Christlicher Eifer

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31. Predigt, Ende des Jahres 1834

Fest der heiligen Apostel Simon und Judas

„Der Eifer für Dein Haus verzehret mich“ (Joh 2,17).

Die Apostel, deren wir an diesem Festtag ge­denken, lenken unsere Aufmerksamkeit auf das Thema des Eifers, das ich an Hand des Beispiels unseres Heilandes behandeln möchte, wie der Vor­spruch nahelegt. St. Simon hat den Beinamen Zelot, was soviel heißt wie Eiferer; das ist ein Beiname, den man ihm vermutlich gab, weil er vor seiner Bekehrung zu der jüdischen Sekte der Zeloten ge­hörte, die einen außergewöhnlichen Gesetzeseifer an den Tag legte. Auf alle Fälle kennzeichnet ihn dieser Beiname als einen, der mit dieser besonderen christlichen Tugend ausgezeichnet ist. Der Brief des heiligen Judas, ein Teil der Lesung im heutigen Gottesdienst, handelt fast ganz von der Pflicht, Eifer für die Wahrheit des Evangeliums zu zeigen, und beginnt mit einer unmittelbaren Ermahnung, „ernsthaft zu kämpfen für den Glauben, der den Heiligen ein für allemal gegeben ist“ (Jud 3). Das Kirchengebet erinnert uns indirekt an die gleiche Pflicht, denn es fleht darum, daß alle Glieder der Kirche durch die Lehre der Apostel im Geiste sich einen mögen. Ist das etwas anderes als die Sprache des Eifers, nämlich der Liebe zur Wahrheit und zur Kirche, die so stark ist, daß sie dem Menschen nicht gestattet, zu trennen, was Gott verbunden hat? Es gibt jedoch eine einfachere Darstellung des Eifers, wenn man ihn das ernste Verlangen nach Gottes Ehre nennt, das zu rastlosen und mutigen Taten um Seinetwillen führt; und das trotz aller Widerstände. So zeigte sich Phinees eifrig für Gott, als er sich erhob und das Strafgericht in Israel aus­führte. Auch David zeigte seinen Eifer, eine seiner Haupttugenden, als er die Götzendiener im Land umher strafte und den Bau des Tempels vorbe­reitete. Als Elias die Israeliten auf dem Berg Karmel versammelte und die Baalpriester schlug, war er „von Eifer entbrannt für den Herrn der Heer­scharen“ (3 Kg 19,10). Außerdem sind es Ezechias und Josias, die mit einem bewundernswerten Eifer die Wiederherstellung des Gottesdienstes betrie­ben; so auch Nehemias nach der Gefangenschaft, da er die reuige Nation gar mit dem Feuer und der Süße der Liebe des Evangeliums für die Ankunft des Herrn aufrechterhielt.

