Jerobeam

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"Möge Er in Seiner Huld sich unserer armen, zerrissenen Kirche erbarmen und sie aus der Herrschaft der Heiden erretten! Sel. John Henry Newman
„Möge Er in Seiner Huld sich unserer armen, zerrissenen Kirche erbarmen und sie aus der Herrschaft der Heiden erretten! Sel. John Henry Newman

5. Predigt vom 1. August 1830

 

„Und er rief wider den Altar durch das Wort des Herrn und sprach: Altar, Altar! so spricht der Herr: Siehe, ein Sohn wird dem Hause David geboren, Josias mit Namen, der wird auf dir opfern die Priester der Höhen, die jetzt Räucher­werk auf dir anzünden, und wird Menschengebein auf dir verbrennen“ (3 Kg 13, 2).

Diese Worte bilden den Teil eines Berichtes, den wir einmal jährlich im Sonntagsgottesdienst hören, den wir aber kaum verstehen können, wenn wir nicht der ihm vorausgehenden Geschichte einige Aufmerksamkeit schenken. Er stellt eine Prophe­zeiung dar gegen die im Königreich Israel einge­führte Form des Gottesdienstes; betrachten wir, welcher Art dieses Königreich und dieser Gottes­dienst waren, und wie es kam, daß dieses Wehe von einem Propheten Gottes verkündet wurde.

Als Salomon in Götzendienerei verfiel, brach er seinen Krönungseid (wir dürfen diesen Ausdruck gebrauchen) und verscherzte damit sofort Gottes Huld. Die Hauptaufgabe eines Königs des auser­wählten Volkes bestand darin, als Gottes Stellver­treter zu handeln und an Seiner Stelle zu regieren. David wurde ein Mann nach dem Herzen Gottes genannt, weil er darin getreu war; er entsprach der ihm anvertrauten Aufgabe. Salomon versagte; ver­sagte gerade in der einen Aufgabe, zu deren Erfül­lung er als König von Israel verpflichtet war.

Infolgedessen kam eine Botschaft von Gott, die ihm die Art der Bestrafung für seine Sünde offenbarte. Man könnte nun vermuten, er habe für sich und seine Nachkommen das Königtum verscherzt. Aber um Davids willen wurde dieses äußerste Urteil über ihn nicht ausgesprochen. Da die Verheißung an David ergangen war, daß sein Sohn nach ihm herr­schen werde, obgleich gerade der Sohn der Übel­täter war, so wurde diesem wegen der Verheißung das drohende Übel erspart. David zu Ehren endete Salomons Regierung ohne Verhängung der gött­lichen Strafe, aber sie wurde angekündigt. „Weil du dies getan hast, will Ich dir wahrlich das König­tum entreißen und es deinem Knecht geben. Doch will Ich es noch nicht bei deinen Lebzeiten tun um deines Vaters David willen; aber deinem Sohne will Ich es entreißen“ (3 Kg 11,11.12). Noch eine weitere Milderung der Strafe wurde gewährt, im­mer noch Davids wegen. Es war David verheißen worden: „Ich will nach dir deinen Samen erwecken und sein Reich für immer bestätigen… Wenn er etwas Böses tut, will Ich ihn mit Menschenruten züchtigen; aber Meine Huld wird sich nicht von ihm wenden, wie Ich sie von Saul nahm, den Ich vor dir wegräumte“ (2 Sm 7,1215). Dementsprechend wurde, als Salomon gefehlt hatte und das König­reich ihm entrissen wurde, der Same des heiligen David doch nicht ganz beseitigt, um einem neuen König Platz zu machen, wie die Familie Sauls David den Platz räumen mußte; denn ein Teil des Königreiches wurde den Nachkommen des getreuen Königs belassen. „Indessen will Ich nicht das ganze Königreich wegnehmen; sondern Ich will einen Stamm deinem Sohne geben“, dem Sohne Salo­mons, „um Davids, Meines Dieners, willen“ (3 Kg 11,13). Dieser eine Stamm war der Stamm Juda, Davids eigener Stamm; diesem wurde ein Teil des Stammes Benjamin beigefügt, weil er in der Nachbarschaft lag. Und dieses Königreich, über welches Davids Linie vierhundert Jahre lang nach ihm herrschte, wird das Königreich Juda genannt. — Aber mit diesem Königreich Juda haben wir es jetzt nicht zu tun; sondern mit dem größeren Teil der Stämme, der von Davids Haus sich getrennt hat und das sogenannte Königreich Israel bildet.

