Christus bietet sich uns nicht dar, sondern nimmt uns in sich auf!

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Gedanken zur Osterzeit

„Ich werde euch wieder sehen, und euer Herz wird sich freuen; und eure Freude wird niemand von euch nehmen“ (Jo 16, 22). Kurz zuvor sagt Er: „Es ist gut für euch, daß Ich hingehe“ (Jo 16, 7). Und ferner: „Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; Ich werde zu euch kommen. Noch eine kleine Weile, und die Welt sieht Mich nicht mehr. Ihr aber werdet Mich sehen“ (Jo 14,18.19). So ist Christi Heimgang zum Vater zugleich eine Quelle der Trauer, weil er Seine Abwesenheit, und eine Quelle der Freude, weil er Seine Anwesenheit bedeutet. Und aus der Wahrheit von Seiner Auferstehung und Himmel­fahrt kommen jene widersprüchlichen Aussagen im Christentum, die sich oft in der Schrift finden: daß wir trauern und doch immer uns freuen; daß wir nichts haben und doch alles besitzen. Das ist heute wirklich unsere Lage: wir haben Chri­stus verloren und wir haben Ihn gefunden; wir sehen Ihn nicht und doch erkennen wir Ihn. Wir umfassen Seine Füße, Er aber sagt: „Rühre Mich nicht an“ (Jo 20,17). Wie geschieht das? Folgen­dermaßen: Wir haben die sinnenfällige und be­wußte Fühlung mit Ihm verloren; wir können Ihn nicht sehen, nicht hören, nicht mit Ihm verkehren, Ihm nicht folgen von Ort zu Ort; aber wir erfreuen uns Seines geistigen, verklärten, inneren, übersinn­lichen, wirklichen Anblickes und Besitzes; eines Be­sitzes, der wirklicher und gegenwärtiger ist als je­ner, den die Apostel in den Tagen Seines Fleisches hatten, eben weil er geistig, weil er unsichtbar ist. Wir wissen, je mehr sich uns ein irdischer Gegen­stand nähert, um so weniger können wir ihn be­trachten und begreifen. Christus ist uns in der christ­lichen Kirche so nahe gekommen (wenn ich mich so ausdrücken darf), daß wir nicht in der Lage sind, Ihn anzublicken oder zu erkennen. Er tritt zu uns herein, Er beansprucht Sein erkauftes Erbe und er­greift Besitz von ihm; Er bietet Sich uns nicht dar, sondern nimmt uns in Sich auf. Er macht uns zu Seinen Gliedern. Unser Antlitz ist Ihm sozusagen abgewendet; wir sehen Ihn nicht, wissen nur durch den Glauben um Seine Gegenwart, denn Er ist über uns und in uns. Und so können wir zu gleicher Zeit klagen, weil wir uns Seiner Gegenwart nicht so be­wußt sind, wie die Apostel sie vor Seinem Tod gekostet haben; und zugleich dürfen wir uns freuen, weil wir wissen, daß wir sie sogar mehr als jene besitzen, nach der Schriftstelle: „Den ihr, ohne Ihn gesehen zu haben  (nämlich mit den leiblichen Augen), lieb habt; an Den ihr, ohne Ihn jetzt zu sehen, glaubet, über Den ihr euch freut mit unaus­sprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlanget, nämlich das Heil eurer Seelen“ (1 Petr 1, 8. 9).

Auszug aus der Predigt: Die geistige Gegenwart Christi in der Kirche, DP VI, 10,pp. 134-135.