1. Eifer ist also eine der grundlegenden Eigen­schaften der Religion; nämlich eine von denen, die zum eigentlichen Begriff des religiösen Menschen wesenhaft gehören. Man kann einem Menschen erst dann Eifer in religiösen Dingen zusprechen, wenn er seinen Herrn und Heiland verherrlicht; wenn er in seinem Herzen den Gedanken an Ihn in einem solchen Grad als den Gegenstand des Lobpreises und der Anbetung und des Jubels heilig hält und erhebt, daß er Schmerz und Betrübnis fühlt über die Ihm zugefügte Verunehrung sowie einen Eifer hat, sie zu ahnden. Mit einem Wort, ein religiöser Charakter ist der, der Treue zu Gott besitzt, und wir alle wissen aus unserer täglichen Erfahrung, was mit Treue gemeint ist. Treu sein heißt nicht einfach gehorchen, sondern gehorchen mit Bereitwilligkeit, mit Einsatz und Pflichteifer, mit selbstloser Hingabe und Mißachtung der Folgen. Und das ist Eifer, nur daß er stets begleitet ist von jener ehrfürchtigen Haltung, die das Geschöpf und der Sünder seinem Schöpfer, und Ihm ganz allein, schuldet. Liebe Gottes über alles: das ist der Hauptgrundsatz bei jeglichem religiösen Dienst; Eifer aber heißt, Ihn mehr als alle Menschen lieben, mehr als unsere liebsten und besten Freunde. Dies war das beson­dere Lob der Leviten und gewann ihnen das Priestertum als Lohn, daß sie nämlich das Urteil über das Volk vollzogen, als es mit dem goldenen Kalb sündigte. „Deine Vollkommenheit und Lehre sei bei Deinem Heiligen Manne, den Du geprüft hast in der Versuchung und gerichtet bei dem Hader­wasser, der zu seinem Vater und zu seiner Mutter sprach: Ich kenn euch nicht; und zu seinen Brüdern: Ich weiß um euch nichts; und der nichts wußte um seine Söhne. Sie haben bewahrt Deine Rede und gehalten Deinen Bund; sie lehren Jakob Deine Rechte und Israel Dein Gesetz; sie werden Räu­cherwerk und Brandopfer auf Deinen Altar legen. Segne, o Herr, seine Kraft und laß Dir gefallen die Werke seiner Hände. Zerschlag die Rücken seiner Feinde; und die ihn hassen, die sollen sich nicht erheben“ (Dt 33,811). In ähnlicher Weise wurde Phinees belohnt, nachdem er das Urteil vollstreckt hatte. „Siehe, Ich gebe ihm den Frieden Meines Bundes; und er und sein Same soll den ewigen Bund des Priestertums haben, weil er geeifert hat für seinen Gott“ (Nm 25,12.13). Eifer ist die un­mittelbare Weihe der Diener Gottes für ihr Amt. Dementsprechend begann unser gebenedeiter Erlöser, der Eine Große Hohepriester, das Vorbild für alle Priester, die Ihm vorausgingen, und der Herr und die Kraft aller, die nach Ihm kommen, Seine Selbstoffenbarung mit zwei Taten des Eifers. Als Zwölfjähriger geruhte Er, die Heiligkeit dieser Pflicht uns lebendig vor Augen zu stellen, da Er im Tempel blieb, „während Sein Vater und Seine Mutter Ihn mit Schmerzen suchten“, und als sie Ihn fanden, ihnen antwortete: „Wußtet ihr nicht, daß Ich in dem sein muß, was Meines Vaters ist?“ (Lk 2, 48. 49). Und wiederum betrat Er zu Anfang Seiner öffentlichen Tätigkeit den Tempel und „machte eine Geißel von Stricken und trieb Schafe und Och­sen hinaus und warf die Tische der Wechsler um“, die den Tempel entweihten: so erfüllte Er die im Vorspruch enthaltene Prophezeiung: „Der Eifer für Dein Haus verzehret Mich.“