Folgendes waren die Umstände, unter denen es zur Teilung des Königreiches kam, Salomon verfehlte sich, wie es scheint, genau so durch tyrannisches Be­nehmen gegen seine Untertanen wie durch Götzen­dienst. Nach seinem Tod kam das Volk zu seinem Sohne Roboam nach Sichern und sagte: „Dein Vater machte unser Joch drückend; deshalb mach du die harte Herrschaft deines Vaters und das schwere Joch leichter, das er uns auferlegt hat, und wir wollen dir dienen.“ Roboam war unbedacht genug, nach dreitägiger Überlegung zu antworten: „Mein Vater machte euer Joch drückend, ich will euer Joch noch schwerer machen; mein Vater hat euch mit Geißeln geschlagen, ich will euch mit Skorpionen peitschen“ (3 Kg 12,4.14). Jedermann sieht, daß Roboam hier sehr ungerecht handelte, und auch Sa­lomon hatte, wie bemerkt, vor ihm schwer gefehlt. Die Unterdrückung seines Volkes war eine Sünde. Doch hatte das Volk, das müßt ihr beachten, kein Recht zur Klage. Sie hatten dieses Unglück über sich selbst heraufbeschworen; sie hatten sich eigen­sinnig darum beworben und bemüht. Sie wollten „einen König haben wie die Völker“ (1 Sm 8,5), einen selbstherrlichen König; und jetzt, da sie einen hatten, waren sie unzufrieden. Samuel hatte nicht nur mit allem Ernst und aller Feierlichkeit gegen diese Maßnahme als eine Beleidigung ihres All­mächtigen Herrschers Einspruch erhoben, er hatte sie auch tatsächlich zum voraus vor den Bedrückun­gen gewarnt, die eigenmächtiges Herrschen über sie bringen würde. „Er wird eure Söhne wegnehmen und sie für seine Wagen und als seine Reiter ver­wenden; er wird sie dazu aufstellen, sein Ackerland zu pflügen und seine Ernte einzubringen und seine Waffen zum Krieg zu schmieden. Er wird eure Töchter zu seinen Salbenmischerinnen und Köchin­nen und Bäckerinnen machen. Er wird eure Felder, Weinberge und Ölgärten wegnehmen und sie sei­nen Knechten geben.“ Seine Warnung schließt mit den Worten:  „Und ihr werdet dann laut Klage führen über euren König, den ihr euch erwählt habt, und der Herr wird euch an jenem Tag nicht er­hören“ (1 Sm 8,1118). So lauteten zum voraus Samuels Worte. Nun war all dies über sie gekom­men; wie sie gesät hatten, so hatten sie geerntet. Unter den gegebenen Verhältnissen wäre es das beste für sie gewesen, zufrieden und ergeben zu sein; sie mußten die Strafe für ihren nationalen Eigenwillen tragen. Doch diese eine Sünde genügte ihnen nicht. Sie gingen weiter, wie es bei Menschen üblich ist, und heilten (wie sie sich einbildeten) ihre erste Sünde durch eine neue; — sie empörten sich gegen ihren König. Sie sagten: „Was haben wir mit David zu tun? Wir haben keinen Erbbesitz bei dem Sohne Jesses. Geht zu euren Zelten, Israe­liten, — und du, David, schau jetzt nach deinem eigenen Haus“ (3 Kg 12,16). Zehn von den zwölf Stämmen empörten sich an jenem Tage gegen ihren König. Darin waren sie ohne jede Entschuldigung. Selbst wenn wir außer Frage lassen, daß sie das Unglück auf sich herabgezogen hatten, abgesehen davon rechtfertigte bei alledem die Gewaltherr­schaft ihres Königs keineswegs ihre plötzliche, über­stürzte und anmaßende Empörung. Er hatte sich gegen keine Abmachung oder Obereinkunft ver­fehlt. Die Tatsache, daß ihr König seine Pflicht gegen sie nicht erfüllte, war kein Grund für sie, ihm den Gehorsam aufzukündigen. Zugegeben, daß er grausam und habsüchtig war; doch sie hätten ruhig weiter darauf vertrauen sollen, daß die wunder­bare Vorsehung Gottes den König durch Seine Pro­pheten in Schranken halten und sie sicher weiter­führen würde. Das wäre der Weg des Glaubens ge­wesen. Aber sie nahmen die Sache in ihre eigene Hand und gerieten in noch weitere Schwierigkeiten. Und ich möchte euch darauf aufmerksam machen, daß alles Unglück von ihrem ursprünglichen Fehler seinen Ausgang nahm, der sich durch Jahrhunderte in seinen Folgen auswirkte, nämlich von der Tat­sache, daß sie überhaupt einen König hatten.

