Adam sterben alle“ (1 Kor 15, 22). Wir alle sind geboren als Erben jener Ansteckung der Natur, die seinem Fall folgte. Aber es wird uns auch gesagt: „Gleich wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden“; und das gleiche Gesetz der göttlichen Vorsehung wird in beiden Fällen eingehalten. Adam verbreitet Gift; Christus gießt ewiges Leben aus. Christus teilt uns das Leben mit, jedem einzelnen, mittels jener hei­ligen und unverdorbenen Natur, die Er um unserer Erlösung willen annahm; wie, das wissen wir nicht: zwar durch eine unsichtbare, sicherlich aber durch eine wirkliche Mitteilung Seiner Selbst. Daher sagt der heilige Paulus, daß „der letzte Adam“ nicht bloß „eine lebendige Seele“ ward, sondern „ein belebender“ oder lebenspendender „Geist“, da Er „der Herr vom Himmel“ war (1 Kor 15, 45. 47). Ferner ist Er nach Seinen eigenen gnadenvollen Worten „das Brot des Lebens“. „Er ist das Brot Gottes, welches vom Himmel herabkommt und der Welt das Leben gibt“ (Joh 6, 33); oder wie Er deut­licher sagt: „Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ (Joh 6,41); „Ich bin das Brot des Lebens“ (Joh 6,35); „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist; wer von diesem Brot ißt, wird leben in Ewigkeit: das Brot aber, das Ich geben werde, ist Mein Fleisch für das Leben der Welt“ (Joh 6, 51.52). Und ferner heißt es noch klarer: „Wer Mein Fleisch ißt und Mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und Ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“ (Joh 6, 55). Warum sollte diese Vereinigung mit Ihm für unglaubhaft gehalten werden, so geheimnisvoll und heilig sie auch ist, wenn wir aus dem Evan­gelium wissen, wie wunderbar Er in den Tagen Seiner Erniedrigung an denen handelte, die Ihm nahten? Bei einer Gelegenheit wird uns berichtet, „daß das ganze Volk Ihn anzurühren suchte; denn es ging eine Kraft von Ihm aus und heilte alle“ (Lk 6,19). Weiter, als die blutflüssige Frau Ihn be­rührte, „wußte Er alsbald, daß eine Kraft von Ihm ausgegangen war“ (Mk 5, 30). Eine solche Gnade war unsichtbar, bekannt nur durch die Heilung, die sie bewirkte, wie im Falle der Frau. Wir wollen nicht zweifeln, obwohl wir uns Ihm nicht sichtbar nähern, daß Er uns immerhin die Kraft Seiner Reinheit und Unverderbtheit geben kann, wie Er versprochen hat, und zwar in einer himmlischeren und geistigeren Art als „in den Tagen Seines Flei­sches“ (Hebr 5, 7); in einer Weise, die nicht die gewöhnlichen Gebrechen des zeitlichen Lebens ent­fernt, sondern den Samen des ewigen Lebens in Leib und Seele sät. Sprechen wir Ihm nicht die Herrlichkeit Seiner lebenspendenden Heiligkeit ab, jene reich strömende Gnade, die die Erneuerung unseres ganzen Geschlechtes bedeutet, jenen Geist, der so lebendig, machtvoll und durchdringend ist, daß er die ganze Masse menschlicher Verderbnis durchsäuert und zu neuem Leben bringt. Er ist die Erstlingsfrucht der Auferstehung: wir folgen Ihm, jeder in seiner Ordnung, je nachdem wir durch Seine innere Gegenwart geheiligt sind. In diesem wie auch in anderem Sinn wird Christus nach dem Ausdruck der Schrift „in uns gebildet“ (Gal 4,19); mit anderen Worten, Seine neue Natur, die die Seele heiligt und den Leib unsterblich macht, wird uns mitgeteilt. In gleicher Weite beten wir beim Empfang der Kommunion, daß „unsere sündigen Leiber durch Seinen Leib gereinigt und unsere Seelen durch Sein kostbares Blut abgewaschen werden mögen; und daß wir fortan in Ihm und Er in uns wohne“.

Dies also ist unser auferstandener Heiland in Sich und für uns: – empfangen vom Heiligen Geist; heilig vom Mutterschoß an; sterblich, aber ver­schmähend die Verwesung; wieder erstehend am dritten Tag durch Sein eigenes, Ihm innewohnen­des Leben; erhöht als Gottessohn und Menschen­sohn, um uns zu erheben – Ihm nach; in unbegreif­licher Weise uns mit Seiner unsterblichen Natur erfüllend, bis wir Ihm ähnlich werden; uns er­füllend mit geistlichem Leben, das imstande ist, das Gift des Baumes der Erkenntnis auszustoßen und uns Gott zurückzugeben. Welch wundervolles Werk der Gnade! Befremdend war es, daß Adam unser Tod sein sollte, aber noch befremdender und überaus huldvoll war es, daß Gott Selbst uns Leben sein sollte mittels jenes menschlichen Zeltes, das Er angenommen hat.