Da Er selbst von solchem Eifer verzehrt war, ist es kein Wunder, daß Er Seine Jünger aus der Reihe der Eiferer nahm. Jakobus und Johannes, die Er Boanerges, d. h. Donnersöhne, nannte, hatten bei ihrer Berufung entflammte Herzen, so unwissend sie sonst sein mochten; und sie hatten das Gefühl, der Hohn, der ihrem Herrn angetan war, hätte Feuer vom Himmel herabrufen sollen. Petrus hieb einem von denen, die Ihn fesselten, das rechte Ohr ab. Simon gehörte der Sekte der „Eiferer“ an. Der Fall des heiligen Paulus ist noch beachtenswerter. Er hatte infolge seiner Anhänglichkeit an den Alten Bund Gottes sogar gegen Christus gekämpft; aber er tat es aus Ernsthaftigkeit, aus „Eifer für Gott“, wenn auch aus blindem Eifer. Er „glaubte in der Tat, vieles Feindliche „tun zu müssen wider den Namen Jesu, des Nazareners“ (Apg 26,9), und handelte „aus Unwissenheit“ (1 Tim 1,13); deshalb wurde ihm Schonung zuteil. Mit einer Art himmlischen Mitleids sagte ihm sein verfolgter Herr, daß es „ihm hart werde, wider den Stachel auszuschlagen“ (Apg 9, 5), und Er wandelte seinen unerleuchteten Eifer zu besserem Dienste um. Aus dem gleichen Grund findet derselbe Apostel hin­wiederum Worte der Anerkennung für seine Lands­leute, wenn er auch zugleich mit Schmerz deren unverzeihliche Hartnäckigkeit verurteilt. „Meines Herzens Wunsch und Flehen zu Gott für Israel ist“, sagt er, „daß sie selig werden möchten, denn ich gebe ihnen das Zeugnis, daß sie Eifer für Gott haben, aber nicht nach Einsicht“ (Röm 10,1. 2). Sie waren schuldig, denn sie blieben in Unkenntnis dessen, was sie hätten wissen können; aber soweit sie Eifer zeigten, beanspruchten sie von ihm ehren­hafte Beachtung und waren sicherlich viel besser als jene hochmütigen Spötter, die Römer, die sich nicht darum kümmerten, ob es einen Gott gebe oder keinen, die den einen Götzen ebenso willig an­beteten wie den anderen und den Aposteln Scho­nung gewährten aus verächtlichem Mitleid. Zu diesen gehörte Gallio, der „sich alles dessen nicht annahm“ (Apg 18,17), was die Juden oder Chri­sten taten. Solche Menschen sind unserem Heiligen Herrn ein Greuel, der „die ehrt, die Ihn ehren“, während „jene, die Ihn verachten, verächtlich wer­den sollen“ (1 Sm 2,30). Er tut dieses Urteil über die Lauen und Treulosen kund in Seiner Botschaft an die Kirche von Laodicea: „Ich kenne deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist; o daß du kalt wärest oder warm! Weil du aber lau bist, und weder kalt noch warm, werde Ich dich aus­speien aus Meinem Munde“ (Offb 3,15.16). So ist der ausdrückliche Unglaube ein Geisteszustand, der weniger verabscheuungswürdig ist als der Charak­ter der religiös Indifferenten, die eine Ansicht für gleich gut halten wie die andere und die Ernst­haften verachten oder lächerlich machen. Ist diese Welt der Kampfplatz zwischen Gut und Bös, dann ist sicherlich nach den Worten der Schrift „der­jenige, der nicht mit Christus ist, gegen Ihn“ (Mt 12,30); und die Engel, die die Zeugen der Vor­gänge sind und deren Bedeutsamkeit abschätzen können, mögen wohl ausrufen: „Fluchet der Ge­gend Meroz, fluchet ihren Bewohnern gar sehr, weil sie nicht zur Hilfe des Herrn kamen, zur Hilfe des Herrn gegen die Starken“ (Richt 5,23).