So viel sei zu ihrer ersten und zweiten Sünde ge­sagt. Um in der Geschichte ihres Niedergangs fort­zufahren, müssen wir auf jenen Mann unser Augen­merk richten, den sie zum Führer ihrer Erhebung machten. Das war Jeroboam.

Jeroboam, der Sohn des Nabat, war zu Lebzeiten Salomons mit der Eintreibung der Steuer vom Stamme Ephraim, dem mächtigsten der zehn Stämme, beauftragt gewesen. Diese Stellung ver­schaffte ihm Einfluß und Ansehen in jenem Teil des Landes. Der König hatte ihn dafür angestellt, „da er den Fleiß des jungen Mannes sah“. Es heißt auch, daß er „ein starker und tapferer Mann war“ (3 Kg 11,28). Er war von Salomon geehrt worden, aber er hatte dessen Vertrauen mißbraucht und sich sogar zu Lebzeiten des Königs gegen ihn empört. „Jeroboam, der Diener Salomons, erhob sogar seine Hand gegen den König.“ Als Salomon ihm deshalb „nach dem Leben trachtete“ (3 Kg 11,40), floh er nach Ägypten, wo König Sesak ihn unter seinen Schutz nahm. Nach Salomons Tod kehrte er in seine Heimat zurück und stellte sich an die Spitze der Er­hebung, als die aufrührerischen Stämme ihn dazu aufforderten: „Es geschah, als ganz Israel (d.h. die zehn Stämme) hörte, daß Jeroboam zurückgekehrt sei, da sandten sie hin und ließen ihn in die Ver­sammlung holen und machten ihn zum König über ganz Israel; niemand folgte dem Hause Davids, nur der Stamm Juda allein“ (3 Kg 12,20).