O gesegneter Tag der Auferstehung, der in alten Zeiten die Königin der Feste genannt wurde und unter Christen einen besorgten Wetteifer wach­rief, ihn gebührend zu ehren! Gesegneter Tag, der einmal nur in Trauer verlief, als der Herr tatsäch­lich auferstand und die Jünger nicht glaubten, aber seither immer ein Tag der Freude war für den Glauben und die Liebe der Kirche! In alten Zeiten begannen ihn die Christen überall auf der Welt mit einem besonderen Morgengruß. Jeder sagte zu seinem Nachbarn: „Christus ist auferstanden“, und dieser gab ihm zur Antwort: „Christus ist wahrhaft auferstanden und dem Simon erschienen.“ Selbst für Simon, den feigen Jünger, der Ihn dreimal ver­leugnete, ist Christus auferstanden. Auch für uns, die wir seit langem gelobten, Ihm zu gehorchen, und doch so oft vor den Menschen Ihn verleugneten, die wir es so oft mit der Sünde gehalten haben und der Welt folgten, während Christus uns auf einen an­deren Weg rief. „Christus ist wahrhaft auferstan­den und dem Simon erschienen!“ Simon Petrus, dem bevorzugten Apostel, auf den die Kirche gebaut ist, ist Christus erschienen. Er ist zuallererst Seiner heiligen Kirche erschienen und in der Kirche teilt Er Gnadenerweise aus, wie sie die Welt nicht kennt. Selig jene, wenn sie ihr Glück erkannten, die gleich uns Woche um Woche und Festtag um Festtag in dieser heiligen Kirche den Heiland ihrer Seelen suchen und finden dürfen! Weit über Wort und Gedanke gesegnet sind jene, denen es in Gnaden gewährt ist, diese Zeichen Seiner Liebe zu empfangen, die sonst von einem Menschen nicht erlangt werden können, das Unterpfand und das Mittel seiner besonderen Gegenwart im Sakrament Seines Abendmahles; die die Nahrung der Un­sterblichkeit essen und trinken und das Leben aus der blutenden Seite des Gottessohnes empfangen dürfen! Ach welch befremdende Kälte des Herzens oder welch verkehrter Aberglaube ist schuld daran, daß irgend jemand, der Christ heißt, sich von jenem himmlischen Gnadenmittel fernhält? Ist es nicht betrüblich, daß es jemand geben sollte, der sich fürchtet, an der denkbar größten Segnung teil­zunehmen, die über sündige Menschen kommen konnte? Was ist in Wirklichkeit jene Furcht an­deres als Unglaube, eine sklavische, die Sünde lie­bende Verstocktheit, wenn sie einen Menschen dazu veranlaßt, Jahr um Jahr ohne die geistliche Nah­rung zu bleiben, die Gott für ihn vorgesehen hat? Ist es verwunderlich, wenn er es im Verlauf der Zeit lernt, freien Willens an der darin geschenkten Gnade zu zweifeln? Wenn er nicht länger das Herrenmahl als ein himmlisches Festmahl ansieht, noch des Herren Diener, der es heiligt als ein aus­erwähltes Gefäß, noch jene heilige Kirche, in der dieser es ausspendet, als göttliche Einrichtung, damit es gehegt werde als Abschiedsvermächtnis Christi für eine sündige Welt? Ist es verwunderlich, wenn er sieht und doch nicht sieht, hört und doch nicht hört und wenn er, weil er leichtfertig alle Gaben Christi behandelt, keine Ehrfurcht für das Schatzhaus fühlt, in dem sie aufgespeichert sind? Aber wir, die wir zuversichtlich hoffen, Gottes Willen dadurch zu tun, daß wir uns an jene An­ordnungen und Vorschriften halten, die Sein Sohn uns hinterlassen hat, auch wir dürfen uns heute demütig freuen, mit einer Freude, die die Welt nicht nehmen und noch weniger verstehen kann. Wahrhaftig in dieser Zeit der Vorwürfe und der Lästerung müssen wir nüchtern und maßvoll in unserer Freude sein; dennoch kann unser Friede und unsere Freude tiefer und voller sein, gerade wegen jener Ernsthaftigkeit. Denn nichts kann denen schaden, die Christus in sich tragen. Prüfung oder Versuchung, Zeit der Trübsal, Zeit des Wohl­standes, Schmerz, Verlust, ängstliche Sorge, Leid, Spottreden des Feindes, Verlust weltlicher Güter, nichts vermag „uns zu scheiden von der Liebe Gottes, die da ist in Christus Jesus, unserem Herrn“ (Rom 8,39). Das sagte uns der Apostel seit langem; aber wir haben in unserer Zeit außer seinem Wort zu unserem Trost die Erfahrung vieler Jahrhun­derte. Wir haben sein eigenes Leben, das uns zeigt, daß Christus in uns stärker ist als die Welt um uns, und daß Er obsiegen wird. Wir haben die Ge­schichte aller seiner Leidensgefährten, aller Bekenner und Märtyrer der Frühzeit und seither, um uns zu beweisen, daß Christi Arm „nicht verkürzt ist, so daß er nicht mehr helfen könnte“ (Is 59,1); daß Glaube und Liebe eine wirkliche Wohnstatt auf Erden haben, daß, komme was will, Seine Gnade für Seine Kirche hinreichend ist und Seine Kraft in der Schwachheit zur Vollendung kommt; daß Er sie „selbst bis ins Alter und bis zu den grauen Haaren tragen und erlösen wird“ (Is 46, 4); daß zu jeder Zeit, wenn die Mächte des Bösen sie herausfordern, immer noch Märtyrer und Heilige hervorkommen und von den Toten auferstehen wer­den, so zahlreich, wie sie nie zuvor gewesen sind, selbst nicht „die Seelen derer, die wegen des Zeug­nisses Jesu und wegen des Wortes Gottes enthaup­tet wurden, die weder das Tier noch dessen Bild an­gebetet, noch dessen Malzeichen an ihrer Stirn oder an ihrer Hand empfangen haben“ (Offb 20,4). Mittlerweile, während Satan nur droht, wollen wir unsere Herzen in Geduld besitzen; versuchen wir, ruhig zu bleiben, streben wir danach, in allen Dingen, in den großen und kleinen, Gott zu ge­horchen; erfüllen wir die Berufspflichten, die uns Tag für Tag erwarten; und „sorgen wir nicht für den morgigen Tag, denn jedem Tag genügt seine Plage“ (Mt 6,34).

aus: Deutsche Predigten, Band II, 13.