Ich leugne nicht, daß dieser Standpunkt verschie­den ist von den Ansichten, zu denen gewisse, heute landläufige Grundsätze und Anschauungen uns führen. Das ist jedoch gewiß kein Grund zur An­nahme, daß er nicht richtig ist; es müßte denn wirk­lich bei den wechselnden Erfolgen von Gut und Bös für uns ein untrügliches Zeichen geben, das uns ver­sicherte, das gegenwärtige Jahrhundert sei weit auf­geklärter als all die vorausgegangenen. Tatsächlich haben wir überhaupt keinen anderen Maßstab für die Wahrheit als die Bibel, und auf sie möchte ich mich berufen. „Auf das Gesetz und auf das Zeug­nis“; sind die Anschauungen von heute damit in Einklang, mögen sie in Ehren bestehen, wenn aber nicht, werden sie mit Sicherheit zunichte werden, auch wenn sie augenblicklich noch so populär sind. Heute ist es Mode, den Eifer mit dem Namen In­toleranz zu bezeichnen und die Intoleranz als die Hauptsünde anzusehen. Sie meinen damit jede Art von ernsthafter Bevorzugung der einen Ansicht über Gottes Wesen, Seinen Willen und Seine Handlungsweise mit den Menschen vor einer anderen – oder mit anderen Worten: jede Ernst­haftigkeit für den Glauben, wie er ein für allemal den Heiligen übergeben wurde, jede Ernsthaftig­keit für die Offenbarung als solche. Bestimmt, in diesem Sinne waren die Apostel die Intolerantesten von allen. Was ist es anders als Intoleranz in die­sem Sinne, zu erklären, daß, „wer den Sohn hat, auch das Leben hat, und wer den Sohn nicht hat, auch das Leben nicht hat“ (1 Joh 5,12); daß „jene, die nicht gehorchen dem Evangelium unseres Herrn Jesu Christi, mit dem ewigen Untergang bestraft werden durch das Angesicht des Herrn“ (2 Thess 1, 8. 9); daß „weder Hurer, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Habgierige, noch Schmäher, noch Erpresser das Reich Gottes erben werden“ (1 Kor 6,9.10), daß wir mit einem Bruder, der solcher Art ist, „nicht einmal essen sollen“ (1 Kor 5,11) und daß wir keinen „in unser Haus aufnehmen“ oder „ihm den Gruß geben dürfen“, der ohne die „Lehre Christi“ zu uns kommt (2 Joh 10)? Hat nicht St. Paulus, den viele gern zu einem Apostel machen möchten, der weniger strenge Grundsätze gehabt habe als seine Brüder, sogar betreffs eines einzelnen gesagt: „Der Herr wird ihm vergelten nach seinen Werken!“ (2 Tim 4,14). Und obwohl wir heutzu­tage keine geistige Unterscheidungsgabe haben, die allein solch eine Redeweise über diesen oder jenen Menschen rechtfertigen könnte, sollte uns hier nicht ein klarer Beweis dafür vorliegen, daß es Fälle gibt, in denen die Ehre Gottes nicht vereinbar ist mit der Rettung der Sünder und wo es infolge­dessen nicht unchristlich ist, Seinem Urteil über sie beizupflichten? Diese Worte waren vom heiligen Paulus mit Überlegung geschrieben in den End­tagen seines Lebens, als sein Geist überaus ruhig- und himmlisch, seine Hoffnung sehr gefestigt und sein Lohn in unmittelbarer Sicht war: Umstände, die es jedem unmöglich machen, auch wenn er St. Paulus als einen Mann von besonderer Heilig­keit verehrt, sie wegzuerklären, ganz abgesehen von dem Argument der Inspiration.

Das ist der Eifer; eine christliche Tugend bis zum Ende, jedoch auch eine grundlegende Tugend: eine Tugend, die dem Neubekehrten ebensogut ansteht wie dem gereiften Gläubigen, eine Tugend, die Moses erstmals gezeigt hat, als er den Ägypter er­schlug, und die der heilige Paulus in seinen letzten Stunden noch übte, als er schon seine Hand nach der himmlischen Krone ausstreckte.