Offenkundig war Jeroboam ein Werkzeug in Gottes Hand, um Salomons Sünden zu strafen; dabei bil­det der Gedanke keine Schwierigkeit, wie ein gott­loser Mensch noch Gottes Ratschlüsse ausführen könne, ohne dafür entschuldigt zu sein. Aber im besonderen Falle Jeroboams besteht auf den ersten Blick die Schwierigkeit, daß Gott den Eindruck er­weckt hatte, als heiße Er seine Handlung gut, weil Er ihm zu Lebzeiten Salomons das Königreich der zehn Stämme versprochen hatte. Der Prophet Ahias war ihm begegnet und hatte ihm eine Botschaft vom „Herrn, dem Gott Israels“ überbracht. „Ich werde das Königreich aus der Hand des Salomon nehmen und dir zehn Stämme geben“ (3 Kg 11,31). Wegen dieser Prophezeiung kam es dazu, daß Jeroboam „seine  Hand  gegen  den  König  erhob“. Jedoch braucht es nur geringe Überlegung, um hier keine Schwierigkeit zu sehen; denn mochte auch Gott ihm das Königtum verheißen, so gab Er ihm nicht den Auftrag, es auf eigene Faust zu erobern; und wenn wir nichts Böses tun dürfen, damit Gutes daraus entstehe, so dürfen wir gewiß nichts Böses tun, da­mit eine Prophezeiung in Erfüllung gehe. Und „die Empörung gegen seinen Herrn“ (wie die Schrift sagt) war eine offene, unbestrittene Sünde. Gott, der die Verheißung gab, konnte sie natürlich zu Seiner Zeit erfüllen. Er bedurfte nicht des verbre­cherischen Handelns eines Menschen, um sie zu ver­wirklichen. Natürlich war es eine Beschimpfung Seiner Heiligkeit und Macht anzunehmen, daß Er so tue. Jeroboam hätte in aller Geduld auf Gottes Zeit warten müssen; das wäre wahrer Glaube ge­wesen. Aber es war immer schon, wie auch bei die­ser Gelegenheit, die Sünde der Israeliten, der Vor­sehung Gottes vorzugreifen. Und selbst dann, wenn sie bereitwillig Seine Ziele verfolgen, wollten sie dieselben doch in ihrer eigenen Weise ausführen. Sie wollten nie „stille sein und erkennen, daß Er Gott war“ (Ps 45,11), auf Sein Wort warten und Seiner Führung folgen. So wollten sie, als sie am Anfang vom verheißenen Land Besitz ergriffen, die Völker hinauswerfen und alle jene gänzlich aus­rotten, die das Land nicht verließen. Bald wurden sie dieser Mühe überdrüssig und glaubten, einen besseren Weg gefunden zu haben. Sie fanden es klüger, die Feinde zu verschonen, Bündnisse mit ihnen zu schließen und Abgaben von ihnen zu ver­langen. Dies führte sie zuerst zum Götzendienst, dann in die Gefangenschaft. Als Samuel sie befreite und ihre Hoffnungen wieder auflebten, war ihre erste Tat, entgegen dem Willen Gottes, einen König zu wählen wie die übrigen Völker. Und Jeroboam, in diesem Fall selbst ein besonderes Sinnbild für das ganze aufrührerische Volk, konnte nicht gedul­dig warten und voll Glauben auf Gott vertrauen, daß „Er, was immer Er versprochen, auch zu tun vermöge“ (Rom 4,21). Daß dies für Jeroboam eine Prüfung war, brauchen wir nicht in Abrede zu stel­len; natürlich war es eine. Er wurde geprüft und fehlerhaft erfunden. Hätte er der Versuchung wi­derstanden und sich selbst gezügelt, bis er recht­mäßig zur Regierung berufen worden wäre, so wä­ren unsäglich viele Segensströme über ihn und sein Volk geflossen, die nun alle beide ob ihrer Sünden tatsächlich verworfen wurden. Er war nicht der erste, der auf diese Weise geprüft wurde. Das Königtum Sauls war David verheißen worden; er wurde dafür von Samuel gesalbt, lange Jahre bevor es in seinen Besitz kam. Obwohl er von Saul ver­folgt wurde und dessen Leben öfters in seiner Hand hatte, so wollte er doch nicht die Hand gegen seinen König erheben. Er besaß den Glauben seines Vor­fahren Abraham, der, obwohl das Land, das er bewohnte, ihm verheißen war, doch wie ein Fremd­ling in ihm hin und her zog, ohne zu wagen, es in seinen Besitz zu nehmen; hin und her zog mit einer Schar tüchtiger Gefolgsleute,  die seinem Befehl unterstanden und für ihn ein Land hätten erobern können, wenn er es gewünscht hätte, wie sie auch ohne Bedenken Chodorlahomor schlugen und Lot samt seinem Besitz befreiten. David war Erbe die­ses harrenden Glaubens und durch ihn „gewann er die Verheißung“ (Hebr 10,36) und gründete einen Thron in Rechtschaffenheit und Wahrheit. Hätte Jeroboam dieses Beispiel befolgt, so hätte auch er der Vater eines Königsgeschlechtes sein können; er hätte das Werkzeug und der Gegenstand der dem Haus Joseph verheißenen göttlichen Huld sein kön nen. Er hätte in seiner eigenen Person die Ver­heißungen erfüllen können, die Jakob und Moses (Gn 49,22-26; Dt 33,13-17; vgl. 1Sm 11,38) vermittelt hatten und mit deren Erfüllung Josue, der selbst ein Ephraimite war, begonnen hatte. Je­roboam hätte eine Herrschaft gründen können, die an Herrlichkeit der von Juda und Jerusalem nicht nachgestanden wäre.

So ist Jeroboam trotz der Verheißung des Ahias nicht entschuldigt. Zunächst aber wollen wir fra­gen: wie handelte er, als er schließlich auf dem Throne saß? Es überrascht nicht, daß er nach einem solchen Anfang weiter und schwerer sündigte. Be­ginnt ein Mensch Unrecht zu tun, so kann er sich selbst keine Rechenschaft darüber geben, wie weit es ihn treibt. Er sieht nicht voraus, er kann nicht wissen, wo er sich nach seiner Sünde finden wird. Ein einziger falscher Schritt zwingt ihn zu einem weiteren, denn ein Zurück ist unmöglich. Das ist etwas, was man täglich erlebt, und es wird zuerst in der Geschichte des ganzen Volkes und dann in der Geschichte Jeroboams veranschaulicht. Tatsächlich schien er eine Weile Glück zu haben. Roboam, der Sohn Salomons, hatte eine außerordentlich große Streitmacht erlesener Männer gegen ihn aufge­stellt; aber Gott wollte den Krieg nicht gestatten und kein Blutvergießen zulassen. Er plante, Salo­mons Götzendienst zu bestrafen, und beabsichtigte, Jeroboam sich selbst zu überlassen, die Frucht seiner Empörung zur Reife zu bringen und dann ihn zu richten und zu schlagen mit seinem eigenen Arm. Der Prophet Semeja wurde zu Roboam gesandt, den Krieg zu beenden, und Roboam gehorchte.