2. Anderseits ist der Eifer eine unvollkommene Tugend; d. h. in unserem gefallenen Zustand wird er, für sich allein gepflegt, immer von unchristlichen Gefühlen begleitet sein. Das gilt für viele andere Geisteshaltungen, auch wenn sie unbedingt von uns gefordert werden. Wer möchte leugnen, daß es für den heimkehrenden Sünder eine Pflicht ist, Abscheu gegen seine vergangenen Fehler und Furcht vor Gottes Zorn zu hegen? Und doch führen solche Gefühle, außer der Glaube begleite sie, zu un­fruchtbaren Gewissensbissen, zu Verzweiflung, zu verhärtetem Stolz oder auch zu verkehrtem Aber­glauben. Nicht als ob Demütigung in irgendeinem Sinne oder Grade falsch wäre, aber sie führt da­durch zu verwandten Schwächen oder zu Sünden, daß eine Seite unserer unvollkommenen Natur un­gebührlich erregt wird. Mitleid wird zur Schwäche, wenn es nicht begleitet ist von einem Gefühl der Gerechtigkeit und Festigkeit: die Weisheit der Schlange wird zur Verschlagenheit, außer sie paart sich mit der Einfalt der Taube. Und Eifer ist in ähnlicher Weise nur die eine Seite, auch wenn er ein wesentlicher Bestandteil des christlichen Charakters ist; er ist in sich unvollkommen, gerade weil er grundlegendes Element ist. Deswegen nimmt er füglich einen so hervorragenden Platz ein in der jüdischen Heilsgeschichte, die doch das Fundament legen sollte für den christlichen Glauben wie für den christlichen Charakter. Ob wir die Vorschriften lesen, die Moses gegen Götzendienst und Götzen­diener erlassen, oder ob wir der tatsächlichen Ge­schichte der erwählten Diener Gottes, wie Phinees, Samuel, Elias und besonders David nachgehen, wir finden, daß das Gesetz in besonderer Weise ein Bund des Eifers war. Anderseits prägt das Evan­gelium jenen vollendeten Geisteszustand in seiner ganzen Weite aus, den das Gesetz zwar anordnete, aber einzuschärfen und hervorzubringen zu schwach war – die Liebe; nämlich die Liebe oder die christliche Nächstenliebe, wie sie vom heiligen Pau­lus im ersten Korintherbrief geschildert wird. Sie ist nicht nur Bruderliebe (eine Tugend, die immer auch im Begriff des Eifers miteingeschlossen ist), sondern eine allgemeine Haltung der Sanftmut, der Milde, der Zuneigung, einer zarten Rücksicht­nahme, einer Offenherzigkeit gegen alle, die unsern Weg kreuzen, Bruder oder Fremder. In diesem Sinn gehört der Eifer dem Gesetze an, die Liebe dem Evangelium: und die Liebe vollendet den Eifer, indem sie ihn reinigt und ordnet. So schreiten die Heiligen den Weg zur Vollkommenheit. Moses endete sein Leben als der „sanfteste Mann“ (Nm 12, 3), obschon er es begann mit einem unbe­herrschten Eifer, der ihn zu einer Gewalttat trieb. Der heilige Johannes, der Feuer vom Himmel herabrufen wollte, wurde zum Apostel der Liebe; St. Paulus, der die Diener Christi verfolgte, „ist allen alles geworden“ (1 Kor 9,22); jedoch keiner von ihnen verlor seinen Eifer, im Gegenteil, sie vergeistigten ihn.