So schien es, als ob alles nach Jeroboams Wunsch gehen sollte. Aber bald erhob sich eine Schwierig keit, womit er nur wenig oder überhaupt nicht ge­rechnet hatte. Das jüdische Volk war nicht nur ein Königreich, sondern auch eine Kirche, eine religiöse ebenso wie eine politische Gemeinschaft; und bald erkannte Jeroboam, daß er bei der Errichtung eines neuen Königtums in Israel auch eine neue Religion errichten müsse.

Im Gesetz des Moses war vorgeschrieben, daß alle Männer in ganz Israel dreimal im Jahr zur An­betung nach Jerusalem gehen sollten. Jerusalem war aber zu dieser Zeit die Hauptstadt des König­reiches Juda, des gegnerischen Reiches, und Jero­boam sah deutlich, daß sie nicht lange seine Unter­tanen bleiben, sondern zu ihrer früheren Unter­tanenpflicht zurückkehren würden, sollten seine neuen Untertanen dort hinaufziehen dürfen. Hier war also ein zweiter falscher Schritt zur Vollendung des ersten nötig, denn es muß ein falscher Schritt gewesen sein, der scheinbar eine Verletzung des mosaischen Gesetzes zu seinem Schutze forderte. Ohne Zweifel redete er sich ein, er müsse tun, was er tat, er könne nicht anders. Es ist wahr; — die Sünde ist ein strenger Meister; wenn wir uns an sie verkaufen, können wir die Kette nicht mehr zer­brechen; ein schlimmes Zugeständnis fordert das nächste.

„Jeroboam sprach in seinem Herzen: Nun wird das Reich wieder an das Haus David zurückfallen; wenn dieses Volk zum Hause des Herrn in Jeru­salem hinaufzieht, um Opfer darzubringen, so wird das Herz dieses Volkes sich wieder seinem Herrn Roboam, dem König von Juda, zuwenden, und sie werden mich töten und wieder zu Roboam, dem König von Juda, zurückkehren. Daraufhin über­legte sich der König die Sache“ (3 Kg 12,26—28). Es war eine traurige Überlegung: er beschloß, in seinem eigenen Königreich Orte für den Gottes­dienst auszuwählen. Das war natürlich gegen das Gesetz; aber er tat noch Schlimmeres. Einen Tempel konnte er nicht bauen wie Salomon, und trotzdem brauchte er ein sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes. Gott hatte den Israeliten untersagt, irgend­ein Zeichen Seiner Gegenwart oder ein Abbild von Ihm sich zu fertigen; doch Jeroboam glaubte, er könne nichts Besseres tun, als zwei goldene Sta­tuen aufzustellen, an jedem Ende seines Landes eine, zwar nicht als Darstellungen (dachte er), son­dern als Sinnbilder und Denkmale des wahren Got­tes, die den für den Gottesdienst bestimmten Ort bezeichnen sollten. Es ist wahrscheinlich, daß die Zeit Salomons, weil es eine Zeit des Friedens war, da die Künste gepflegt wurden und der Verkehr mit fremden Völkern sich auftat, darum auch eine Zeit besonderer religiöser Verderbnis war, wie sie nie zuvor geherrscht hatte. Zwar hatten sich die Israeliten in ihrer ganzen Geschichte dem Willen Gottes widersetzt; aber sie hatten unterdessen ge­lernt, ihren Ungehorsam durch Gründe zu vertei­digen und systematisch zu sündigen. Die Sünden Jeroboams hinsichtlich der Gottesverehrung waren nicht vereinzelt oder ohne inneren Zusammenhang, sie gingen von dem Grundsatz aus, daß es nicht notwendig sei, die positiven Gesetze, die äußeren Formen und Zeremonien der Religion zu beachten, solange man nur am Wesentlichen festhalte. Als er diese goldenen Statuen aufstellte, beabsichtigte er keineswegs, die Anbetung des einen wahren Got­tes, des Schöpfers Himmels und der Erde, des Er­retters von Israel, zu hintertreiben. Das beweisen die Worte, die er bei diesem Anlaß gebrauchte, so wie der Lauf der Geschichte. Er glaubte, er ändere nur die Kirchenzucht, wie wir es jetzt nennen wür­den, und konnte scheinbar mit Recht fragen: was liegt daran? An Stelle der Cherubim stellte er nur ein anderes Sinnbild Gottes auf. Er nahm nur solche Änderungen vor, wie der Wechsel der Umstände und der Lauf der Ereignisse sie unvermeidlich for­derten. Er war in Not und mußte überlegen, nicht was das Beste wäre oder was er, wenn er die Wahl hätte, selbst für sich wählen würde, sondern was praktisch durchführbar war.