Aber die Liebe ist nicht die einzige Tugend, die zur Vollendung des Eifers erfordert wird; der Glaube ist eine zweite. Das mag auf den ersten Blick be­fremdend klingen; denn man konnte fragen: Was ist der Eifer anders als eine Frucht des Glaubens? Wer ist eifrig für etwas, an das er nicht glaubt und an dem er sich nicht erfreut? Aber man muß be­denken, daß wir des Glaubens bedürfen nicht nur, um unsere Handlungen auf den rechten Gegenstand hinzulenken, sondern auch um sie in der rechten Weise zu vollziehen; er lenkt uns sowohl bei der Wahl der Mittel wie bei der Zielsetzung. Nun aber hat der Eifer die große Neigung, eigenwillig zu sein; er nimmt es auf sich, Gott auf eigene Weise zu dienen. Das ergibt sich klar schon aus seiner Natur. Denn in seiner gröberen Form offenbart er sich in jähen und heftigen Ausbrüchen beim Anblick von Vermessenheit und Unehrerbietigkeit und drängt zur Tat fast aus dem bloßen Gefühl heraus, ohne sich Zeit zu nehmen, den besten Weg zu überlegen. So zog Petrus bei der Gefangennahme Jesu durch die Anführer sofort „das Schwert und schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein Ohr ab“ (Mt 26,51). Geduld also und Ergebung in Got­tes Willen sind die Geistesverfassung, die der Eifer besonders benötigt – jener pflichteifrige Glaube, der der bloßen Angabe der Natur nicht traut, son­dern aufblickt zu Gott mit den Augen eines Die­ners vor seinem Meister und Seinen Willen soweit als möglich ermittelt, bevor er handelt. Fehlt dieser himmlische Ausgleich, dann ist der Eifer, wie gesagt, in seiner Haltung selbstwillig; anderseits wird er (wie man gewöhnlich sagt) politisch, wenn er sich der Sicherungsmaßregeln bedient und auf einen Erfolg in dieser Welt wartet. Auch hier wieder ist der Unterschied zwischen dem jüdischen und christ­lichen Heilsplan erkenntlich. Das jüdische Gesetz war eine sichtbare Einrichtung, geschützt durch zeitlichen Lohn und zeitliche Strafe, und brachte notwendig bei seinen Untertanen eine politische Haltung mit sich. Sie hatten die Verpflichtung, den Sieg der Religion hienieden zu sichern, indem sie mit dem Schwert ihre Verheißungen verwirklich­ten, ihrer Erfolge sich freuten und ihre Gebote einschärften. Das war, wie gesagt, ihre Pflicht; und weil David dies erfüllte, wird er neben anderen Gründen „ein Mann nach dem Herzen Gottes“ ge­nannt (Apg 13,22), Aber das Evangelium lehrt uns, „im Glauben zu wandeln und nicht auf die Schau hin“ (Joh 20, 29); und der Glaube lehrt uns, in der Weise eifrig zu sein, daß wir es stets unter­lassen, die nächste Welt vorwegzunehmen, son­dern warten, bis der Richter kommt. St. Petrus zog sein Schwert, um (wie er glaubte) jenes gute Werk sofort zu vollbringen, zu dem sein Herz ihn trieb: die Befreiung unseres Herrn; und gerade deswegen traf ihn jener Tadel des Heilandes, der dem Pila­tus bald darauf eröffnete, daß Sein Reich nicht von dieser Welt sei, sonst würden Seine Diener für Ihn streiten. Christlicher Eifer ist stets dessen einge­denk, daß das Geheimnis der Bosheit fortdauert, bis der Rächer es ein für allemal lüften wird; er begibt sich aller Hoffnung, Seine Ankunft zu be­schleunigen, und allen Verlangens, sich in Sein Werk einzudrängen. Er macht sich keine eitlen Vorstellungen über die wahre Bekehrung der Welt Ihm, auch wenn die Menschen Ihn noch so sehr äußerlich anerkennen, da er weiß, daß „die Welt im argen liegt“ (1 Jo 5,19). Er bedient sich keiner aufdringlichen Weise, Seine Wahrheit zu verbrei­ten oder zu festigen. Er sucht nicht Schmeichelei und Bündnis mit Samaria, um Syrien zu unter­drücken. Er jubelt keinem Idumäer[1] als seinem König zu, auch wenn dieser bereit wäre den Tem­pel zu verschönern, noch hat er Einfluß bei den Herrschern der Welt. Er plant keine Ränke, er billigt keine Parteien, er verläßt sich nicht auf einen fleischlichen Arm. Er hält nicht Ausschau nach grundlegenden Verbesserungen oder dauern­den Neuerungen bei der Verleihung jener kost­baren Gnaden, die in ihrem Ursprung immer rein sind, aber durch der Menschen Gebrauch immer verderbt werden. Er handelt nach Gottes Willen zu diesem oder jenem Zeitpunkt, wie er gerade kommt, kühn und bereitwillig; aber er läßt jede Handlung für sich bestehen als Dienst, der in sich genügt. Er sucht sie nicht in eine Einheit oder in ein System zu bringen über Gottes Befehl hinaus. Mit einem Wort, der christliche Eifer ist nicht politisch[2].

Zwei Überlegungen ergeben sich aus dieser zu­letzt genannten Charakteristik der in Frage stehen­den Tugend. Ich will sie zum Abschluß kurz an­führen.

1. Erstens, es ist nur zu klar, wie schwer die römi­schen Schulen sich in diesem Stück christlicher Tu­gend geirrt haben. Es mag ihre Lehre so rein sein, wie sie dieselbe darbieten, sie haben dennoch ihre Kirche unzweifelhaft zu einem Werkzeug der weltlichen Politik gemacht durch einen „Eifer, der nicht nach Einsicht ist“, und haben in dieser wesenhaften Pflicht christlicher Zeugenschaft gefehlt, nämlich, sie haben den geistlichen Charakter des Reiches Christi nicht bewahrt. Bei dieser Behauptung möchte ich nicht mit Absicht die große Dankesschuld leugnen, die wir jener Kirche schulden, da sie den Glauben selbst getreu durch so viele Jahrhunderte hindurch bewahrt hat; noch möchte ich den An­schein erwecken, als ob ich der Umstände anderer Zeiten uneingedenk wäre, des allmählichen Auf­kommens religiöser Irrtümer und der Gefahren von außen, die die Sache des Christentums selbst zu gefährden schienen und nach außerordentlichen Verteidigungsmaßnahmen riefen. Noch viel weni­ger möchte ich geringschätzig über jene großen Männer reden, die in den verschiedenen Perioden jener geheimnisvollen Heilsgeschichte die Träger der Vorsehung waren und die wir bei all unserem Eifer, eben aus Liebe für das einschätzen müssen, was ihre Werke und Leiden bezeugen, für auf­richtige, entsagungsvolle Diener ihres Gottes und Heilandes.

2. Die römische Kirche ist also politisch geworden; nur müssen wir heutzutage uns hüten, ins andere Extrem zu geraten und anzunehmen, das Reich Christi habe mit dieser Welt nichts zu tun, da es nicht auf sie gegründet ist. Es ist gewiß hier errichtet worden um dieser Welt willen und hat immer in ihr zu handeln als ein Teil von ihr, obschon sein Ursprung von oben ist. Es ist ein Bote des Himmels in menschlicher Gestalt, wie die En­gel, die den Patriarchen erschienen sind. In seiner Verfassung, seinen öffentlichen Versammlungen, seinen Gesetzen und Verordnungen, seinen Strafmaßnahmen und in seinen Besitzungen ist es ein sichtbares Gemeinwesen und dem Augenschein nach eine Einrichtung dieser Welt. Es ist kein feh­lerhafter Eifer, wenn man sich müht, es in der von Christus gegebenen Form zu erhalten.

Außerdem sollten wir uns stets daran erinnern, daß Gottes unfehlbares Wort, auch wenn die Kirche nicht von dieser Welt ist, uns dennoch versichert, daß es in der zeitlichen und augenblicklichen Welt Handlanger Seiner ewigen Gerechtigkeit gibt. Es ist uns ausdrücklich gesagt, daß „die Gewalt, die besteht, von Gott angeordnet ist“, daß „sie nicht umsonst das Schwert trägt, sondern daß sie Gottes Dienerin ist, eine Rächerin, zu bestrafen jenen, der das Böse tut“, und „Lob“ auszuteilen denen, die recht handeln (Röm 13,16). Da sie also mit einem Teil der göttlichen Gewalt ausgestattet sind, haben sie ein Amt inne, das priesterlicher Natur ist, und sind ausgerüstet mit der erschreckenden Strafandrohung, daß „diejenigen, die sich ihr widersetzen, sich selbst die Verdammnis zuziehen“ (Röm 13,2), Deshalb haben religiöse Herrscher es immer für ihre Pflicht gehalten, an Gottes Statt für die Ausbreitung der Wahrheit einzutreten; und die Kirche hat anderseits ihre Verpflichtung darin gesehen, sich ihnen nicht nur in zeitlichen Dingen unterzuordnen, sondern in ihrer eigenen Linie mit ihnen eifrig zusammenzuarbeiten, um jener heili­gen Ziele willen, die beiden gemeinsam sind. Und so ist 1500 Jahre lang das prophetische Wort des Isaias glückbringend erfüllt worden, „daß Könige die Ernährer der Kirche und Königinnen deren Ammen sein werden“ (Is 49,23). Selbstverständ­lich kann dabei in der Leitung der Kirche weder von eigenwilligem Eifer noch von politischer Schlauheit die Rede sein, sofern sie sich nur der Führung des geoffenbarten Wortes unterworfen hat.

Möge uns der allmächtige Gott um Seines lieben Sohnes willen heil durch diese gefahrvollen Zeiten hindurchführen, damit wir nie unseren Eifer für Seine Ehre aufgeben, sondern ihn durch Glauben und Nächstenliebe heiligen, unsere Kleider niemals mit Zornmut und Gewalttat besudeln, noch sie mit dem Staub einer sturmbewegten Welt beflecken!

Newman John Henry, Pfarr- und Volkspredigten, DP II, 31, Schwabenverlag, Stuttgart 1950, 417-431.


[1] Herodes

[2] gemeint ist: er bedient sich keiner Organisation. – A. d. Ü.