Die Statue, die er als Denkmal des Allmächtigen Gottes auswählte, hatte die Gestalt eines Ochsen oder Kalbes, die gleiche, die die Israeliten in der Wüste aufgestellt hatten. Es ist nicht recht bekannt, was das Sinnbild, das zweifellos aus Ägypten kam, bedeutet. Man nimmt an, der Ochse sei ein Sinnbild des Lebens oder der Kraft, und seine Aufstellung als religiöses Denkmal konnte die Versinnbildung der Schöpfermacht Gottes beabsichtigt haben. Doch wie immer es sein mag, es war auf jeden Fall eine direkte und offene Übertretung des ersten Gebotes (nach anglikanischer Zählung hat der Text „des zweiten Gebotes“. – A. d. Ü.). „Der König ging mit sich zu Rate und ließ zwei Kälber aus Gold anfertigen, und sprach zum Volk: Es ist zuviel für dich, nach Jerusalem hinaufzu­gehen, siehe da deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten herausgeführt haben, und er stellte eines in Bethel auf, das andere in Dan“ (3 Kg 12,28. 29).

Aber selbst dieser offene Götzendienst, der nicht bloß geduldet, sondern angeordnet wurde, selbst er war nicht die letzte Sünde dieses unseligen Man­nes, der den Weg der Gottlosigkeit bewußt be­schritten hatte und es dann anderen, die noch verworfener waren als er selbst, als Erbe überließ, ihn vollends zu Ende zu gehen. Der Stamm Levi, der besonders für den religiösen Dienst bestimmt war, hatte seinen Besitz nicht an einem Ort, sondern zer­streut über das ganze Land. Man konnte nicht an­nehmen, daß der Stamm, der das Gericht über die Sünde beim goldenen Kalb in der Wüste vollstreckt hatte, widerspruchslos diese Erneuerung des alten Ärgernisses in noch abscheulicherer Form hinneh­men würde. Er weigerte sich, den Götzendienst zu dulden, und Jeroboam ließ den Stamm, durch die harte Notwendigkeit dazu getrieben, aus dem Land verjagen, nahm seine Städte und Ländereien in Be­sitz und setzte auf eigene Autorität hin an seiner Stelle Priester ein. „Er richtete Höhenheiligtümer ein“, und „er und seine Söhne entfernten die Levi­ten von der Ausübung des priesterlichen Gottes­dienstes, und er bestellte Priester für die Höhen­heiligtümer und für die Teufel und für die Kälber, die er hatte anfertigen lassen; Priester aus den Ge­ringsten des Volkes, die nicht von den Söhnen Levis abstammten“ (3 Kg 12,31; 2 Chr 11,14.15). Er än­derte die hohen Festtage, brachte freventlich ein Rauchopfer dar und drängte sich, um ein Beispiel zu geben, als erster in den heiligen Dienst ein. Infolge dieses gottlosen Vorgehens verließen nicht nur „die Priester und Leviten in ganz Israel“ sein Königreich und zogen sich nach Judäa zurück, son­dern es folgten ihnen auch aus allen übrigen „Stäm­men alle die nach Jerusalem, die in ihrem Herzen den Gott Israels suchten, um dem Herrn, dem Gott ihrer Väter, zu opfern“ (2 Chr 11,16).

Wahrlich, dieser Beginn seiner Herrschaft stand unter einem bösen Vorzeichen. Er hatte für fromme Israeliten das Verbleiben im Land unmöglich ge macht. Die Gottlosen allein hielten zu ihm. Jeroboam herrschte in einem Land, das gleichsam den bösen Geistern preisgegeben war. Das ist so wahr und dem Sinn nach verwandt mit den Worten, die Samuel gebrauchte, daß nämlich „Empörung eben­so schlimm ist wie die Sünde der Wahrsagerei, und Ungehorsam so schlimm wie Schlechtigkeit und Götzendienst“ (1 Sm 15, 23).

Wir kommen nun zu der Schlußszene dieser Kette von Verbrechen, die von einem einzigen Mann ver­übt worden sind: dem Geschehnis, mit dem der Vorspruch zusammenhängt.

Es geschah am neuen Festtag, „den er nach seinem Gutdünken“ ersonnen hatte, und zwar in Bethel, wo das Götzenbild aufgestellt war. Das Volk war aus allen Teilen des Landes zusammengekommen, und der König „opferte auf dem Altar und ver­brannte Weihrauch“. So fand die offizielle Einfüh­rung der falschen Religion in Gottes eigenem, heili­gem Land statt, das Gegenstück zu jener heiligen Feier, da Salomon im Tempel das Weihegebet ver­richtete. Die Herrlichkeit Gottes hatte sich auf jenen auserwählten Ort zum Zeichen Seiner Huld herab­gelassen, und so duldete Er nicht, daß jetzt in Bethel, das Er dereinst auf besondere Weise heim­gesucht hatte, die heidnische Handlung hingehe ohne ein Zeichen Seines Zornes. Er sandte einen Seiner Propheten aus Juda zur Teilnahme am Fest; doch durfte dieser, als betrete er ein von der Pest befallenes Land, weder in ein Haus gehen, noch essen noch trinken, solange er sich dort aufhielt. Ja, er durfte nicht einmal auf dem gleichen Weg nach Hause zurückkehren, auf dem er gekommen war, als dürften seine Füße nicht zweimal die befleckte Erde berühren.

Als der Prophet ankam, verkündete er seine Botschaft vor dem abtrünnigen König. Es war eine Prophezeiung, eine Prophezeiung, die als Zeugnis gegen die vielfältigen Sünden des Volkes ausgesprochen wurde, als das Schicksal, womit dieses aufrührerische und götzendienerische Königreich schon am Tage seiner Geburt besiegelt war. Da der Mann Gottes es unter seiner Würde hielt, Jeroboam anzusprechen, redete er den Altar an und sagte dessen Schicksal voraus. Er verkündete, daß in kurzer Zeit die götzendienerische Macht zerstört und dieser nämliche Altar deren Sturz erleben werde; denn auf ihm jetzt von Weihrauch duftete, sollten die gottlosen Priester geopfert und menschliches Gebein verbrannt werden; und dazu noch, daß all dies bracht werden sollte von einem Fürsten des Hauses Juda. So gab er zu verstehen, daß Davids Königsgeschlecht das aufrührerische Königreich überleben werde. „Altar, Altar, — so sprich der Herr: Siehe, ein Sohn wird dem Hause David geboren, Josias mit Namen; der wird auf dir opfern die Priester der Höhen, die jetzt Räucherwerk auf dir anzünden, und wird Menschengebein auf dir verbrennen.“ Zum Zeugnis seiner göttlichen Sendung sprach der Prophet sein Wort, und der Altar barst durch ein Wunder mitten entzwei und die Asche des Opfers wurde auf dem Boden zerstreut. Nichts konnte offenkundiger sein als ein solches Urteil, das von Gott Selbst verkündet wurde, nachdem es Roboam, dem Sohne Salomons, nicht gestattet worden war, diesen Streit mit eigener Hand zu führen. Um den Vorfall noch eindrucksvoller zu machen, kamen noch zwei weitere Zeichen hinzu. Jeroboam streckte seine Hand aus, um den Propheten zu ergreifen. Augenblicklich verdorrte sie, so daß er sie nicht mehr zurückziehen konnte. Auf das Gebet des Propheten hin wurde sie wieder geheilt. Das zweite Wunder war noch schauerlicher. Müde von der Reise ließ sich der Prophet auf seinem Heimweg entgegen dem ausdrücklichen Verbot Gottes, das an ihn ergangen war, von einem schlechten Menschen zum Essen und Trinken überreden. Ein unmittel­bares Gericht folgte. Wie er zu Tische saß, wurde sein Verführer gezwungen, ihm seine Strafe zu er­öffnen, — nämlich, daß sein Leichnam nicht in das Grab seiner Väter kommen solle. Auf seinem Heim­weg trat ihm ein Löwe, Gottes zweites Werkzeug zur Verhängung der Strafe, in den Weg und tötete ihn. Der Löwe aber fraß ihn nicht auf, noch zerriß er seinen Reitesel, noch belästigte er andere vor­überziehende Wanderer, sondern wunderbarer­weise am Ort festgehalten, blieb er beim Leichnam des Propheten stehen als ein Zeichen für Gottes Macht, Herrlichkeit und strenges Gericht, noch über­zeugender als die Götzenbilder in Dan und Bethel; denn ganz Israel sollte die furchtbare Schlußfolge­rung daraus ziehen: — wenn Gott Seine eigenen Kinder so bestraft, wie wird die endgültige Bestra­fung der Bösen sein, wenn sie jetzt auch noch auf­geschoben wird? „Wenn der Gerechte kaum geret­tet wird, wo wird der Gottlose und der Sünder erscheinen?“ (1 Petr 4,18).

Doch Jeroboam ließ trotz all dieser Vorkommnisse „nach dieser Begebenheit nicht von seinem schlech­ten Weg ab, sondern machte wiederum von den Geringsten des Volkes Priester auf den Höhen. Wer nur wollte, den weihte er, und er wurde ein Priester auf den Höhen“ (3 Kg 13,33). Dies war sein Lebenswandel.

Am Ende seiner Regierung verlor er sogar sein irdisches Glück. „Der Herr schlug ihn und er starb.“ Dies war sein Ende.

Seine Familie wurde bald vom Thron gestoßen. Nach all seinen weisen Ratschlägen und kühnen Plänen hat er nichts als seinen Namen und Titel der Nachwelt hinterlassen: „Jeroboam, der Sohn des Nabat, der Israel zur Sünde verleitete“ (4 Kg 13,2). Dies ist sein Denkmal.

„Verflucht sei der Mann, der sein Vertrauen auf Menschen setzt und Fleisch zu seinem Arme wählt und dessen Herz vom Herrn abweicht. Er wird sein wie der Strauch in der Steppe und wird das Gute nicht schauen, wenn es kommt; er wird wohnen in der Dürre, in der Wüste, in salziger, unbewohnter Gegend“ (Jer 17,5.6). Es bedarf nur weniger Worte, um die Anwendung dieser Geschichte auf die Verhältnisse, unter denen wir heutzutage leben, zu zeigen. Sie malt uns in so grellen Farben die bestehenden Wirren und Spaltungen in der christ­lichen Kirche — dazu die profane und tyrannische Behandlung, die sie von Seiten der Welt erfährt —, daß die einzige Frage, die möglicherweise im Geist sich erheben kann, die ist, ob man diese Geschichte anwenden darf und ob wegen der Ähnlichkeit der Ereignisse auch deren jeweiliger Charakter und Ausgang die nämlichen seien. Ich behaupte, dies sei die einzige Frage, ob wir ohne Tadel über das urtei­len dürfen, was wir im Licht des Berichtes aus der Geschichte Israels sehen; und ich wünschte, alle Leser möchten deutlich verstehen, daß dies die ein­zige Frage ist. Wenn die Taten Israels und Jeroboams als Vorbilder dessen genommen werden dür­fen, was später unter dem Evangelium in den ver­gangenen Jahrhunderten geschah, können wir dann daran zweifeln, daß Schisma, Neuerung in der Lehre, ein gefälschtes Priestertum, Sakrileg und Gewalttat so schreckliche und schreiende Sünden sind, daß es keine Strafe gibt, die für sie zu groß wäre, kein Wehe, von dem wir nicht erwarten müßten, daß es über die dort entstandenen Lehr­systeme und über das Geschlecht der Übeltäter hereinbrechen wird? Welch andere Lehre können wir aus der Geschichte ziehen als diese? Daß wir aber eine Lehre ziehen müssen, erhellt aus der wiederholten Erklärung des heiligen Paulus: — „Alles, was geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben“ (Röm 15,4). „Alles dieses aber widerfuhr ihnen als Vorbild; es ist nämlich zur Warnung geschrieben für uns, die wir in den letz­ten Zeiten leben“ (1 Kor 10,11). „Jede von Gott eingegebene Schrift ist nützlich zur Belehrung, zur Zurechtweisung, zur Besserung und zur Erziehung in der Gerechtigkeit“ (2 Tim 3,16). Auch St. Petrus und St. Judas beziehen ausdrückliche Vorkommnisse im Alten Testament auf Parallelen zur Zeit des Evangeliums (2 Petr 2,1-15; Jud 5-11).

Möge Gott uns den Willen und die Kraft geben, mit unserem Geist diese äußerst ernsten Wahr­heiten zu erfassen, und ihnen aufrichtig in all ihren notwendigen Folgerungen nachzukommen! Möge Er in Seiner Huld Sich unserer armen, zerrissenen Kirche erbarmen und sie aus der Herrschaft der Heiden erretten! Möge Er gewähren, daß „der Gang der Welt unter Seinem Walten friedlich sich gestalte, damit“ sie und alle Zweige der einen ka­tholischen Kirche „Ihm ungestört in Freude dienen können“ (Kirchengebet am 4. Sonntag nach Pfingsten).

Newman John Henry, Pfarr- und Volkspredigten, DP III, 5, Schwabenverlag, Stuttgart 1951, 71-88.